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Auch das Kebapland im VisierWie türkische Rechtsextreme Minderheiten in Köln bedrohen

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Murat Demir ist Inhaber des Kebapland auf der Venloer Straße.

Murat Demir ist Inhaber des Kebapland auf der Venloer Straße.

Eine neue Fachstelle in Köln warnt vor der Gefahr türkischer Rechtsextremisten. Auch ein bekanntes Lokal in Ehrenfeld ist immer wieder Ziel von Provokationen.

Als das Hupen losgeht, steht Murat Demir wie fast jeden Abend in seinem Lokal an der Venloer Straße. Es ist der 28. Mai 2023, der Abend der türkischen Präsidentschaftsstichwahl. Recep Tayyip Erdogan gewinnt die Stichwahl knapp und zieht erneut in den Präsidentenpalast in Ankara ein. Auch 3000 Kilometer entfernt, in Köln-Ehrenfeld, ist das für viele Anhänger ein Grund zum Feiern: In Autokorsos ziehen sie hupend über die Venloer Straße – immer wieder auch direkt an Demirs kleinem Restaurant am Bahnhof Ehrenfeld vorbei – dem Kebapland.

„Die Erdogan-Fans fuhren an diesem Abend besonders langsam an unserem Laden vorbei, hupten und provozierten uns“, erzählt Demir. „Einige zeigten dabei den Wolfsgruß.“ Das Handzeichen gilt als Erkennungszeichen der türkischen Rechtsextremen, der sogenannten Grauen Wölfe. Manche riefen Beleidigungen, andere kamen zu Fuß vorbei und beschimpften Mitarbeiter und Gäste. „Bis drei Uhr nachts ging das so.“

Das Kebapland hat seit Jahren Kultcharakter, ist auch über die Grenzen Kölns für seine Fleischspieße vom Holzkohlegrill bekannt. Ein Grund für den hohen Bekanntheitsgrad ist der Satiriker Jan Böhmermann, der sein Aufnahmestudio in nächster Nähe zum Laden hat und ihn öffentlichkeitswirksam anpries. 2016 sorgte Böhmermanns „Schmähgedicht“ über Erdogan für eine diplomatische Krise. Das Kebapland stellte sich damals hinter Böhmermann. In der „Bild“-Zeitung sagte Demirs Kollege Erol Günes: „Böhmermann hätte ruhig noch eine Zeile dazu dichten können: Erdogan ist ein Mörder.“

Mehrfach Provokationen vor dem Kebapland

Murat Demir ist so wie viele seiner Mitarbeiter Kurde, er arbeitete in der Türkei als Anwalt und vertrat dort Regierungskritiker, bevor er vor rund 20 Jahren nach Deutschland fliehen musste, wie er erzählt: „Ich stehe zu meiner politischen Haltung, sage offen, dass ich links bin, mich für Menschenrechte einsetze und gegen die Unterdrückung der Kurden in der Türkei.“ Für türkische Nationalisten gilt er deshalb als Verräter – und wird mit der verbotenen PKK in Verbindung gebracht. „Für sie ist jeder Kurde, der kritisch über die Regierung spricht, automatisch PKK-Sympathisant. Das ist Unsinn.“

Bei den Provokationen am Tag der türkischen Präsidentschaftswahl ist es nicht geblieben. Nach Spielen der türkischen Nationalmannschaft komme es regelmäßig zu ähnlichen Szenen. Besonders schlimm war es aber am 28. Mai 2023, so Demir. Vor allem von der Polizei habe er sich mehr Unterstützung gewünscht: „Ich habe auch mehrfach bei der Polizei angerufen. Die Ehrenfelder Wache ist ja auch direkt gegenüber von unserem Laden. Aber man hat mir gesagt, man könnte da nichts machen“, sagt Demir.

Neue Fachstelle beschäftigt sich mit türkischem Rechtsextremismus in Köln

Auf Anfrage kann ein Polizeisprecher den Vorfall weder bestätigen noch dementieren – der Fall liege schlicht zu lange zurück. „Die Staatsanwaltschaft prüft derzeit, ob Ermittlungen aufgenommen werden“, so der Sprecher. Betroffene würden grundsätzlich ermutigt, sich bei ähnlichen Vorfällen direkt an die Polizei oder frühzeitig an die Beschwerdestelle zu wenden. Zwei Jahre nach dem Geschehen dürfte die Suche nach den Tätern jedoch schwierig werden.

