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Jetzt nur nicht ausflippen!Wie wir unsere Wut regulieren und nutzen können

Lesezeit 4 Minuten
Illustration: Eine Frau mit wütendem Gesichtsausdruck

Auch Erwachsene können daran arbeiten, ihre Emotionen zu regulieren.

Der Puls rast, der Blutdruck steigt: Die Wut, die sich im Inneren aufbaut, ist kurz davor auszubrechen – in diesen Situationen gibt es verschiedene Strategien, um sich selbst zu beruhigen.

Vielleicht ist es eines der schwerwiegendsten Missverständnisse im Familienalltag: Dass man zwar viel darüber spricht, wie Kinder bei aufkeimender Wut lernen sollen, sich zu regulieren, aber wenig bis gar nichts über die Selbstregulationsfähigkeit der Erwachsenen. „Von Kindern wird erwartet, dass sie lernen, ihre Gefühle im Griff zu haben, dabei schaffen das Erwachsene manchmal selbst nicht“, bestätigt der klinische Psychologe Sven Barnow vom Psychologischen Institut der Universität Heidelberg.

Dass auch Erwachsene daran arbeiten können – diese Vorstellung setzt sich jedoch allmählich durch. Lange ging man davon aus, dass die Persönlichkeit von Erwachsenen wenig flexibel und stark genetisch geprägt ist. Dass das Gehirn sich im Erwachsenenalter nicht mehr verändern kann, ist jedoch ein Irrtum: Neuroplastizität, also die Fähigkeit des Gehirns zur Veränderung, gibt es bis ins hohe Alter. „Es ist nie zu spät, zu lernen, die eigenen Emotionen zu regulieren“, sagt Barnow.

Neubewertung verändert die Sicht

Emotionsregulation ist die menschliche Fähigkeit, die eigenen Gefühle zu beeinflussen. Hierbei können Emotionen abgeschwächt, gesteigert oder aufrechterhalten werden.

Forschende unterscheiden dabei verschiedene Strategien. Nicht alle sind gleichermaßen sinnvoll. So kann es kurzfristig helfen, ein Gefühl zu verdrängen oder zu unterdrücken, eine Situation zu meiden oder sich in Grübelei zurückzuziehen. Langfristig verschärft das aber oft das Problem. Wer Angst vor Spinnen hat, wird Orte meiden, wo diese herumkrabbeln. Auf kurze Sicht mag das helfen, doch langfristig wird das Vermeidungsverhalten die Furcht verstärken.

Besser ist die Strategie Neubewertung: Wer während eines Psychothrillers vor Anspannung bibbert, kann sich vor Augen halten, dass dies „nur ein Film“ ist. Was unseren Puls in die Höhe treibt, ist eine erfundene Handlung, die genau darauf abzielt. Dieser neue Blick hilft, die Angst abzuschwächen.

Abstand vom Schwarz-Weiß-Denken

Verschiedene Studien legen nahe, dass diese Strategie sehr wirksam ist. Denn günstige Denkmuster können uns in manchen Fällen dabei helfen, unliebsame Emotionen abzuschwächen.

Es ist nie zu spät, zu lernen, die eigenen Emotionen zu regulieren.
Sven Barnow, Psychologe

Wer traurig ist, weil er unter dem unfreundlichen Ton am Arbeitsplatz leidet, könnte innerlich zu dem Schluss kommen: Niemand mag mich. Doch die Person könnte die Situation auch neu interpretieren und sich sagen: Es war eine harte Woche für das ganze Team. Kein Wunder, dass der Ton rauer war.

Diese Art des Neubewertens fällt einigen Menschen schwer, beispielsweise wenn sie zum sogenannten Katastrophieren oder Schwarz-Weiß-Denken neigen. Eine typische gedankliche Logik des Katastrophierens könnte lauten: Mein Mann ist noch immer nicht von der Arbeit zurück und überlässt mir die Kinderbetreuung, er liebt mich nicht mehr. Realistischer wäre es zu denken: Er hat viel zu tun oder wurde aufgehalten.

Neubewertung basiert im Wesentlichen darauf, alternative Lesarten der Situation zuzulassen. Wer beispielsweise traurig ist, weil ein langjähriger Freund nicht anruft, sollte überlegen: Welcher Grund, der mich nicht verletzt, ist möglich? Handelt es sich um einen zuverlässigen und verbindlichen Menschen, der in anderen Situationen schon oft signalisiert hat, dass ihm die Freundschaft wichtig ist? So sieht das Bild, das wir uns zuerst gemacht haben, nicht mehr ganz so düster aus.

Wut akzeptieren und hinterfragen

Eine andere hilfreiche Strategie ist die der Akzeptanz. Es geht dabei darum, sich darin zu üben, die eigenen Emotionen ohne Wertung anzunehmen. Wer sich zum Beispiel verbietet, Wut auf die eigenen Kinder zu empfinden, beraubt sich der Möglichkeit, darüber nachzudenken, woher die Wut kommt. Wer hingegen sagt: „Es ist okay, wenn ich verärgert über meine Kinder bin, solange ich respektvoll bleibe“, entlastet sich emotional. Denn gerade der Widerstand gegen Gefühle wie Wut oder Angst setzt uns unter Druck.

Auch Ablenkung kann helfen

„Es herrscht die Vorstellung vor, dass Emotionen unwichtig sind für unsere Leistung“, sagt Psychologe Barnow. Dabei profitierten gerade Führungskräfte von der Fähigkeit der interpersonellen Emotionsregulation. Immer mehr Studien zeigen, dass Emotionsregulation im Job eine wichtige Rolle spielt.

Wir sollten nicht glauben, dass wir unseren Emotionen ausgeliefert sind. Es ist möglich, Strategien zur Emotionsregulation einzuüben und gezielt anzuwenden. Dabei ist auch der Kontext wichtig. Der Psychologe James Gross von der Stanford Universität etwa hat herausgefunden, dass bei besonders intensiv empfundenen Emotionen Ablenkung im ersten Moment besser wirkt als Neubewertung.

Wer kurz vor einem Tobsuchtsanfall steht, sollte tatsächlich besser erst mal die berühmte Runde um den Block gehen – frische Luft schnappen für den Perspektivwechsel. Denn Emotionen sind unberechenbar, sie springen uns Menschen quasi an. „Wer sich selbst einen Gefallen tun will, vergrößert den Abstand zwischen dem Auslöser der Emotion und der eigenen Reaktion“, rät Barnow.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.