Der Präsident der deutsch-israelischen Gesellschaft sieht den Antisemitismus islamischer Verbände als „Elefant im Raum“ der deutschen Religionspolitik.
GastbeitragVolker Beck fordert schärferen Blick auf Islamverbände
Seit dem 7. Oktober mit dem Massaker der Terrororganisation Hamas, reißt die Kritik an den islamischen Verbänden nicht ab. Ein Teil wird mit offenen antiisraelischen Vernichtungsfantasien in Verbindung gebracht. Andere schafften es lange nicht, den Terrorangriff auf Israel eindeutig zu verurteilen.
In den deutschen Moscheen der Türkisch-Islamischen Union Ditib und bei zwei weiteren Moscheeverbänden predigen mehr als 1000 bei der türkischen Religionsbehörde Diyanet angestellte Imame. Ihr Chef, Ali Erbas, erklärte in einer Freitagspredigt, für seine Angestellten im Ausland so etwas wie der theologische Tagesbefehl, Israel sei „ein rostiger Dolch im Herzen der islamischen Geografie“. Das ist nichts anderes als eine antisemitische Vernichtungs- und Auslöschungsfantasie.
Keiner der großen Islamverbände hat diese Position bisher als inakzeptable Äußerung eindeutig und unmissverständlich verurteilt, auch wenn die Politik ihnen inzwischen das eine oder andere Lippenbekenntnis abgetrotzt hat. Die Grundlage der Religionspolitik der Bundesländer ist damit in der Krise.
Das tatsächliche Verhältnis muslimischer Organisationen zu Israel, zu Judenhass und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung muss ins Zentrum der Deutschen Islamkonferenz gerückt werden. Sie wurde 2006 vom früheren Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ins Leben gerufen, um Probleme zwischen Staat und Mehrheitsgesellschaft einerseits und muslimischer Minderheit andererseits besprechbar zu machen. Soll die Islamkonferenz heute diese Rolle behalten, darf sie an dem Elefanten im Raum nicht vorübergehen: dem antisemitismus-offenen Verhältnis der Islamverbände zu Israel.
Diese Woche tagt die Islamkonferenz wieder. Ihr ursprünglicher Fokus, der „Expertenbericht Muslimfeindlichkeit“, wirkte auf einmal ein wenig aus der Zeit gefallen. Das Bundesinnenministerium hat richtigerweise nachgesteuert. Nun wird man sich akademisch dem Thema „Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus als gesamtstaatliche Aufgabe“ nähern. Ein Schritt in die richtige Richtung. Die direkte und streitige Auseinandersetzung mit den Verbänden sollte man perspektivisch dennoch aufnehmen. Hier muss es 2024 endlich zur Sache gehen.
Vor einer Parallelisierung von Muslimfeindlichkeit und Antisemitismus in Analyse und Strategie sei gewarnt. Auch wenn die Lobbyarbeit der muslimischen Verbände in den vergangenen Jahren genau darauf zielte, für sich das Gleiche zu bekommen, was zum Kampf gegen Antisemitismus geschaffen wurde: Expertenkommission und -bericht, einen Beauftragten sowie Geld für entsprechende Programme.
Auch wenn es der Schutz der Menschenwürde gebietet, jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu bekämpfen, sind die Phänomene nicht einfach gleichzusetzen. Der Antisemitismus ist eine Weltanschauung, eine Welterklärung: Ob Flüchtlingskrise, Corona-Pandemie oder Nah-Ostkonflikt – immer sind dies Gelegenheiten für antisemitisches Handeln und Sprechen. Es gibt Antisemitismus in vielerlei Gestalt: christlich, muslimisch, säkular, links, rechts und in der Mitte. Der Judenhass hat im Abend- wie im Morgenland eine mehr als 2000-jährige Geschichte.
