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Kolumne KinderkramMuss es Bushido sein, Frau Stratmann?

Lesezeit 5 Minuten

"Kinderkram": Fragen an Cordula Stratmann.

KölnLiebe Frau Stratmann,

klar: Kinder suchen Vorbilder. Aber ein Bushido als Starschnitt im Kinderzimmer muss es doch wirklich nicht sein. Oder?

Ihre Redaktion

Auweia. Diese schlimmen falschen Vorbilder! Diese bösen Versuchungen in der großen weiten Welt, denen unsere Kinder alle erliegen können. Und wir müssen dabei zusehen. In dieser Sorge war ich zuletzt, als mein Sohn sich im Radio WDR 4 einstellte und mit einem Strahlen in den Augen Matthias Reims „Verdammt, ich lieb Dich“ lauschte. Nichts von der Distanz, die ich selbst derlei Produktionen entgegenbringe, war in ihm zu erkennen. In meinem eigenen Sohn! Der zu Hause Popmusik, Jazz, Klassik, Punkrock – jedenfalls keinen deutschen Schlager kennenlernen durfte.

„Kinderkram – Fragen an Cordula Stratmann“ heißt die Kolumne, in der die Kölner Schauspielerin und Familientherapeutin in loser Folge Fragen der Redaktion aus dem ganz normalen Familienwahnsinn beantworten wird.

Cordula Stratmann, geboren 1963, studierte nach dem Abitur Sozialarbeit an der Katholischen Hochschule in Köln. Während ihrer Arbeit in der Familienberatungsstelle des Jugendamts in Pulheim ließ sie sich in systemischer Familientherapie ausbilden. 1992 spielte sie auf einer Karnevalssitzung erstmals die Figur Annemie Hülchrath, mit der sie bis 2008 regelmäßig in der WDR-Sendung „Zimmer frei“ auftrat.

2005 wurde sie mit dem Deutschen Comedypreis und dem Deutschen Fernsehpreis bedacht. Es folgten die Goldene Kamera und der Bayerische Filmpreis. Zuletzt war sie in Olli Dittrichs Comedy-Show „Frühstücksfernsehen“ (ARD) zu sehen. Gerade erschienen ist ihr Roman „Danke für meine Aufmerksamkeit“ (Kiwi, 15,99 Euro). (ma)

Nun richtet Matthias Reim weniger Schaden an als die fragwürdigen Einlassungen eines Bushido – oder die Eskapaden und Ausraster eines Justin Bieber. Letztlich haben wir als Eltern aber ständig damit zu tun, wie ähnlich oder anders als wir unsere Kinder etwas einschätzen. Wie sie sich ihre Meinung bilden über Dinge und Menschen. Und das ist gut so! Wir sollten damit unbedingt zu tun bekommen. Besorgniserregender wäre es, wenn wir gar nicht sagen könnten, wen oder was unsere Kinder faszinierend finden. Dann hätten sie es nämlich schon aufgegeben, uns daran teilhaben zu lassen.

Um diesen Punkt dreht sich eigentlich unser ganzes Leben mit unseren Kindern: Gelingt es uns, so kontinuierlich im Kontakt mit ihnen zu bleiben, dass sie es lohnend finden, sich uns zu zeigen? In Bezug auf die Vorbilder, die sie sich suchen, heißt das: Wir sollten uns dafür interessieren, was für sie das Besondere am Objekt ihrer Begierde ist. Um was genau geht es beim Interesse meiner Tochter für die Idee, Model zu werden? Wer ist ihr Vorbild? Was findet sie am Modelsein begehrenswert? Wie sieht sie sich? Wie wäre sie gern? Hält sie sich für weit entfernt von ihrem Traumbild oder schon nah dran?

Warum Bushido? Zeig mir mal, was der macht.

Wenn mein Sohn sich ein Bushido-Poster ins Zimmer pinnte, würde ich ihn fragen: Warum Bushido? Zeig mir mal, was der macht. Spiel mir deinen Lieblingssong vor. Woher hast du deine Gedanken? Aus welchen Meinungen setzt sich deine eigene zusammen? Willst du wissen, wer für mich wichtig ist? Wer wichtig war, als ich so alt war wie du? Zu allem, was unsere Kinder bewegt, fällt uns im besten Fall ein Haufen Fragen ein. Fragen, mit denen wir ihnen unser Interesse zeigen können, mit denen wir ihnen zeigen, das wir etwas von ihnen halten. Dass wir ihnen zutrauen, dass es Sinn ergibt, was sie umtreibt.

Leider haben viele Eltern vor ihr Interesse ihr Misstrauen gesetzt. Viele Väter und Mütter nehmen fast schon reflexhaft eine skeptische Haltung zu den Interessen ihrer Kinder ein. Warum eigentlich? Mit dem Interesse für aggressive Musik und großmäulige Stars landet ihr Sohn noch nicht ohne Schulabschluss in einer Einrichtung für vorbestrafte Jugendliche. Da kommt er viel schneller hin, wenn Sie seinen Boden mit Misstrauen legen, wenn Sie über Ihr eigenes Kind denken: Der hat ja nichts Anständiges im Kopf!

Alles, was in ihrem Sohn in Kopf und Seele herumgeistert, ergibt für ihn selbst zunächst mal Sinn. Für alle Hirngespinste, Träumereien und Behauptungen, die Ihre Kinder umtreiben, gibt es handfeste Hintergründe. Sie müssen sie nur erfahren wollen. Unsere Kinder zeigen sich uns gerne – wenn sie das zuverlässige Gefühl haben, dass sie uns interessieren. Dann dürfen wir auch mit Unverständnis auf die eine oder andere Vorliebe reagieren. Das ist dann etwas vollkommen anderes als Abwertung. Ich kann meinem Kind sagen: „Ich komme immer noch nicht dahinter, was du an Bushido so wichtig findest. Darüber müssen wir zwei uns noch mal streiten, mein Lieber!“ Formulieren Sie es in Ihrer Sprache, aber zeigen Sie Ihrem Kind: Ich bleib dran an dir. Nicht weil ich den Job des Erziehers habe, sondern weil du es mir wert bist und mich beschäftigst. Kinder, die kontinuierlich die Erfahrung machen, dass ihre Interessen wahr- und ernstgenommen werden, werden viel leichter zu entspannten, starken Persönlichkeiten als diejenigen, die sich stets gegen Abwertungen schützen müssen.

Fragen Sie sich: Wäre ich gern mein Kind? Hätte ich Lust, mir etwas zu erzählen, wenn ich meine Tochter, mein Sohn wäre? So einfach finden Sie heraus, ob Sie am Kontakt zu Ihrem Kind etwas verbessern können. Denn wer sich diese Frage ehrlich beantwortet, weiß genau, was zu tun ist.

Ihre Cordula Stratmann