Europa wählt – und dies erstmals ohne Großbritannien. Eine Reise zu den Freunden und Gegnern Europas in Gibraltar und Nordirland..
Vor der EuropawahlBedauern die Menschen in Nordirland und Gibraltar den Brexit?
Autor: Michael Pohl
Gibraktar/Belfast - So viel Europa findet man selten auf so wenig Fläche: Wer vom spanischen La Linea de la Conceptión aus ins angrenzende Gibraltar fährt, wird früher oder später in der Europa Road landen – noch bevor er oder sie einem der berühmten Berberaffen begegnet, die hier am Felsen zu Hause sind.
Die Europa Road ist eine der Hauptstraßen des nur 6,8 Quadratkilometer großen britischen Überseegebietes am Mittelmeer. Sie führt zum Europa Point, einem in der Region bedeutenden Aussichtspunkt. Und der ist Standort des Europa-Point-Leuchtturms, einem beliebten Fotomotiv, und des Europa-Point-Stadions, Heimat des Amateurfußballklubs Europa Point FC.
Der Name Europa wird hier nicht ganz ohne Grund ein bisschen überstrapaziert: Diese Südspitze Gibraltars markiert gewissermaßen den letzten Winkel des Kontinents, auch wenn dessen südlichster Punkt eigentlich 25 Kilometer westlich davon in Spanien liegt. Doch so schön wie hier, von drei Seiten umgeben von Wasser, endet Europa kaum sonst irgendwo. Es wird bei einem Besuch Gibraltars schnell deutlich: Europa spielt in diesem Teil Großbritanniens eine bedeutende Rolle.
Die nur rund 32.700 Bewohnerinnen und Bewohner der britischen Exklave genießen die Kombination aus englischem Alltag unter spanischer Sonne. Sie gehen Tapas essen in einem der Restaurants am malerischen Strand von Catalan Bay.
Sie kaufen in einer Filiale der britischen Kaufhausikone Marks & Spencer ein und besorgen sich anschließend ihr Gemüse beim spanischen Händler im historischen Viertel Irish Town. Sie verschwinden abends gern in einem der jahrhundertealten Pubs, die bisweilen geschichtsträchtige Namen tragen wie Lord Nelson oder Trafalgar. Und nicht selten treffen sie dort auf Gäste vom gesamten Kontinent.
Europa kommt zum Einkaufen
Das winzige Stück Großbritannien an diesem Ende Europas übt eine besondere Anziehungskraft auf Touristen aus – nicht nur wegen der frei lebenden Affen. Durch die Hauptfußgängerzone Main Street schieben sich tagsüber Deutsche, Italiener, Spanier und viele andere Nationen. Sie sind auf der Suche nach Souvenirs, günstigem Alkohol und Zigaretten. Gibraltar – das ist auch ein bisschen der Shoppingdistrikt am Südrand Andalusiens.
Es gibt nur ein Problem: Geografisch mag Gibraltar nach wie vor zu Europa gehören – politisch aber musste es sich zumindest aus der Europäischen Union verabschieden. Mit dem Brexit endete am 31. Januar 2020 auch die EU-Zugehörigkeit des Überseegebiets, zunächst mit einer Übergangsphase bis Ende 2020. Und kaum irgendwo auf britischem Gebiet erschraken die Menschen so sehr wie hier. Denn ihr Alltag ist mit dem benachbarten Spanien mindestens so sehr verwoben wie mit dem fernen Großbritannien. Wenn nicht noch mehr.
„Gibraltar wollte den Brexit nicht“, betont Brian Reyes, Redakteur bei der lokalen Tageszeitung „Gibraltar Chronicle“, im Gespräch. Deswegen hatten die Bewohnerinnen und Bewohner beim Brexitreferendum 2016 entgegen ihren Landsleuten auf der britischen Insel mit deutlicher Mehrheit gegen den Austritt aus der EU gestimmt – nur rund 4 Prozent waren damals dafür, 96 Prozent sprachen sich für einen Verbleib aus. Die Auswirkungen des Brexits seien jedoch bislang vergleichsweise überschaubar geblieben, räumt Reyes ein. „Anfangs hatten wir vielleicht mal vereinzelt leere Regale in Supermärkten“, erinnert sich der Journalist. Doch dies habe sich längst eingependelt. Wenn auch mitunter nur durch erheblichen Aufwand.
