Ausflug mit AusblickDie zehn besten Plätze für wunderschöne Sonnenaufgänge
Es ist kalt. Die Finger umklammern den Kaffeebecher, aus dem eine spärliche Wärme kriecht. Auf der schmalen Straße im Tal kündet das entfernte Motorgeräusch eines Müllautos von der Geschäftigkeit des Tages, der genau genommen noch gar nicht aufgewacht ist. Denn darauf warten wir hier frierend und einsam: Dass die Sonne die Rückseite des Gipfels erklimmt und hinter der Löwenburg ihr golden strahlendes Scheinwerferlicht über die sanften Hügel des Rodderbergs über Bonn ergießt. Sie tut das jeden Tag sehr zuverlässig und immer wieder aufs Neue. Und doch ist das, was gleich geschehen wird, für die meisten Beobachter ein Naturereignis. Ein Wunder. Ein Symbol der Hoffnung. Der Sonnenaufgang.
Auf den Spuren des Morgens – ein Abenteuer
Der Tag, der für dieses Wunder ausgesucht wurde, liegt Anfang Mai. Die Inzidenzen sind noch hoch, Corona schränkt unsere Freiheit noch so sehr ein, dass Reisen und Neuentdeckungen in weiter Ferne liegen. Umso abenteuerlicher und verlockender klingt der Plan, ein Naturereignis fast vor der eigenen Haustür erleben zu können. Ein Abenteuer, das nicht durch die Entfernung und Fremdheit des Ortes an Attraktivität gewinnt, sondern allein durch die ungewöhnliche Uhrzeit. Vielleicht ein Merksatz, den uns diese Pandemie gelehrt hat: Wenn du einen naheliegenden Parameter nicht verändern kannst, dann schraube doch an einem anderen. Wer weiß, vielleicht gibt das ganz neuen Schwung?
Um 3.55 Uhr am Morgen erhalte ich also die erste Nachricht von Sven von Loga, dem Wanderführer meines Vertrauens, der sich mit Sonnenaufgängen besser auskennt als jeder, den ich sonst noch kenne. Es blinkt da: Eine Kaffeetasse als Emoji und gleich danach die Worte: „Ich höre, der Himmel am Rodderberg ist frei.“
Ich stehe also auf – es ist kaum Qual dabei, schließlich bin ich ohnehin stündlich aufgewacht, aus Angst, alles zu verpassen – schnappe mir die schon tags zuvor zurechtgelegten Klamotten und die Frühstücksdose, schleiche ins Bad, anziehen – mehrlagig, die Temperaturen liegen kaum über Null so früh am Morgen – Zähne putzen, raus in den Morgen, der eigentlich noch als Nacht daherkommt. Ausgangssperre, aber ich fahre ja zur Arbeit. Außer mir ist fast niemand unterwegs. Leere Straßen, mich überkommt das Gefühl, das früher den ersten Ferientag umhüllte: Zu nachtschlafender Zeit geweckt werden, in kurzen Hosen und übernächtigt frierend auf die Rückbank verfrachtet werden, um noch vor Sonnenaufgang über dem Brenner zu sein. Diesmal geht es nicht nach Italien. Das Ziel heißt Bonn. Ich beiße trotzdem schon hinter der Severinsbrücke in mein Käsebrot, sehe den dunklen, pandemiebedingt unbeleuchteten Dom im Rückspiegel versinken und fühle: Urlaub.
Orangeglühender Himmel vor nachtschwarzen Gipfeln
Kurz vor dem Ziel springt ein Reh über den Feldweg vor mir. Ich parke mein Auto und erklimme den höchsten Punkt des Rodderbergs. Sven von Loga ist schon dabei, sein Stativ aufzubauen. Denn so ein Naturereignis will nicht nur erlebt, es will vor allem festgehalten werden. Ich friere. Im Tal klimpert Bonn am Rhein liegend noch verschlafen mit den Augen. Das Siebengebirge streckt seine Hügel in den Himmel und dahinter kündigt sich die Sonne schon angemessen bombastisch an: Der Himmel vor den schwarzen Scherenschnittgipfeln glüht orange. Und es tritt auf: Das Licht.
Es ist befremdlich, aber diese Schönheit – das habe ich vorab gelesen – lässt sich gerade bei wolkenlosem Himmel mittels Exponentialfunktion mathematisch ganz gut berechnen. Die Beleuchtungsstärke verdoppelt sich während des Sonnenaufgangs dabei alle fünf Minuten. Zehn Lux, das ist etwa so hell wie eine Straßenlaterne, gießt die Sonne schon etwa 15 Minuten vor ihrem eigentlichen Aufgehen über die Landschaft. 15 Minuten nach Sonnenaufgang überschüttet sie die Umgebung dann schon mit Bürobeleuchtungslicht. Ich habe das nicht nachgerechnet. Ich stehe nur auf dem Rodderberg, wärme mir die Hände an einer Tasse Kaffee, gucke gen Osten und wundere mich, dass die noch hinter dem Berg versteckte Sonne schon so viel Licht verbreitet.
Es dauert alles eine gefühlte Ewigkeit. Wir haben also noch Zeit, darüber zu reden, wie man denn genau feststellt, von wo die Sonne kommt. Sven von Loga verrät, dass das mittels GPS-Gerät ganz einfach geht. Schließlich müsse man nur ermitteln, wo Osten sei. Ein Kompass tue es auch. Wer nichts von allem zur Hand, aber Zeit hat, ist auch nicht verloren. Der stecke einfach am Vortag einen Stecken in die ebene Erde und markiere, wo die Spitze des Schattens hinfalle. Eine halbe Stunde später wiederhole er das Markieren. Wenn man nun zwischen beiden Markierungen eine Linie ziehe, dann habe man ziemlich genau die Ost/West-Achse vor sich. Die Sonne geht dann auf der hellen Seite dieser Linie auf.
