Ganz persönlich wird Karl Lauterbach am Ende des Gesprächs. Nicht nur gegen ihn, auch gegen seine Kinder richteten sich „erschütternde Morddrohungen“. Bei der Legalisierung von Cannabis soll nicht das niederländische Modell Vorbild sein. Dieser Text ist zuerst am 14. November 2022 erschienen.
Meistgelesen 2022Lauterbach im Interview – „Bekomme auch für meine Kinder erschütternde Morddrohungen“
Herr Lauterbach, Bayern und Hessen wollen in dieser Woche die Isolationspflicht für Corona-Infizierte beenden. Schleswig-Holstein fordert das Aus für die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen. Ist das ein Frontalangriff auf Ihre fachliche Autorität als Bundesgesundheitsminister?
Karl Lauterbach: Es geht ja nicht um mich. Aber für mich ist ganz klar: Die Umsetzung solcher Forderungen zum jetzigen Zeitpunkt wäre verantwortungslos, weil die vulnerablen Gruppen dabei völlig außer Acht gelassen werden. Wir haben in Deutschland allein über 500.000 Krebskranke pro Jahr, für viele von ihnen kann eine Coronainfektion lebensbedrohlich werden.
Das gleiche gilt für Diabetes-Patienten. Viele von ihnen gehen täglich zur Arbeit, und auch für sie muss der Arbeitsplatz ein sicherer Ort sein. Die Aufhebung der Isolationspflicht würde viele der Menschen aus vulnerablen Gruppen in große Gefahr bringen. Ich bin NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann dankbar, dass er sich in dieser Frage nicht beirren lässt.
Sie haben vor einer schweren Welle im Herbst gewarnt. Jetzt sinken die Infektionszahlen wieder, viele Infektionen verlaufen zudem moderat. Haben Sie sich glücklicherweise getäuscht?
Bei uns sterben immer noch 1000 Covid-Kranke pro Woche, das ist eine hohe Zahl, mit der wir uns nicht abfinden dürfen. Das gute Wetter im Oktober hat zu einem flacheren Verlauf der Herbstwelle beigetragen. Aber jetzt kommen die Weihnachtsmärkte und die Fußball-WM – und es wird kälter. Wir müssen damit rechnen, dass wir vor Weihnachten wieder hohe Fallzahlen haben – mit den bekannten Folgen.
Rechnen Sie noch mit einem „Killervirus“?
Die gute Nachricht ist, dass wir keine Anzeichen dafür sehen, dass eine Mutation auf uns zukommt, die gleichzeitig ansteckender oder gefährlicher als die bisher bekannten Varianten ist. Aber es gibt auch kein Indiz dafür, dass das Virus mit der Zeit immer ungefährlicher wird. Das anzunehmen wäre Wunschdenken.
Glauben Sie, dass wir ohne die Anordnung einer Maskenpflicht in Innenräumen über den Winter kommen?
Die Entscheidung liegt in der Verantwortung der Länder. Die Maskenpflicht in Innenräumen ist ein wirksames, aber wenig einschränkendes Mittel der Pandemiebekämpfung. Deswegen bleibt sie ein wichtiges Werkzeug im Instrumentenkasten der Gesundheitspolitik.
Sollten Grundschüler vorsichtshalber eine Maske tragen?
An den Grundschulen sind die Fallzahlen aktuell zum Glück niedrig. Deswegen sehe ich da keine unmittelbare Veranlassung. Aber wir müssen natürlich auch das Infektionsgeschehen an den Grundschulen genau beobachten.
Manche Nachbarländer haben die pandemische Lage für beendet erklärt. Warum passiert das nicht bei uns?
Deutschland ist, was die Todeszahlen angeht, besser als viele Nachbarn durch die Pandemie gekommen. Unser Maßstab war und ist, unsere Bevölkerung so gut wie möglich zu schützen. Bei uns ist zum Beispiel die Impfquote bei den Älteren nicht hoch genug, um die Beschränkungen für den Besuch in Heimen und Krankenhäusern aufzugeben. Ich glaube nicht, dass es klug wäre, sich beim Thema Corona Politiker wie Boris Johnson zum Vorbild zu nehmen.
Aber auch deutsche Experten wie Stiko-Chef Mertens sprechen davon, dass die Pandemie beendet und man in der Endemie angekommen sei. Warum sind Sie anderer Meinung?
Da hat sich Herr Mertens unglücklich ausgedrückt. Sicher wird aus der Pandemie irgendwann eine Endemie werden. Aber wann das passiert, kann man derzeit nicht sagen. Das Virus bleibt unberechenbar.
Es gibt eine große Impfmüdigkeit in Deutschland – die Booster-Impfungen werden kaum nachgefragt. Warum interessieren die Auffrischungsimpfungen trotz vieler Kampagnen kaum jemanden?
Das stimmt nicht. Wir haben zum Teil bis eine Million Impfungen pro Woche. 34 Prozent der über 60-Jährigen haben eine zweite Auffrischungsimpfung bekommen. Natürlich könnte die Quote besser sein, aber ich bin mir sicher, dass wir mit unserer neuen Impfkampagne „Ich schütze mich“ noch viele Menschen überzeugen werden. Die Impfung ist der beste Schutz vor schweren Krankheitsverläufen.
