AboAbonnieren

Fakten-CheckGibt es wirklich Rezepte gegen das Altern – und wenn ja, wie viele?

Lesezeit 5 Minuten
Illustration: Ältere Menschen mit Gemüsekörben.

Hilft Superfood beim gesunden Älterwerden? Die Studienlage ist sehr heterogen.

Gesunde Ernährung kann viel bewirken. Doch ist sie auch imstande, uns ein langes Leben zu bescheren, wie viele Ratgeber und Kochbücher versprechen?

Cola, Kaffee und Schokolade: Diese drei Dinge, verriet die hochbetagte Japanerin Kane Tanaka, seien ihre große Leidenschaft. Die Greisin starb vergangenes Jahr im Alter von 119 Jahren. Auch die Geheimnisse anderer „Supercentenarians“, also Menschen, die mindestens 110 Jahre alt werden, klingen manchmal durchaus überraschend: Die Französin Jeanne Calment, die es sogar auf 122 Jahre brachte, rauchte bis ins hohe Alter und hatte eine Schwäche für Portwein. Spezielle Vorlieben hatte auch Emma Morano aus Norditalien, die mit 117 starb: Sie aß täglich zwei rohe Eier, dazu gerne Löffelbiskuits.

Diese Einzelfälle sind allerdings kein Beweis dafür, dass Limonade, Süßkram und Alkoholisches eine lebensverlängernde Wirkung haben. Dennoch lässt sich an den Lebensgewohnheiten uralter Menschen insgesamt studieren, wie die Formel für ein gesundes, langes Leben aussehen könnte. Seit ein paar Jahren interessieren sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die sogenannten Blue Zones – das sind Regionen, in denen Menschen überdurchschnittlich lange und gesund leben. Der Name kommt daher, dass Forscher diese Zonen ursprünglich mit einem blauen Stift auf der Landkarte markierten. Zu diesen Paradiesen gehören Sardinien, die Präfektur Okinawa in Japan, die Nikoya-Halbinsel in Costa Rica, die griechische Insel Ikaria und die Kleinstadt Loma Linda in Kalifornien.

Studien haben gezeigt, dass eine vegetarische Ernährung entzündungshemmende Effekte hat
Altersforscherin Catrin Herpig

Demografen entdeckten beim Vergleich des Lebensstils der Bewohner mehrere Gemeinsamkeiten: „Er ist geprägt von harter körperlicher Arbeit und einer eher kargen, überwiegend pflanzlichen Ernährung“, sagt Gunter Eckert, Professor für Ernährung in Prävention und Therapie an der Universität Gießen. „Tatsächlich kann die richtige Ernährung zusammen mit weiteren Lebensstilfaktoren den Alterungsprozess bremsen.“

Ein Forscherteam der Universität Bergen in Norwegen errechnete, dass 20-Jährige, die von einem typisch westlichen Ernährungsstil auf optimale Ernährungsgewohnheiten umstiegen, ihr Leben um zehn Jahre und mehr verlängern können. Selbst 80-Jährige können den Wissenschaftlern zufolge durch eine Umstellung noch etwa drei Jahre gewinnen. Aber was ist schon „optimal“?

Aus ernährungsmedizinischer Sicht umfasst gesundes Essen viel Gemüse, Salat, Obst, Nüsse, Hülsenfrüchte, vollwertige Kohlenhydrate und gesunde Öle – alles möglichst abwechslungsreich kombiniert, in guter Qualität und frisch zubereitet. Das ist auch die Basis der viel gepriesenen mediterranen Ernährung und ihrer Varianten – etwa der DASH-Diät („diätetischer Ansatz zum Stopp von Bluthochdruck“).

„Studien haben gezeigt, dass eine vegetarische Ernährung entzündungshemmende Effekte hat und sich positiv auf die metabolische Gesundheit auswirkt“, sagt die Altersforscherin Catrin Herpich vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE). Das heißt, dass Menschen, die sich pflanzlich ernähren, seltener Übergewicht und ein geringeres Risiko für Diabetes, Fettstoffwechselstörungen sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. All dies sind wichtige Voraussetzungen, um lange und gesund zu leben.