So ließ die britische Supermarktkette Morrisons in den vergangenen beiden Jahren jeweils vor Weihnachten Lebensmittel von Großbritannien aus per Flugzeug ans Mittelmeer bringen, wie der lokale Fernsehsender GBC berichtete. Seit ihrer Eröffnung wurde die Filiale in Gibraltar – eine der profitabelsten des Konzerns – auf dem Landweg per Lastwagen beliefert. Die aber müssen dafür nun mit ihrer Ware zwangsläufig durch das Zollgebiet der EU reisen. So wie täglich viele Tausend Tagesgäste.
Zum Wohnen nach Spanien
„Jeden Tag pendeln rund 15?000 Menschen aus Spanien nach Gibraltar“, verdeutlicht Miguel Vermehren, Pressesprecher der Regionalregierung in Gibraltar. Zwei Drittel davon seien Spanier. In Anbetracht der Einwohnerzahl von nur rund 32?700 Menschen gleicht dies einer täglichen Massenbewegung.
Weil die Mieten und Immobilienpreise jenseits der Grenze deutlich niedriger sind als rund um den britischen Felsen, zieht es seit Jahren auch Einwohnerinnen und Einwohner Gibraltars zum großen Nachbarn hinüber. Eine Studie aus dem Jahr 2013 geht davon aus, dass Gibraltarer der spanischen Wirtschaft durch ihren Zweitwohnsitz jährlich rund 62 Millionen Pfund bescheren, umgerechnet 72 Millionen Euro.
Vor allem morgens und abends kommt es am kleinen Grenzübergang zu langen Schlangen: Automassen drängen durch einen im vergangenen Jahr neu gebauten Tunnel unterhalb des Flughafengeländes hindurch. Fußgänger dürfen sogar den direkten Weg nehmen, einmal quer über die Landebahn. Was tatsächlich nicht weiter stört, denn der Flugverkehr am offiziell Gibraltar International Airport genannten Terminal ist überschaubar. Oft starten und landen hier nur zwei, drei Flugzeuge pro Tag. Und ihr Ziel liegt immer im Vereinigten Königreich – in London, Manchester oder Bristol.
Alte Fehde zwischen Spanien und Großbritannien
Hintergrund ist eine alte Fehde zwischen Spanien und Großbritannien: Madrid erhebt traditionell Anspruch auf den Felsen, der mit dem Friedensvertrag von Utrecht 1713 Großbritannien zugesprochen worden war. Zwar gibt es sogar einen zweiten Ausgang des Flughafens direkt an die spanische Grenze. Geöffnet wurde dieser jedoch bis heute nie. Airlines aus der EU landen traditionell nicht hier. Die spanische Regierung wollte bislang alles vermeiden, was den Status Gibraltars als Teil Großbritanniens womöglich noch festigen könnte.
Genau dies könnte sich jedoch ausgerechnet wegen des Brexits ändern. Seit Jahren verhandeln Großbritannien und Spanien unter Beteiligung Gibraltars und der EU über einen möglichen Beitritt der britischen Exklave zum Schengen-Raum. Die Idee: Die EU-Grenzpolizei Frontex soll die Grenze am Flughafen und am Hafen von Gibraltar als neue Außengrenze des Schengen-Raums kontrollieren. Auf der Landgrenze wäre ein ungehinderter Übergang möglich. Dies könnte das Zusammenleben in der Grenzregion Campo de Gibraltar deutlich erleichtern, so die Hoffnung. Auch eine Öffnung des Flughafens für EU-Airlines werde in diesem Zusammenhang verhandelt, erläutert Gibraltars Sprecher Vermehren.
Über den Stand der Verhandlungen ist Stillschweigen vereinbart worden. Zuletzt hieß es Mitte April von den Parteien, ein Abkommen sei in Sicht, ohne jedoch Details zu nennen. „Wir haben allerdings schon öfter gehört, dass eine Einigung kurz bevorstünde“, räumt Redakteur Reyes ein. Nicht zuletzt aus dem Londoner Unterhaus kommen immer wieder kritische Nachfragen, wie erst kürzlich wieder: Vor allem konservative Politiker befürchten, mit dem Beitritt Gibraltars zum Schengen-Raum am prestigeträchtigen Felsen Macht einzubüßen.