In Köln ist das Thema Klinikverbund immer noch nicht abschließend entschieden. Wie ist Ihre Position?
Ich finde das Konzept nicht schlüssig und wenig überzeugend, weil die Klinik in Holweide dadurch abgehalftert und stark verkleinert und auf eine Grundversorgung reduziert würde. Gerade im rechtsrheinischen Raum haben wir aber bereits jetzt eine Unterversorgung an Kliniken und Fachärzten. Deswegen wäre die Umsetzung der Pläne bizarr. Wir arbeiten jetzt an eigenen Plänen für die Krankenhausplanung, in denen auch die Klinik in Holweide eine Zukunft haben könnte.
Was genau ist geplant?
Die ineffiziente Versorgung muss ein Ende haben, weil uns langfristig das Personal dafür fehlen wird. Zudem fehlt es uns vielerorts an Qualität. Nehmen Sie die Onkologie: Krebskranke haben eine deutlich höhere Überlebenswahrscheinlichkeit, wenn sie in zertifizierten onkologischen Zentren behandelt werden. Da wäre es sinnvoll, Behandlung von Krebserkrankungen zu zentralisieren. Außerdem ist die Quote der stationären Eingriffe bei uns um rund 50 Prozent höher als im Ausland, damit die Kliniken ihr Budget bekommen. Diesen Hamsterradeffekt der Fallpauschalen müssen wir durchbrechen. Sonst bekommen wir die perspektivisch stark zunehmende Zahl der älteren Patienten nicht in den Griff.
Halten Sie Klinikschließungen für richtig und notwendig?
Ich gehe davon aus, dass viele der tatsächlich benötigten Kliniken künftig andere Behandlungsschwerpunkte bekommen. Andere können in ambulante Zentren umgewandelt werden. Aber es ist klar, dass es auch Schließungen geben wird. Egal ob wir jetzt eine Reform anstoßen oder nicht. Das passiert allein schon deshalb, weil es an Personal fehlt. Die Krankenhausreform bietet uns jetzt die Chance, diesen Prozess so zu steuern, dass die Qualität besser wird. Wenn wir weiterhin nichts unternehmen und weiter wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen, werden wir eine kalte Marktbereinigung erleben. Mein Ziel ist es auch, den Kinderkliniken und der Geburtshilfe den ökonomischen Druck zu nehmen. Viele sind ein einer prekären Lage, die nicht akzeptabel ist.
Die Pläne der Ampel, Cannabis zu legalisieren, machen vielen Menschen Sorge. Wer mit Psychiatern wie hier in Köln mit Manfred Lütz spricht, der weiß, dass viele Konsumenten schwere Psychosen bekommen. Sie sind darum gegen die Legalisierung von Drogen. Was entgegnen Sie diesen ausgewiesenen Experten?
Ich habe großen Respekt vor Manfred Lütz und schätze ihn auch persönlich, aber in der Frage liegt er falsch. Die Studienlage ist anders. Wir rechnen nicht mit einem Anstieg bei den Konsumenten. Unser Ziel ist es, den Jugendschutz auszubauen und die Kriminalität zurückzudrängen. Bei ihnen ist der Schaden eines illegalen Konsums am größten.
Ein Beispiel für die Legalisierung von Cannabis sind die Niederlande. Sind die nicht gerade ein abschreckendes Beispiel?
Ja, das Modell die Niederländer ist gescheitert. Anders als viele glauben ist Cannabis dort nicht legal – nur der Konsum wird geduldet. Außerdem unternimmt man nichts, um den Drogenkauf sicherer zu machen, und der Stoff kommt weiter illegal ins Land. Deswegen hätten wir in einem solchen Modell mehr Konsumenten, höhere Konzentrationen und mehr Beimischungen. Wir werden das holländische Modell nicht übernehmen.
Wenn die EU-Kommission Nein zu den Plänen sagt, war es das dann mit der Legalisierung?
Ja, wenn es ein klares Nein gäbe, werden wir den Fehler, der bei der Autobahn-Maut für PKW gemacht wurde, mit Sicherheit nicht wiederholen. Wir spielen mit offenen Karten und erklären offen, was wir vorhaben. Wenn die EU Nein sagt, dann ist das so. Aber ich vertraue hier den Kollegen aus den Verfassungsressorts, die sich um die rechtliche Seite der Cannabis-Pläne kümmern. Wir setzen auf Gesundheitsschutz. Das kann auch Brüssel überzeugen.
Welche Erfahrungen haben Sie persönlich mit Haschisch gemacht?
Geringe. Ich habe das mal ausprobiert, um mir ein Bild zu machen, was mir auch gelungen ist. Im Falle der Legalisierung werde ich kein Konsument werden, wie überhaupt dieser Schritt nicht als Werbung fürs Kiffen missverstanden werden darf…
In der akuten Phase der Pandemie haben Sie Morddrohungen bekommen, ihr Auto wurde beschädigt. Hat sich die Situation entspannt?
Leider nicht. Ich selbst werde immer noch bedroht, und auch für meine Kinder bekomme ich erschütternde Morddrohungen. Mein Auto muss ich in einem Vorort parken. Ohne Personenschutz kann ich abends leider nicht vor die Tür gehen.