Heute schaut unser Kolumnist auf den Einsatz von güldenem Dekorationsvokabular, prätentiöse Wendungen, die gern als Distinktionsmerkmal benutzt werden. Vor allem das „-esk“ ist irgendwann aus dem Ruder gelaufen.
Sprachliches ImponiergehabeDie seltsame Karriere von „kafkaesk“
Um sich idiomatisch vom Pöbel zu distinguieren, bietet die Schriftsprache eine Reihe von Möglichkeiten. Die quantitativ exorbitante Utilisation von Fremdwörtern etwa. Oder den Einsatz von güldenem Dekorationsvokabular. Karl-Theodor zu Guttenberg sagte damals statt „Ich trau mich nicht“ lieber „Ich werfe Ihnen hier ein Stück Schüchternheit zu“. Ein prätentiöses Ölgemälde von einem Satz („Sie sind doch prätentiös!“ – „Prätentiös? Moi?“).
Ein wichtiges Werkzeug der Laubsägeliteratur ist das Semikolon. Ein Satzzeichen mit Fliege und Hornbrille aus der Familie der Renommiersymbole. Thomas Mann allein hat weite Teile des deutschen Semikolonvorrats aufgebraucht. Menschen, die gehäuft Semikolons verwenden, verwenden auch: Kolophonium, Möbeltinktur, Molltonarten und Pfeifentabak. Gern nutzen Autoren mit Bramarbasionshintergrund auch den Schluckauf der gebildeten Stände: das gute, alte „sic!“.
Es bedeutet: „Ich als intellektueller Chefgermanist habe natürlich gemerkt, dass der rückenmarksgesteuerte Dorfdepp, den ich gerade zitiere, ’ne Delle in der Bimmel hat; aber ich wollte Ihnen diesen Fauxpas keinesfalls entgehen lassen – vor allem, weil es mich selbst besser aussehen lässt.“
Wer oder was ist bitte „spargelesk“?
Der Star unter den Imponiervehikeln ist aber das Adjektiv „kafkaesk“, ein Erbe von Franz Kafka, dessen 100. Todestag die Welt in diesen Tagen begeht. Die Mode, mittels des Suffixes „esk“ nach dem französischen Vorbild „esque“ ein Adjektiv zu bilden, stammt aus dem 19. Jahrhundert, als das Bürgertum die italienische Renaissancekunst ins Herz schloss und fortan alles und jeden „borrominesk“, „caravaggesk, „dantesk“, „giottesk“, „leonardesk“, „tizianesk“ oder „michelangelesk“ fand.
„Kafkaesk“ schließlich verdrängte ab den 1930er-Jahren (quasi als Edelvariante von grotesk) das ursprüngliche „kafkisch“ als Inbegriff des Rätselhaft-Bedrohlichen – getreu dem diffusen Unwohlsein, das Kafkas Werk durchzieht. Es folgten Nachahmerbegriffe wie „wagneresk“, „mozartesk“, „balladesk“, „disneyesk“, „hippiesk“ und „Helpdesk“ (okay, der zählt nicht).
Doch dann lief die „esk“-Sache komplett aus dem Ruder. Seit „kafkaesk“ sind unter anderem folgende „esk“-Varianten öffentlich erschienen: „rioreisesk“ (nach Rio Reiser), „zappaesk“ (nach Frank Zappa), „beatlesk“, „woodyallenesk“, „heinermülleresk“, „hemingwayesk“, „kinskiesk“, „montypythonesk“, „beckenbaueresk“, „völleresk“, „perryrhodanesk“, „jedermannesk“ sowie – jawohl! – „iljarichteresk“, „rumpelstilzesk“, „elefantesk“, „zombiesk“, „filigranesk“, „gefühlsprosaesk“, „ZDFesk“ und „spargelesk“.
Wer oder was ist bitte „spargelesk“? Brokkoli? Oder Ilja Richter? Und ist „filigranesk“ noch filigraner als filigran? Und was ist lauter: „elefantesk“ oder „elefantös“? Und ist die scharlataneske Kinskieskigkeit von Frank Zappa zappaesker als die heinermüllereske Rumpelstilzesktigkeit von Rio „Rumpel“ Reiser?
Ich wünsche Ihnen ein pittoreskes Wochenende!
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