Vor Ort ist man optimistisch und baut auf eine Einigung noch vor den Europawahlen im Juni. Mit einer neuen Kommission in Brüssel, so die Befürchtung, würden viele Punkte womöglich von vorn beraten werden müssen. Und eines will niemand: eine Art niemals endender Geschichte wie an der zweiten Außengrenze zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich – in Nordirland. Wobei die Ausgangslage dort wesentlich komplizierter ist.
Unterstützung durch EU-Geld
An vielen bedeutenden Bauten erinnert die einstige britische Unruheprovinz an ihre britische EU-Mitgliedschaft. Seit 2011 etwa verbindet die Peace Bridge, die Friedensbrücke, in Derry die beiden Ufer des Flusses Foyle. Es ist eine symbolträchtige Querung – nicht nur, weil sie den Fußweg vom Bahnhof in die Innenstadt entlang eines idyllischen Uferweges ermöglicht. Sie verbindet auch eine traditionell eher probritische Gegend mit einer proirischen. Und dies in einer Stadt, die selbst bei ihrem Namen Kompromisse gemacht hat: Sie heißt offiziell Derry-Londonderry, eine Kombination aus der irischen und der britischen Bezeichnung.
Eine Brücke bauen zwischen den Beteiligten des jahrzehntelangen Konflikts, das war damals das Ansinnen. Denn Derry galt als Inbegriff der „Troubles“, der nordirischen Unruhen. Mit dem „Bloody Sunday“ war der Konflikt hier am 30. Januar 1972 vollends eskaliert. Auch die EU empfand die Brücke als sinnvolle Idee und unterstützte das Projekt finanziell. Noch heute weist ein Schild mit der Europaflagge am Ende der Brücke darauf hin.
Überall in Nordirland sind solche Schilder zu finden. In Belfast etwa steckt viel Geld aus Brüssel im prestigeträchtigen Titanic Quarter, jenem sanierten Hafengebiet, in dem einst die „Titanic“ erbaut worden war und heute unter anderem ein Museum, ein Hotel und eine Whiskydestillerie daran erinnern.
Zwischen 1995 und 2020 legte die EU unter dem Oberbegriff „Peace“ insgesamt vier Förderprogramme auf. 1,6 Milliarden Euro flossen dadurch in nordirische Infrastrukturprojekte, die den Frieden auf der Insel dauerhaft sichern sollten. In den Jahren nach dem Brexit sollte es eigentlich damit weitergehen.
Leere Regale im Supermarkt
Doch fehlendes Fördergeld schien nach dem Brexit das geringste Problem der nordirischen Politik zu sein. Das im Brexitabkommen vereinbarte Nordirland-Protokoll traf die Bewohnerinnen und Bewohner nach dem Inkrafttreten am 1. Januar 2021 mit voller Wucht: Schiffe warteten teilweise tagelang in den Häfen, bis sie ihre Fracht löschen konnten. In den Supermärkten leerten sich die Regale dadurch schneller, als sie aufgefüllt wurden.
Um jeden Preis wollten Irland und Großbritannien damals Grenzkontrollen zwischen beiden Inselteilen verhindern. Deswegen verschob man die Zollgrenze in die Irische See: Waren konnten von Nord nach Süd und umgekehrt zollfrei gehandelt werden, dafür mussten jedoch fortan auch jene Container durch die Zollabfertigung, die von Großbritannien hinüber nach Nordirland kamen – obwohl sie rein rechtlich nur von einem Landesteil in den anderen befördert wurden. Und dies waren vor allem die Waren in den Supermärkten, überwiegend Ketten aus Großbritannien. Das bildete sich auch in Zahlen ab.
„Offizielle Statistiken zeigten einen Rückgang des Nominalwerts der Warenverkäufe von Großbritannien nach Nordirland um 2,4 Prozent im Jahr 2022“, erläutert Ben Caswell, leitender Ökonom beim National Institute of Economic and Social Research (NIESR), einem unabhängigen britischen Wirtschaftsinstitut. Um diese Handelskonflikte zu minimieren erfolgte im vergangenen Jahr eine Anschlussvereinbarung, das sogenannte Windsor Framework.
Dieses Rahmenwerk schuf „grüne“ und „rote“ Kategorien für Waren, die aus Großbritannien nach Nordirland gelangen. Bei „Green Lane“-Waren handelt es sich um Waren, die für den Verbrauch innerhalb Nordirlands bestimmt sind und daher keiner Kontrolle unterliegen. Waren der „roten“ Spur sind jedoch Waren, die in die EU eingeführt werden sollen und daher für eine vollständige Kontrolle vorgesehen sind. Caswell erwartet positive Auswirkungen, nicht nur auf die Bestückung der Supermarktregale: Das Windsor-Framework sei „eine Verbesserung gegenüber den größeren Handelskonflikten im Rahmen des ursprünglichen Nordirland-Protokolls“.
