In urbanen Regionen leiden Menschen deutlich häufiger an psychischen Störungen als auf dem Land. Das liegt am sogenannten sozialen Stress. Aber auch Schadstoffe in der Luft könnten Botenstoffe im Gehirn beeinflussen.
Der Stress in der StadtWie man an urbanen Orten gesund bleiben kann
Schon jetzt sind mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung Stadtbewohner und -bewohnerinnen. Schätzungen zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der Menschen in urbanen Orten leben. Aus Sicht der mentalen Gesundheit ist das kein guter Trend. Denn Menschen in Städten leiden häufiger unter psychischen Störungen als Menschen auf dem Land. Studien zeigen: Angststörungen sind in Städten im Vergleich zum Land um rund 20 Prozent häufiger, affektive Störungen wie Depressionen sogar um rund 40 Prozent.
Probleme, wenn ein Rückzugsraum fehlt
Bislang ist noch nicht geklärt, warum in der Stadt lebende Menschen anfälliger für psychische Störungen sind. „Wir haben aber Hinweise, dass Stress eine Rolle dabei spielt“, sagt der Psychiater und Stressforscher Mazda Adli, ärztlicher Leiter der Fliedner Klinik Berlin und Leiter des Forschungsbereichs Affektive Störungen an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Berliner Charité. „Gerade der größere soziale Stress des Stadtlebens könnte einer der zentralen Gründe sein.“
Sozialer Stress kann im städtischen Alltag in unterschiedlicher Weise auftreten. Beispielsweise als Dichtestress, also wenn Menschen auf engem Raum zusammenleben und keinen Rückzugsraum haben. Es gibt aber auch Isolationsstress, wenn man sich einsam fühlt, obwohl viele Menschen um einen herum sind. Oder wenn Menschen mit Migrationshintergrund sozial ausgeschlossen werden.
Toxisch wird es laut Adli, wenn beides – Dichte- und Isolationsstress – zusammentreffe. „Sozialer Stress schadet vor allem dann der Gesundheit, wenn er chronisch wird und man das Gefühl hat, keine Kontrolle darüber zu haben.“
Zusätzlich kann schlechte Luft der Psyche Schaden zufügen. In einer Untersuchung aus Großbritannien und China wurden fast 400.000 Personen über mehr als zehn Jahre begleitet. Ergebnis: Die Luftverschmutzung am Wohnort der Teilnehmenden war mit einem größeren Risiko verbunden, eine Depression oder Angststörungen zu entwickeln. Das Depressionsrisiko war bei der höchsten Luftverschmutzung im Vergleich zur geringsten um 16 Prozent erhöht.
Auf welchem Weg Luftschadstoffe dem Seelenleben zusetzen können, wird immer klarer. Feinstaubpartikel können die Blut-Hirn-Schranke überqueren, die das Gehirn vor schädlichen Stoffen aus dem Blutkreislauf schützt. So gelangen die Luftschadstoffe ins Gehirn und können dort Entzündungsreaktionen auslösen. Diese können die Funktion von Botenstoffen im Gehirn beeinträchtigen.
Das passt gut ins Bild von seelischen Erkrankungen. Nervenzellen kommunizieren über Botenstoffe wie Serotonin, das oft als Glückshormon bezeichnet wird. Und genau solche Botenstoffe sind bei psychischen Störungen wie Depressionen beeinträchtigt.
Grünflächen für die seelische Gesundheit
Möglicherweise beeinflusst der Grad an Luftverschmutzung auch, wie anfällig Menschen gegenüber Stress sind. Das legt eine 2023 veröffentlichte Studie von Adli nahe, die in Zusammenarbeit mit dem Umweltbundesamt entstanden ist. Adli und sein Team stellten fest: Bei einer höheren Feinstaubkonzentration am Wohnort ist die Aktivität von Hirnarealen schwächer, die Stress und Emotionen regulieren. In der Folge sind betroffene Menschen vermutlich anfälliger für Stress. Umgekehrt zeigte sich auch: Ist der Anteil der Grünflächen höher, ist die Aktivität der stressregulierenden Hirnareale höher.
Die Studie ist noch kein Beweis, dass die Stressreaktionen im Gehirn nur mit der Feinstaubbelastung oder dem Grünflächenanteil zusammenhängen. Aber beide Aspekte könnten Einfluss auf die Hirnfunktion unter Stress zu haben. Auf jeden Fall zeichnet sich ab, dass Grünflächen der seelischen Gesundheit guttun.
Das Stadtleben kann hingegen beim Thema geistige Gesundheit gegenüber dem Landl punkten. Im städtischen Raum ist die Gesundheitsversorgung besser. Zudem bietet die Stadt mehr Möglichkeiten, sich zu bilden, kulturell zu betätigen und zu entfalten, im Schnitt einen höheren Lebensstandard und mehr Wohlstand. „All das tut der Psyche gut“, sagt Adli.
Aber das Stadtleben habe eben auch seine Kehrseite. „Nicht nur der soziale Stress ist größer als auf dem Land, sondern Stress allgemein“, so Adli. In der Stadt gehe es hektischer zu. Die meisten Menschen können diesen Stress durch die Ressourcen der Stadt ausgleichen. Aber es gebe auch Menschen, die wenig Zugriff auf diese Ressourcen haben, weil sie ungleich verteilt sind. „Nicht jeder hat Grünflächen in der Nähe oder kann sich einen Theaterbesuch leisten“, sagt der Psychiater.
Was die Psyche laut Adli schützt, ist, sozial aktiv zu sein. „Gerade wer sich einsam fühlt, sollte versuchen, Kontakt mit anderen Menschen zu knüpfen“, rät er. Man solle Zeit vor der Haustür verbringen, gelegentlich auch im Grünen. „Zeit vor der Haustür ist soziale Zeit – und die ist gut für psychische Gesundheit und Wohlbefinden.“
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