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Kommentar

„Géloff pittipü à la Jürgen“
Allerhöchste Zeit für eigene Namen veganer Gerichte

Ein Kommentar von
Lesezeit 3 Minuten
Illustration; Korb mit Obst, Gemüse und Saft

„Was soll die elende Nachbastelei von Mettbällchen, Cabanossi und Nackensteak?“, fragt Imre Grimm.

„Vegetarische Wurst“ ist ein Widerspruch in sich, schreibt unser Kolumnist: Umgekehrtwürde sich der Durchschnittskarnivore doch auch keine Radieschen aus Rindersteak schnitzen.

Die französische Haute Cuisine gilt gemeinhin als Königsklasse der Kulinarik, auch wenn man dort vor allem im Fleischbereich auf allerlei Merkwürdigkeiten zurückgreift. Wie etwa Kalbsköpfe, Pferde, Hechtklöße, Kuhmägen, Gänseleber, Froschschenkel oder (jawohl) Fetzen der Bauchspeicheldrüse junger Kälber, die unter dem beschönigenden Singsang „Blanquette de ris de veau“ an arglose Restaurantgäste verkauft werden. (Plötzlich keinen Hunger mehr? Bon appétit!).

Jüngst hat sich das Land um die Kochkunst nach alter Väter Sitte verdient gemacht: In Frankreich sind ab sofort Begriffe wie „vegetarische Wurst“ oder „pflanzliches Steak“ verboten. Warum? Irreführung! Nur noch Produkte, die tatsächlich Fleisch enthalten, dürfen als Fleisch, Steak oder Wurst bezeichnet werden.

Frankreich tut damit das Werk des Herrn. Denn es ist allerhöchste Zeit, dass sich die denkfaule vegetarische Welt endlich mal eigene Namen für ihre zusammengerührten Kreationen aus elf Sorten Protein, Glutamat, Salz und Spezialitäten der chemischen Industrie ausdenkt. Was soll die elende Nachbastelei von Mettbällchen, Cabanossi und Nackensteak? Umgekehrt schnitzt sich der Durchschnittskarnivore doch auch keine Radieschen aus Rindersteak oder bastelt sich einen Blumenkohl aus Mett.

Fixiert auf Fleisch

Lasst euch mal etwas einfallen! Ich bin sehr dafür, überwürzte Quinoabröckchen nicht als „pflanzliches Rindermett“ zu vermarkten, sondern zum Beispiel als „Schrotzkenfrapps“ oder „Krutzenbrölk“ oder „Géloff pittipü à la Jürgen“ oder auch – im Sinne eines Kollateralnutzens – unter dem Namen, der am ehesten zu Konsistenz und Nutzwert passt: „Fugendämmstoff“.

Die Fantasielosigkeit im Vegetarismus aber sorgt dafür, dass man lieber fleischliche Hausmannskost nachempfindet, statt selbst kreativ zu werden. So fixiert auf Fleisch wie die vegetarische Industrie ist nicht mal der fleischigste Grillmeister.

Und so lässt sich der Kunde „veganen Leberkäse“ aufschwatzen, das Kilo zu (Achtung!) 39,90 Euro. Oder auch „Grobe vegane Bio-Bratwurst“ aus Wasser, Weizengluten, Sonnenblumenöl, Haferflocken, Weizen, Salz, Johannisbrotkernmehl und Maisstärke. Also allem, was ein gutes Müsli ausmacht.

Dabei gibt’s doch so schöne vegane Gerichte mit korrekten Namen. Sie heißen Salat. Oder Suppe. Oder Auberginenauflauf. Cooles Zeug. Und wer sagt, dass Thüringer Schrotzkenfrapps nicht eines Tages ebenso berühmt werden kann wie die Thüringer Rostbratwurst?

„Vegetarische Wurst“ ist ein Widerspruch in sich. Wie lebende Leiche. Oder stummer Schrei. Oder wie es in der berühmten Oxymoron-Ode heißt: „Dunkel war’s, der Mond schien helle / Schneebedeckt die grüne Flur / Als ein Wagen blitzeschnelle / Langsam um die Ecke fuhr.“ Weiter geht es bekanntlich wie folgt: „Drinnen saßen stehend Leute / Tranken Brot gegen den Durst / Und zerkauten in der Meute / ganz allein vegane Wurst.“

Schönes Wochenende!


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.