Einbußen durch den Brexit
Im Vergleich zu Gibraltar hat Nordirland einen wesentlichen Vorteil in der Umsetzung des Brexits: Weil auch die benachbarte Republik Irland nie zum Schengen-Raum gehörte und sie bereits seit 1923 ein Reiseabkommen mit Großbritannien pflegt, waren Grenzkontrollen einfach zu vermeiden.
Ökonomisch spielen sowohl Gibraltar als auch Nordirland für das Vereinigte Königreich ohnehin eher untergeordnete Rollen. Im Wesentlichen hat das Land daheim auf der britschen Hauptinsel mit den Folgen des EU-Austritts zu kämpfen.
„Seit dem offiziellen Brexit Anfang 2020 stieg das Pro-Kopf-Einkommen im Vereinigten Königreich um 2,7 Prozent“, erklärt Ahmet Kaya, Chefökonom beim NIESR-Institut. Damit liege das Land an drittletzter Stelle unter den G7-Volkswirtschaften. „Tatsächlich ist das Pro-Kopf-BIP des Vereinigten Königreichs jetzt niedriger als im letzten Quartal 2019, kurz vor der Covid-19-Pandemie.“ Der Brexit traf Großbritannien umso härter, als er genau mit dem Beginn der Pandemie zusammenfiel. Die negativen Auswirkungen potenzierten sich dadurch.
„Darüber hinaus sind die Preise im Vereinigten Königreich um mehr als 20 Prozent gestiegen“, erläutert Kaya. Dies sei die höchste kumulierte Preisinflation unter den G7-Volkswirtschaften. „Dies spiegelt die zugrunde liegenden strukturellen Probleme der britischen Wirtschaft wider, die hauptsächlich auf das schwache Produktivitätswachstum zurückzuführen sind, das sich seit der globalen Finanzkrise 2008/2009, lange vor dem Brexit, verlangsamt hat.“
Auch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG schlug kürzlich Alarm. „Der Rückgang des deutsch-britischen Handelsvolumens ist dramatisch“, beschrieb es Andreas Glunz, KPMG-Bereichsvorstand International Business, im aktuellen German British Business Outlook. Für diese Analyse waren zu Beginn des Jahres insgesamt 173 Unternehmen in Deutschland und Großbritannien befragt worden. „Seit dem Brexitreferendum im Jahr 2016 ist das Handelsvolumen von 38 Millionen Tonnen auf 22 Millionen Tonnen gesunken“, beschreibt es Glunz. „Es ist ein Mythos zu glauben, der Brexit sei Vergangenheit und von den Unternehmen verkraftet.“
Die britische Wirtschaft, da sind sich die Experten einig, hat schon deutlich bessere Zeiten erlebt. Doch welche Rolle spielt dabei der Brexit? „Unsere Schätzungen zeigen, dass das reale Bruttoinlandsprodukt des Vereinigten Königreichs insbesondere aufgrund der Schocks im Zusammenhang mit dem Brexit um rund 2 bis 3 Prozent niedriger ist“, sagt NIESR-Ökonom Kaya. Dies entspreche einem Einkommensverlust von rund 850 Pfund pro Kopf.
„Wir zeigen auch, dass diese negativen Auswirkungen allmählich eskalieren und bis 2035 etwa 5 bis 6 Prozent, etwa 2300 Pfund pro Kopf erreichen.“ Der Negativtrend hält also an. Wie lange, hänge nun umso mehr von den wichtigsten wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen ab. Und genau hier könnte das Jahr 2024 einen Wendepunkt markieren.
Voraussichtlich im Herbst muss im Vereinigten Königreich turnusmäßig ein neues Unterhaus gewählt werden. Der genaue Termin steht noch nicht fest, doch scheint es sehr wahrscheinlich, dass es zu einem womöglich erdrutschartigen Regierungswechsel kommen dürfte. Die regierende Konservative Partei liegt in den Umfragen seit Monaten hinter der konkurrierenden Labour-Partei. Sie verlor kürzlich zudem wichtige Mandate bei Nachwahlen und erlebte Anfang Mai hohe Verluste bei den Kommunalwahlen in England und Wales.
