„Sauguter Merlot“Warum ein Winzerpaar aus dem Rheinland in Frankreich Wein anbaut
- Stefan und Heike Paeffgen haben ihre Ersparnisse genommen und sind in den Süden Frankreichs ausgewandert.
- Aber wie schlägt man sich als deutsche Winzer in einer der berümtesten Weinregonen der Welt?
- „Es ist so wunderschön hier“, sagt Heike Paeffgen. „Manchmal arbeiten wir so viel, dass wir das gar nicht mehr merken.“
Ein kleiner Trecker mit Hänger fährt auf einem schmalen, grasbewachsenen Weg durch die Rebenfelder auf eine unscheinbare Halle zu. Er wendet und stößt rückwärts auf das weit geöffnete Tor zu. Der Fahrer betätigt einen Hebel, die Ladefläche kippt, und die Ladung rutscht in einen großen stählernen Behälter: die ersten Merlot-Trauben des neuen Jahrgangs. Hier, in diesem Behälter, beginnt ihre Verarbeitung zu einem edlen Médoc-Wein. Nach drei bis fünf Jahren Reifung und Lagerung in Stahl- und Eichenfässern wird der Chateau Lassus des Jahrgangs 2019 fertig sein, werden die ersten Kenner ihn verkosten. Stefan Paeffgen weiß schon jetzt, wie der Wein dieses so heißen und trockenen Jahres werden wird. „Saugut“, sagt er. Es ist der erste Tag der Lese im Oktober.
Stefan Paeffgen, ein zum Winzer gewordener Bauernsohn aus dem Rheinland, bewirtschaftet seit acht Jahren mit seiner Frau Heike die „Vignobles Paeffgen“ im Médoc. Ein deutscher Winzer mitten in einer der berühmtesten französischen Weinregionen, dem Bordelais, wo die Bordeaux-Weine herkommen – kann das gut gehen?
Der Traum von der Landwirtschaft
„Chais“ heißt die Halle, in der die Eichenfässer lagern. Hier reift noch für einige Monate der 2018er-Jahrgang, es riecht betörend nach Wein und Holz. Stefan Paeffgen erzählt aus seinem Leben, das vor 55 Jahren auf einem rheinischen Bauernhof in der Nähe von Köln begonnen hat und irgendwann zu diesem Abenteuer geworden ist, das ihn und seine Familie auf ein Weingut in einer entlegenen Ecke des Médoc geführt hat. „Es war immer mein Traum, praktische Landwirtschaft zu machen“, sagt Paeffgen.
Er studierte Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim und lernte dort seine Frau kennen. Aber die Landwirtschaft steckte in einer ihrer Krisen, der ältere Bruder übernahm den Hof, Platz für zwei war da nicht. Also ging er in die Wirtschaft, machte Karriere in der Düngemittelindustrie. Er arbeitete von Belgien aus 13 Jahre lang als Portfoliomanager für ein finnisches Unternehmen, die Familie mit drei Kindern lebte in der Nähe von Brüssel. Er war nur noch im Flieger unterwegs, musste die Produktpaletten von acht Werken koordinieren. Dann wurde die Firma von einem norwegischen Unternehmen aufgekauft. Mit einer dicken Abfindung ging er und merkte: „Bei mir war die Luft ein bisschen raus.“
Da tauchte der alte Traum wieder auf: die praktische Landwirtschaft, das passte auch für seine Frau. Was genau, wussten sie noch nicht. „Wir haben uns ein Jahr lang umgeschaut, in Kanada, in Ostdeutschland, in Belgien, besonders in Frankreich.“ Immerhin sprach die ganze Familie dank der Zeit in Belgien gut Französisch. Warum also nicht Weinbau im Médoc? Sie beschlossen, alles auf eine Karte zu setzen: den Erlös aus geerbtem Land, die Abfindung, Rücklagen. „Rebenkultur war mir zwar völlig fremd“, sagt Paeffgen und lässt den Blick über sein Fasslager schweifen. Aber: Er mochte immer schon alte Bordeaux-Weine. „Ich hatte in Belgien einen Weinkeller, wir sind mit 4 000 Flaschen hierher umgezogen. Davon waren 3 000 aus dem Médoc.“ Er habe damals schon einen besonderen Geschmackssinn für diese Weine gehabt. „Das hilft mir jetzt enorm. Wenn die Trauben reinkommen, weiß ich, was man daraus machen kann.“