Auch ohne besondere Ereignisse im Nahen Osten, also im „Normalbetrieb“, ergibt sich leider ein eindeutiges Bild: ein Allzeithoch des Antisemitismus. Stellt man den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik für Angriffe auf religiöse Repräsentanten die religiöse Zusammensetzung der Gesellschaft gegenüber, sieht man das ganze Ausmaß der Belastung der jüdischen Gemeinschaft durch Antisemitismus: diese Straftaten werden für 2022 mit 78,1 Prozent dem Unterthemenfeld „antisemitisch“ zugeordnet, 15,4 Prozent dem Unterthemenfeld „islamfeindlich“, 2,6 Prozent zum Unterthemenfeld „christenfeindlich“. Dabei gehören je nach Erhebung aber nur 0,1 bis 0,3 Prozent der Bevölkerung dem Judentum an. Die Hälfte der Befragten ordnet sich einer christlichen Religionsgemeinschaft zu, 8,5 Prozent einer islamischen. 1,3 Prozent geben Hinduismus und 0,9 Prozent Buddhismus an.
Jüdinnen und Juden müssen bei nur einem bis drei Tausendstel Bevölkerungsanteil mehr als drei Viertel der Kriminalitätsbelastung in diesem Delikt-Bereich tragen – ein drastisches Missverhältnis. Und die erfasste Kriminalität ist nur die Spitze des Eisbergs antisemitischen Sprechens und Handelns.
Nichts Vergleichbares lässt sich über Muslimfeindlichkeit sagen, auch wenn diese spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001 in westlichen Gesellschaften ein zunehmendes Problem ist: Rechte versuchen, Furcht vor Muslimen zu säen und den Islam genauso zu essentialisieren wie Islamisten. Dem müssen aufgeklärte Demokraten immer widersprechen. Ziel von Politik muss es sein, demokratischen Muslimen ein diskriminierungsfreies, gleichberechtigtes Leben zu garantieren.
Die Anschläge in Halle und Hanau zeigen die tödliche Gefahr von rechts für Juden wie für Muslime. Wenn der Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“ vorige Woche dazu schrieb, „wie muslimischer Antisemitismus das jüdische Leben in Deutschland gefährdet“, und konstatierte „Es reicht!“, dann ist das ein Alarmsignal. Neben der Gefahr von rechts wird jüdisches Leben in Schulen und auf der Straße von arabischen Nationalisten und Islamisten bedroht. Man kann nicht darüber hinwegsehen: Es gibt in der muslimischen und der arabischen Welt manifesten Antisemitismus. Auch wenn der Antisemitismus in Deutschland immer zu Hause und nie verschwunden war, sind auch Menschen mit solchen Haltungen eingewandert. Und nein, es ist keine Muslimfeindlichkeit, das zu thematisieren.
Die bisherige Islampolitik muss auf den Prüfstand. Die Kooperationsformate der Länder mit islamischen Organisationen brauchen klarere Grundlagen: Islamische Organisationen, die Partner des Staates und anerkannter Teil der deutschen Zivilgesellschaft sein wollen, müssen die freiheitlich-demokratische Grundordnung sowie Israels Existenz und Sicherheit bejahen, einschließlich seines Rechts zur Selbstverteidigung. Will man das Thema des muslimischen Antisemitismus nicht den Rassisten und Islamfeinden überlassen, wird man demokratische Muslime wie den Theologen Mouhanad Khorchide oder die Al-Hambra-Gesellschaft in die Präventions- und Aufklärungsarbeit stärker und sichtbarer einbeziehen müssen.
Der Autor
Volker Beck, geb. 1960, ist seit 2022 Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Für die Kölner Grünen saß er von 1994 bis 2017 im Bundestag. Dort war er von 2002 bis 2013 Fraktionsgeschäftsführer. In seiner Zeit als Abgeordneter war Beck auch Sprecher seiner Fraktion für Innen-, Rechts-, Migrations- und Religionspolitik. Er trieb wesentlich die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Verbindung von Mann und Frau voran. Von 2014 bis 2017 war er auch Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe.
Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag übernahm Beck einen Lehrauftrag am Centrum für Religionswissenschaftliche Studien der Ruhr-Universität Bochum. Er gründete das vom Innenministerium geförderte Tikvah-Institut zur wissenschaftlichen Bekämpfung des Antisemitismus. Der Zentralrat der Juden in Deutschland verlieh Beck im Jahr 2015 den Leo-Baeck-Preis unter anderem wegen seines Engagements für die Entschädigung der früheren NS-Zwangsarbeiter und Renten an Juden in Osteuropa. (jf)