Sternerestaurants wirken auf viele wegen ihrer hohen Einstiegshürden wenig einladend. Die Branche feilt an ihrem Image.
Einen Gang runterfahrenSterneküche will mit neuen Konzepten breiteres Publikum ansprechen
Der Erfolg war nur von kurzer Dauer. Das SEO Küchenhandwerk erhielt Ende März vom Restaurantführer Guide Michelin den zweiten Stern. Zwei Wochen später wurde das Lokal dicht gemacht. Über die genauen Beweggründe herrscht Schweigen.
„Fachkräftemangel“ wurde mitunter ins Feld geführt. Abwegig ist das nicht: Im Pfälzer Sternerestaurant Intense etwa werden derzeit nur knapp 20 Gäste am Abend betreut, obwohl das Lokal auf 28 Gäste ausgelegt ist. „Mehr geht aufgrund fehlender Servicekräfte nicht“, erklärt Koch Benjamin Peifer – wobei an manchen Tagen auch diese Plätze nicht alle besetzt seien.
Früher gab es À-la-carte-Gerichte, heute herrscht „Menüzwang“
Von einem Sterben der Toprestaurants ist bereits die Rede, weil Arbeitskräftemangel, Energiekrise, Inflation, gestiegene Waren- und Personalkosten sowie mangelnde Nachfrage den Betrieben zu schaffen machen. Dabei haben viele Sternerestaurants in den vergangenen Jahren ihr Konzept verändert:
Hatte man vor 20 Jahren noch die Option, auch mittags an fünf Tagen in der Woche in solchen Lokalen zu essen, gibt es heute fast nur noch Abendservice an vier Tagen in der Woche. Gab es früher À-la-carte-Gerichte, kleine und große Menüs, regiert seit Jahren der „Menüzwang“, der wegen seiner Planungssicherheit als der einzig noch gangbare Weg zur rentablen Sterneküche gilt.
Unter drei Stunden und fünf Gängen verlässt kaum jemand ein Sternerestaurant. Hinzu kommt die obligatorische Begleitung mit Weinen oder alkoholfreien Cocktails. 300 Euro kommen so pro Person schnell zusammen.
Sterneküchen müssen den Gästen mehr Freiraum lassen
Es ist eine verrückte Situation: Schaut man auf die Qualität der Küche, kann Deutschland einerseits mit einer der facettenreichsten und besten Fine-Dining-Szenen der Welt glänzen, die im internationalen Vergleich mit Frankreich, Skandinavien oder den USA oft noch günstig ist. Andererseits geizen Restaurantinhaber mit Zugangsmöglichkeiten, denn bisweilen wirkt die Sternegastronomie wie ein Autobauer, der auch bunte Stadtflitzer und praktische Familienkutschen produzieren könnte, aber dennoch ausschließlich auf Luxuskarosserie setzt.
„Die Zeiten sind vorbei, wo man Gästen vorschreibt, wann sie was zu essen haben“, sagt Jürgen Wolfsgruber. In seinem mit einem Stern ausgezeichneten Sparkling Bistro in München hat er die Gangfolge reduziert, die Preise gesenkt. Bislang servierte er sechs Gänge für 175 Euro, jetzt sind es fünf Gänge für 150 Euro. „Die fünf Gänge stehen für meinen Mindestverbrauch, um meinen Betrieb bei durchschnittlicher Belegung zu finanzieren“, sagt Wolfsgruber, der den Gästen zusätzlich die Möglichkeit einräumt, wenige Gerichte nach Lust und Laune hinzuzufügen.
„Bistrotage“ als Schnupperangebot
Einen besonders niederschwelligen Einstieg in die Welt der Topgastronomie bietet das Freiburger Sternerestaurant Jacobi. Hier gibt es À-la-Carte- oder Kindergerichte, es gibt Vesperangebote und einmal im Monat einen Schnitzeltag. Die Sterneküche ist an diesen „Bistrotagen“ schlicht die Parfümprobe, die Gästen eingepackt wird.
„Die Konzepte befruchten sich gegenseitig. Leute, die zum Schnitzelessen kommen, feiern vielleicht im nächsten Schritt einen besonderen Anlass beim Sternemenü“, sagt Küchenchef Christoph Kaiser.
Mit kleineren Menüs zu günstigeren Preisen neue Gäste anlocken
Dieselbe Erfahrung macht das Zweisternerestaurant Jante in Hannover, das seit vergangenem Jahr kleinere Vier-Gang-Menüs anbietet. „Es kommen Gäste, die vorher nicht gekommen wären, vor allem auch jüngeres Publikum, das sich so an das Thema herantastet“, sagt Gastgeberin Mona Schrader.
Auch im Berliner Horváth wird neuerdings ein „legeres Einstiegsmenü“ angeboten, es heißt „Quick’n’Dirty“. Das Berliner Nobelhart & Schmutzig hat von einem größeren auf ein kleineres Menü zu einem günstigeren Preis umgestellt, angeboten wird es zu zwei Servicezeiten am Abend.
Dieses Prinzip der Doppelbelegung ist beispielsweise in den USA auch in Sternerestaurants gängig, aber in Europa eher unbeliebt. Noch. Denn die Doppelbelegung bietet Chancen, gerade auch für Sternerestaurants, die oft extrem sensible Geschäftsmodelle sind. „Die Gewinnmarge liegt nicht selten im einstelligen Prozentbereich“, sagt Jante-Chef Tony Hohlfeld. Und das auch nur, wenn alle Plätze im Restaurant belegt sind. Bleiben ein, zwei Tische leer, ist der Gewinn futsch. Ist so ein Restaurant also nur halb voll, dann steht es kostentechnisch leer – warum also zu Spitzenzeiten den Laden nicht zweimal am Abend füllen?
Für Spontanbesuche hat sich sogar das Hamburger 100/200 Kitchen geöffnet, obwohl es dem Lokal nicht an Zulauf mangelt. Dennoch wurde im März innerhalb der Räumlichkeiten des Zweisternerestaurants das À-la-Carte-Restaurant Glorie eröffnet. Hier werden Fleischpasteten, Steaks und Tatar in handwerklicher Perfektion und zu gehobenen Preisen serviert. „Unsere Stammgäste haben immer wieder den Wunsch geäußert, auch mal ohne Reservierung kommen zu können, nur für ein oder zwei Gänge. So entstand die Idee. Wir müssen unseren Gästen zuhören“, sagt Geschäftsführerin Sophie Lehmann.
Ähnlich sieht es Dreisternekoch Claus-Peter Lumpp, der im Restaurant Bareiss im Schwarzwald zwar auch auf die Viertagewoche umgestellt hat, dann ist das Lokal aber auch mittags geöffnet. Serviert werden À-la-Carte-Gerichte oder mittags auch Drei-Gang-Menüs.
„Es geht um den Gast. Wer will, kann bei uns auch nur einen Hauptgang essen. Mit den Häppchen vorweg und am Ende können wir das Erlebnis bieten, das wir mit unserer Küche bieten wollen. Ich brauche aber die acht Servicezeiten an vier Tagen, um wirtschaftlich arbeiten zu können“, sagt er.
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