Wir diskutieren noch, ob die fast vollkommene Abwesenheit von Wolken so ideal ist. „Wenn sich im Winter eine Wolke den Rheingraben entlang wälzt, dann sieht der Sonnenaufgang wahrscheinlich fast noch besser aus“, sagt von Loga und verschwindet hinter seinem Stativ. Und dann geht es rasend schnell. Das Licht schlägt einen gleißenden Riss in den Himmel über der Löwenburg. Und dann sieht alles so aus, als würde man einen Topf flüssigen Goldes über die Landschaft gießen. Wir lachen wie berauscht. Plötzlich wird es warm. Ich mache ein Selfie, weil kein Instagram-Filter der Welt an die verschönernde Wirkung der ersten Sonnenstrahlen eines Maimorgens herankommt. Der Tag zählt schon sein erstes Wunder. Und ich komme zu Hause noch rechtzeitig zum Frühstück.
Buchtipp: Marie Dorléans: „Auf leisen Sohlen durch die Nacht“, Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2019, 40 Seiten, 16 Euro, ab 4 Jahren
Noch mehr Plätze für einen wunderbaren Start in den Tag:
1. Auf dem Lüderich
Das Barbarakreuz auf dem Lüderich bei Untereschbach ist ein funkelndes Ziel für den Sonnenaufgang. Das riesige Kreuz aus Edelstahl auf einer Kuppe neben dem einstigen Hauptschacht des Erzbergwerkes Lüderich strahlt golden, sobald die ersten Sonnenstrahlen es treffen – ein mystischer Anblick. Anmarsch vom Parkplatz am Golfclub: Zehn Minuten
2. Im Siebengebirge
Die Löwenburg im Siebengebirge besticht als Ort vor allem durch ihren nahezu 360-Grad-Rundumblick über das Rheintal, die Eifel und den Westerwald. Anmarsch vom Parkplatz Margarethenhöhe: 60 Minuten mit einem recht steilen Aufstieg
3. Glessener Höhe
Wer schon in den frühen Morgenstunden am Gipfelkreuz auf der Glessener Höhe bei Bergheim steht, hat einen wunderbaren Ausblick über Köln. Und kann ein ganz besonderes Schauspiel erleben. Die Sonne geht je nach Jahreszeit nämlich nahezu hinter dem Dom auf. Anmarsch vom Parkplatz in Dansweiler: 60 Minuten mit einen recht steilen Aufstieg über die Himmelsleiter.
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4. Am Rhein
Sonnenaufgänge sind nicht nur auf Bergen spektakulär. Auch Wasser kann eine besondere Atmosphäre schaffen. So wie am Rheinufer in Köln-Langel an der Fähre oder in Köln-Weiß am Sandpfad. Der Fluss glitzert in den ersten Morgenstunden ganz besonders bezaubernd.
5. Am Teich
Ähnlich ist die Lage an den Stallberger Teichen bei Troisdorf. Auch hier gibt es zwar keinen Ausblick, dafür entfacht das erste Morgenlicht eine wunderbare Stimmung inmitten der Teiche, vor allem dann, wenn dort noch die Morgennebel hängen. Anmarsch vom Wanderplatz Stallberger Teiche etwa 30 Minuten
6. Auf dem Turm
Wer schon vor Sonnenaufgang auf den Lydiaturm am Laacher See bei Wassenach klettert, wird mit einem 360-Grad-Rundumblick über die Osteifel und den Laacher See belohnt. Anmarsch vom Parkplatz am Restaurant Waldfrieden: 10 Minuten
7. Für sportliche Frühaufsteher
Wirklich kernig muss sein, wer das Gipfelkreuz auf der Engelsley im Ahrtal, oberhalb von Altenahr, besteigen will. Ganz oben auf dem Felsen steht ein Gipfelkreuz. Zu ihm führt ein schmaler, ausgesetzter und mit ein paar Klettereinlagen versehener Pfad hinauf. Dieser Weg ist schon bei Tag nur für erfahrene und wirklich trittsichere Wanderer geeignet und sollte auch nur bei trockenem Wetter gegangen werden. In der morgendlichen Dunkelheit ist der Weg ein wahres Abenteuer und wer dann zum Sonnenaufgang oben auf dem Gipfel steht, der erlebt einen Sonnenaufgang über den Ahrbergen, der Seinesgleichen sucht.
8. Im Teufelsloch
Wer es weniger extrem mag und dennoch gerne mal auf die Ahrberge möchte, der geht eben bei Altenahr in Richtung Teufelsloch. Vom Parkplatz in Altenahr führt ein ausgeschildeter Wanderweg zum Teufelsloch, eine Stunde Wanderzeit sollte man einplanen, dann sitzt man ganz herrlich oben am Teufelsloch und schaut gen Osten.
9. Noch mehr Ahrtal
Die Berge rund ums Ahrtal sind grundsätzlich für Sonnenaufgänge bestens geeignet. Wunderbare Plätze sind die Burgruine Landskrone auf dem gleichnamigen Berg Landskrone oberhalb von Bad Neuenahr-Ahrweiler, die Saffenburg oberhalb vom Mayschoß und auch Burg Aare oberhalb von Altenahr. Wichtig: Der Blick nach Osten muss frei sein.
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Wir wünschen einen schönen Sommer!