Umstritten ist allerdings, ob auch tierische Produkte dabei sein dürfen oder gar sollen. Der italienische Altersforscher Valter Longo, der die „Longevità-Diät“ entwickelte, empfiehlt etwas Fisch, aber kein Fleisch – wenn doch, dann höchstens weißes, zum Beispiel Huhn. Eckert ist da großzügiger: „Ein-, zweimal Fleisch pro Woche ist in Ordnung, wenn es qualitativ hochwertig ist. Es ist eine hervorragende Eisenquelle. Bedenklich ist es nur, wenn man sehr viel davon isst. Sehr zurückhaltend bin ich bei Wurstwaren, vor allem, wenn sie Nitritpökelsalz enthalten.“

Low-Carb- und High-Protein-Diäten sind für Anti-Aging-Zwecke offenbar ungeeignet. Longo zumindest setzt auf reichlich komplexe Kohlenhydrate und wenig, aber ausreichend Proteine. Mäuse, die nach diesem Prinzip ernährt wurden, lebten länger als Artgenossen, die viele Proteine, aber wenig Kohlenhydrate bekamen. Auch Herpich findet, dass die Empfehlung ihre Berechtigung hat: „Studien weisen darauf hin, dass eine Reduktion bestimmter Aminosäuren, zum Beispiel Methionin, lebensverlängernd wirkt.“

Methionin, wie andere Aminosäuren ein Baustein von Proteinen, kommt vor allem in Fleisch vor. Auch dies spricht dafür, dass Pflanzenkost eher das Leben verlängert. Allerdings gelten Ernährungsempfehlungen nie pauschal. Menschen ab 65 Jahren profitieren nicht mehr von einer proteinarmen Ernährung, im Gegenteil: Sie haben einen leicht erhöhten Bedarf, da ihr Körper diese Nährstoffe nicht mehr so gut verarbeiten kann.

Selbstreinigung der Zellen möglich?

Ansonsten werden Blaubeeren, Nüsse, Knoblauch, Süßkartoffeln, Rote Bete, Grüner Tee, dunkle Schokolade und vieles mehr gern als Superfoods gehandelt, die auch beim Jungbleiben helfen. Sie enthalten reichlich Polyphenole, die zum Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bestimmten Krebsarten und wahrscheinlich auch Demenz beitragen können. Tatsächlich ist recht gut belegt, dass etwa Rote Bete den Blutdruck und Walnüsse den LDL-Cholesterinwert senken. Einzelne Lebensmittel ausloben möchten Experten wie Eckert aber nicht: „Das ist wie bei einem Orchester: Die Mischung macht’s.“

Als Anti-Aging-Wundermittel ist in jüngster Zeit Spermidin in den Fokus gerückt. Die Substanz, die im menschlichen Körper, aber auch in vielen Lebensmitteln vorkommt, aktiviert die Autophagie – eine Art Recycling- und Selbstreinigungsprogramm der Zellen. „In Tiermodellen konnte man eine lebensverlängernde Wirkung durch Spermidin sehen“, sagt Eckert. Ob das auch für den Menschen gilt, ist noch unklar. Derzeit untersucht eine Studie am DIfE, ob sich bei Teilnehmenden, die Nahrungsergänzungsmittel mit Spermidin nehmen, Entzündungsprozesse reduzieren – Ergebnisse liegen aber noch nicht vor. Wer sich ausgewogen ernährt, braucht solche Mittel ohnehin nicht, meint DIfE-Expertin Herpich: „Dann nimmt man sowieso ausreichend Spermidin zu sich.“ So enthalten Erbsen, Pilze, Sojabohnen, Kichererbsen, Weizenkeime und reifer Käse besonders viel von dieser Substanz.

Fasten kann das Altern verlangsamen
Prof. Gunter Eckert, Ernährungsmediziner

Wichtig ist aber nicht nur, was wir essen, sondern auch, was wir nicht essen. „Fasten kann das Altern verlangsamen“, sagt Eckert. Ähnlich wie Spermidin bringt Nährstoffmangel die Autophagie in Gang, durch die sich Zellen sozusagen selbst reparieren. Ob dabei klassisches Heilfasten, Intervallfasten oder andere Fastenkonzepte am sinnvollsten sind, muss jeder für sich herausfinden. Eckert selbst ernährt sich nach der 16:8-Methode – er isst also nur innerhalb von acht Stunden. Ausnahmen dürfen sein: „Zu streng sollte man nicht mit sich sein. Essen hat auch viel mit Genuss und Zufriedenheit zu tun“, betont er.

Nicht jeder hat genügend Disziplin, es den betagten Bewohnern in Okinawa gleichzutun: Gemäß der konfuzianischen Anweisung „Hara Hachi Bu“ hören sie auf zu essen, wenn ihr Magen zu 80 Prozent gefüllt ist. Offenbar ein einfaches Rezept für ein langes Leben.


Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.