Kommt der Wiedereintritt?
Oppositionsführer Keir Starmer von der sozialdemokratischen Labour-Partei bereitet sich insofern bereits auf die Regierungsübernahme vor. Der „Financial Times“ erklärte er im vergangenen Herbst, das Post-Brexit-Abkommen mit der EU überarbeiten zu wollen. Er strebe engere Handelsbeziehungen mit der Union an, mit dem Ziel, das Wirtschaftswachstum Großbritanniens zu stärken.
Viele fragen sich: Tritt Großbritannien unter Labour womöglich wieder in die EU ein? Die Partei gilt traditionell als europafreundlich, viele hochkarätige Sozialdemokraten haben aus ihrer Ablehnung des Brexits keinen Hehl gemacht. Doch Starmer dämpfte die Hoffnungen bereits. „Es gibt einige, die sagen: ,Wir müssen den Brexit nicht zum Funktionieren bringen – wir müssen ihn rückgängig machen.’“, erklärte er etwa 2022 in einer Rede vor dem Centre for European Reform in der irischen Botschaft in London und schränkte umgehend ein: „Ich könnte kaum mehr widersprechen.“
Eine andere Partei hingegen hat eine Abkehr vom Brexit zu ihrer Kernaufgabe gemacht: Rejoin EU, 2020 gegründet, tritt an, um den Wiedereintritt des Vereinigten Königreichs in die EU zu erreichen. Großen Anklang fanden die EU-Fans damit bislang jedoch nicht: Der größte Erfolg der Partei, die bislang lediglich bei Regionalwahlen antrat, waren 2,5 Prozent der Stimmen bei der diesjährigen Wahl der London Assembly, einem eher untergeordneten Gremium in der britischen Hauptstadt.
Dabei stieg die Zahl der Brexitgegner Meinungsforschern zufolge seit dem EU-Austritt beständig. In einer Umfrage des Onlinedienstes Statista etwa hielten in diesem Monat 55 Prozent der Briten den Austritt aus der EU für falsch, nur 31 Prozent glaubten nach wie vor, es sei die richtige Entscheidung gewesen. Der Rest ist unentschlossen.
Skeptiker sehen indes keine realistische Chance für einen erneuten Beitritt des Landes zur EU: Als neues Mitglied könnte Großbritannien vermutlich keine Sonderrechte aushandeln, wie sie dem Land in seiner ursprünglichen seit 1973 gewachsenen Mitgliedschaft zugestanden worden waren. London sähe sich denselben Anforderungen gegenüber, wie sie für jedes neue Mitglied gelten – dazu zählt nicht zuletzt die Verpflichtung zur Einführung des Euro. Doch selbst glühende Europabefürworter halten es für ausgeschlossen, dass sich die Briten in absehbarer Zeit vom geschichtsträchtigen britischen Pfund verabschieden könnten.
Blickt man im Königreich insofern etwas wehmütig hinüber zu den bevorstehenden Europawahlen auf dem Kontinent? „Diese Wahlen haben hier auch in der Vergangenheit eher keine große Rolle gespielt“,sagt Journalist Brian Reyes. Die Wahlbeteiligung der Briten insgesamt an der europaweiten Abstimmung bewegte sich seit 1979 stets zwischen 24 und 39 Prozent – deutlich unter dem EU-Durchschnitt. Wehmütig blickten zumindest die Gibraltarer eher nach Europa selbst, räumt Reyes ein. „Die größte Sorge ist, dass niemand weiß, wie das Zusammenleben in drei oder mehr Jahren aussieht.“
Eines der bekanntesten Kunstwerke im nordirischen Derry ist die Statue „Hands Across the Divide“ am Ende der Craigavon Bridge. Der örtliche Künstler Maurice Harron hatte sie 1992 erschaffen, zwei Männer reichen sich dabei – auf Abstand bedacht – die Hände. Es sollte den Wunsch symbolisieren, dass die damals verfeindeten Seiten des Nordirlandkonflikts endlich aufeinander zugehen. Im inzwischen zur Ruhe gekommen Brennpunkt von einst hofft man nun, dass die Statue vielleicht auch einen Weg für die Beziehungen zwischen Brüssel und London aufzeigen könnte.
Dieser Text gehört zur Wochenend-Edition auf ksta.de. Entdecken Sie weitere spannende Artikel auf www.ksta.de/wochenende.