Es sind Fälle wie der von Murat Demir, mit denen sich seit Jahresbeginn auch die „Fachstelle türkischer Rechtsextremismus“ beschäftigt. „Gerade Vorfälle, bei denen Kritiker der türkischen Regierung von Nationalisten und Rechtsextremen eingeschüchtert werden, häufen sich“, sagt Leiterin Özge Erdogan. Seit der Regierungskoalition von Erdogans AKP mit der rechtsextremen MHP sei die Nähe zwischen Rechtsextremen und Erdogan-Anhängern gewachsen – auch in Deutschland. „Nicht jeder Erdogan-Unterstützer ist rechtsextrem“, sagt Erdogan, „aber ideologisch nähern sich die Lager immer häufiger an.“

Özge Erdogan ist Leiterin der Fachstelle Türkischer Rechtsextremismus

Özge Erdogan ist Leiterin der Fachstelle Türkischer Rechtsextremismus.

Laut Verfassungsschutz sympathisieren in Nordrhein-Westfalen rund 3700 Menschen mit der rechtsextremen Ülkücü-Bewegung, bundesweit sind es über 12.000. Köln gilt als eines ihrer Zentren. Hier sitzt unter anderem der Verein ATIB mit rund 600 Mitgliedern, der vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

„Unser Ziel ist, die Öffentlichkeit für die Gefahr des türkischen Rechtsextremismus zu sensibilisieren und Betroffene besser zu schützen“, sagt Erdogan. Lange sei das Thema unterschätzt worden – auch, weil es an belastbaren Daten fehle. Die Fachstelle will das ändern und arbeitet an einer Meldestelle für Betroffene. Außerdem gehe es darum, die Strukturen und Zugänge türkischer Rechtsextreme in Deutschland aufzudecken.

Parallelen zwischen türkischem und deutschen Rechtsextremismus

Die Ideologie und Strategie türkischer Rechtsextremisten überschneiden sich in vielen Punkten mit denen deutscher Rechtsextremer, sagt Erdogan. „Natürlich unterscheiden sich die Milieus. Aber die Feindbilder und die Art, wie gegen sie Stimmung gemacht und gehetzt wird, ähneln sich stark.“ Im Zentrum stehen in beiden Fällen Minderheiten wie Jüdinnen und Juden sowie queere Menschen. Beim türkischen Rechtsextremismus geraten zudem Kurden und Aleviten besonders ins Visier. Auch deshalb ist die Fachstelle beim Bund der Alevitischen Jugend angesiedelt.

Nach dem EM-Sieg gegen Tschechien feiern Fans der türkischen Nationalmannschaft 2024 ihr Team auf den Ringen – auch mit dem umstrittenen „Wolfsgruß“ türkischer Rechtsextremisten.

Nach dem EM-Sieg gegen Tschechien feierten Fans der türkischen Nationalmannschaft 2024 ihr Team auf den Ringen – auch mit dem umstrittenen „Wolfsgruß“ türkischer Rechtsextremisten.

Die Gefahr, die von türkischen Rechtsextremisten ausgeht, sei insbesondere für Minderheiten groß, erklärt Erdogan – vor allem, weil die Bewegung an die patriotischen Gefühle der türkischen Community in Deutschland anknüpft und sie radikalisiert. Beispielhaft sei das Zeigen des Wolfsgrußes durch den türkischen Nationalspieler Merih Demiral bei der EM 2024 in Deutschland – ein Symbol, das später auch auf Kölner Straßen zu sehen war. „Ich würde nicht sagen, dass alle, die den Wolfsgruß damals gezeigt haben, rechtsextrem sind“, sagt Erdogan. „Aber es ist ein rechtsextremes Symbol – vielen ist die Geschichte und die Bedeutung aber offenbar gar nicht bewusst. Deshalb ist Aufklärung so wichtig.“

Denn bei rechtsextremen Symbolen bleibt es nicht: „Die Spanne reicht über Beleidigungen über Attacken auf alevitischen oder kurdischen Einrichtungen oder Wohnhäuser bis hin zu tätlichen Angriffen. Die Gefahr ist real.“ 

Erdogan wünscht sich, dass Politik und Behörden das Thema ernster nehmen. „Es fehlt oft an klarer Haltung, aus Angst, als rassistisch zu gelten. Dabei nutzen türkische Nationalisten diesen Vorwurf gezielt, um Kritik zu unterbinden. Obwohl sie selbst rassistisch gegen Minderheiten hetzen.“ Von dieser perfiden Strategie, so Erdogan, dürfe sich niemand einschüchtern lassen – weder Politik noch Öffentlichkeit.