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Statt „verheirateter Single-Mama“Viele Frauen bleiben lieber alleine – was ist dran an dieser These?

Lesezeit 4 Minuten
Bleiben immer mehr Frauen lieber Single?

Bleiben immer mehr Frauen lieber Single?

Mit einem Mann zusammenleben, sich aber trotzdem um Haushalt, Kinder und das Familienmanagement allein kümmern müssen?

Eine Woche lang habe sie ihre Küche nicht geputzt, erzählt die Frau, während ihre Kamera das Chaos einfängt. Das Geschirr gammelt in der Spüle vor sich hin. Müll liegt herum. Sie und ihr Sohn seien an Covid erkrankt, hätten sich im oberen Stockwerk isoliert, erklärt sie. Um dann, nur im Halbsatz, zu ergänzen, „während mein Mann es irgendwie geschafft hat, [Covid] zu vermeiden“.

Die empörten Kommentare über den untätigen Mann folgten prompt. Ein Kommentar attestiert schlicht: „Verheiratete Single-Mama“, was bedeutet: keine gleichberechtigte Partnerschaft, sondern ein gleichgültiger Ehemann.

Genug ist genug

Tiktok-Videos dieser Art – entsprechend kommentiert – gibt es reichlich. 2023 sei das Jahr gewesen, in dem Frauen „genug“ von der „modernen Ehe“ gehabt hätten, verkündete die britische Zeitung „The Guardian“. Gen-X- und Millennial-Frauen, heißt es, hätten ihre Beziehungen mit großen Worten wie „gleichberechtigte Partnerschaft“ und „Co-Parenting“ begonnen – nur um enttäuscht zu werden.

Zahlreiche Bücher, Zeitungsartikel, Podcasts und Social-Media-Beiträge ziehen ein ähnliches Fazit. „Ein immer größerer Anteil der Frauen über 50 entscheidet sich bewusst für das Alleinsein, weil sie keinen Bock mehr auf eine lieblose Ehe haben“, sagte die Autorin Sarah Diehl 2022 im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland. „Mein Mann war das schwierigste Kind“, berichten Frauen, die jetzt lieber allein wohnen, in „Der Zeit“. Der Eindruck, der entsteht: In einer Welt, in der sie immer seltener ökonomisch von einer Partnerschaft abhängig sind, entscheiden sie sich immer häufiger gegen sie.

Die These wird sogar genutzt, um politische Entwicklungen zu erklären. Warum rechte Parteien weltweit so viel Zulauf (von Männern) erhalten etwa. John Burn-Mordoch hielt in der „Financial Times“ kürzlich fest, dass junge Frauen immer progressiver, junge Männer aber immer konservativer werden würden. Der Autor erklärt sich das so: Die #MeToo-Bewegung sei der entscheidende Auslöser gewesen. Er habe bei Frauen „zutiefst feministischen Werten“ Aufwind gegeben. Junge Frauen, so Burn-Mordoch, fühlten sich bestärkt, „sich gegen lang andauernde Ungerechtigkeiten auszusprechen“.

Die US-Journalistin Amanda Marcotte schrieb schon 2019: Der Aufstieg der politisch extrem Rechten in Amerika sei größtenteils das Ergebnis junger Männer, „die verbittert und einsam sind, weil sie keine Partnerinnen finden, die eine unterwürfige Rolle akzeptieren“. Man könnte die gleiche These für Ostdeutschland aufstellen: Frauen sind nicht nur liberaler eingestellt, sie sind dort auch mobiler, ziehen häufiger weg – und hinterlassen gefrustete AfD-Wähler.

Missstand bei Mental Load

Entscheiden sich wirklich immer mehr Frauen (freiwillig) gegen eine feste Partnerschaft und bleiben so immer mehr Männer (unfreiwillig) allein? Was das Narrativ für viele so überzeugend macht, ist sein wahrer Kern: Männer profitieren (in der Regel) von Ehe und Partnerschaft mehr als Frauen.

Die Verteilung von Alltagsaufgaben zeigt beispielhaft das Missverhältnis. Wer hat die Arzttermine im Kopf? Wer den Bestand im Kühlschrank? Die Frauen – und zwar selbst dann, wenn sie Vollzeit arbeiten. „Zum Mental Load wird diese Arbeit, wenn sie emotional belastend ist“, sagt die Soziologin Yvonne Lott. Bei Männern dagegen spiele es „keine Rolle, ob sie in Vollzeit arbeiten, ob sie Kinder haben oder nicht. Der Mental Load ist niedrig und bleibt niedrig.“

Kaum Lust auf Sex

Zum Familienmanagement kommen die anderen Hausarbeiten hinzu. So zeigte eine US-amerikanische Studie aus dem Jahr 2023: Seit Längerem verpartnerte Frauen putzten und kochten mehr als ihre Männer – die dafür mehr Zeit mit Entspannung zubrachten. Diese ungleiche Verteilung sei womöglich eine Erklärung dafür, dass Frauen sich eher „entlieben“, lautet das Fazit der Studie. Frauen haben bei viel Belastung auch weniger Lust auf Sex, zeigte 2022 eine der ersten Studien, die sich mit dem Thema befasst hat. Erkaltete Gefühle, mehr Hausarbeit – und dazu noch Erwerbsarbeit? Es fällt nicht schwer zu glauben, dass immer mehr Frauen, je häufiger dieses Missverhältnis zur Sprache kommt, beim Gedanken an eine feste Partnerschaft und Kinder dankend ablehnen.

Wir beobachten einen normativen Wandel der Geschlechterkultur
Sabine Diabaté, Soziologin

Statistiken zeigen: Im vergangenen Jahr sind in Deutschland rund 693 000 Kinder zur Welt gekommen. 2022 waren noch 738 819 Geburten gezählt worden. Auch die Zahl der Eheschließungen sank 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent auf rund 361 000.

Kein klares Bild

Diese Statistiken verraten wenig über die Gründe, aus denen Menschen sich entscheiden, nicht (wieder) zu heiraten oder keine Kinder zu kriegen. Einen klaren Zusammenhang zwischen Veränderungen in der Bevölkerungsstatistik und dem Narrativ der glücklichen, alleinstehenden Frau zu ziehen sei schwierig, sagt auch Sabine Diabaté vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung.

Handelt es sich bei „Frauen, die lieber allein leben“ also um etwas, das nur Akademikerinnen und Feministinnen in der Theorie umtreibt? „Selbst wenn es so wäre, hieße das nicht, dass das Thema keine Relevanz hat“, sagt Diabaté. „Denn wir beobachten einen normativen Wandel – junge Frauen sind deutlich häufiger liberal gegenüber Geschlechterrollen eingestellt als gleichaltrige Männer, ein Muster, dass in vielen Industrieländern zu beobachten ist.“

Sie betont aber: Viele Umstände, die Ehe und Kinder für manche unattraktiv erscheinen lassen, seien auch strukturell erklärbar: Weil Kinderbetreuung häufig problematisch sei – oder weil Männer vom Arbeitgeber keine Unterstützung erhielten, wenn sie in Teilzeit arbeiten wollten.