Sie sind über Land gefahren, haben sich das eine oder andere Gut angeschaut, so fanden sie das Chateau Lassus nahe dem Örtchen Bégadan, unweit des Flusses Gironde. Die Chateaus im Médoc sind meist keine Schlösser, sondern oft mehr oder weniger gut erhaltene Gutshäuser. Der Begriff Chateau steht hier für eine Weinlage.Die Begegnung mit dem Winzer Patrick Chaumont erwies sich als Glücksfall. Die Paeffgens übernahmen 2010 den Betrieb. Chaumont verpflichtete sich, sie zwei Jahre lang als Berater zu begleiten. „Das war für mich praktisch die Garantie, dass es gut geht“, sagt Paeffgen. Chaumont hat ihn überall vorgestellt: „Das ist Stefan, der hat meinen Betrieb gekauft.“ Deshalb seien sie bestens aufgenommen worden. „Aber man muss natürlich auf die Dorffeste gehen, die Weine probieren. Und sollte kein dummes Zeug reden.“
Bäuerlich, nicht so hochnäsig
Das nördliche Médoc ist ein bisschen bäuerlicher, nicht so hochnäsig, wie man es weiter südlich, im Haut-Médoc, finden kann. Dort liegen die berühmten Güter – um Pauillac herum und weiter flussaufwärts Richtung Bordeaux: Mouton-Rothschild, Lafite-Rothschild, Margaux. Dort stehen auch wirklich prächtige Weinschlösser. „Bei uns ist das anders“, sagt Paeffgen. „Das sind ganz normale Leute hier.“
Die Paeffgens übernahmen in Bégadan einen mächtigen Investitionsstau. „Von dem Haus standen die vier Wände, das war alles, das Dach war weg.“ Die Sanierung musste schnell gehen, vieles haben sie selbst gemacht, sie mussten schließlich irgendwo wohnen mit ihren drei Kindern. Aber auch die Wirtschaftsgebäude mussten renoviert, der Maschinenpark erneuert werden. „Die ersten sieben Jahre haben wir jedes Jahr zwischen 250 000 und 400 000 Euro investiert“, sagt Paeffgen. Natürlich habe es auch Rückschläge gegeben. Die Bank habe eine Zusage für den Kauf zweier weiterer Chateau-Lagen wieder zurückgezogen. Es gab viele Zweifel, ob der Deutsche mit dem Weinbau im Médoc wirklich Erfolg haben würde. „Meine Frau hat sich da reingefuchst, sie kann inzwischen sehr gut mit wenig Geld auskommen“, sagt Paeffgen.
Zweifelt er manchmal, ob das die richtige Entscheidung war? „Es gibt so Momente, da sagt man sich, meine Güte, wieso habe ich mir so viel Arbeit gekauft. Du hättest dich ja auch an den Strand legen können. Aber das ist nicht so mein Ding.“ Die größten Schwierigkeiten seien die Suche nach guten Mitarbeitern und der Klimawandel. Seit bald anderthalb Jahren hat die Region eine negative Wasserbilanz. Das Grundwasser wird vom salzigeren Wasser der Gironde bedroht, ein Gift für die tiefwurzelnden Reben.
Nebenan lärmen die Söhne bei der Arbeit. Sie reinigen die Stahltanks, in die bald der neue Wein fließen wird. Sie studieren wie einst ihre Eltern Landwirtschaft in Hohenheim, spezialisiert auf Weinbau. In den Semesterferien sind sie hier, helfen bei der Ernte. Es sieht danach aus, dass sie irgendwann hier einsteigen. Aber sie sollen sich noch in der Welt umschauen, noch besser lernen, wie man wirtschaftet, kommuniziert, sich Netzwerke aufbaut, wie man erkennt, dass man nicht am Markt vorbeiproduziert.
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Um im Bordelais als Winzer nicht nur gerade so zu überleben, braucht es mehr, als einfach nur Wein anzubauen. Es gibt ein Überangebot von Produkten nicht ganz so guter Qualität, das drückt die Preise. Viele kleine Güter in der Umgebung verkaufen ihren durchaus ordentlichen Wein ab Hof in Fünf-Liter-Kartons für drei Euro den Liter. Bei Aldi und Lidl gibt es Bordeaux-Weine mit dem Gütesiegel AOC für unter drei Euro pro Flasche. Wer soll davon leben? Da muss man besondere Qualität schaffen, die dann auch hohe Preise erzielen kann. Paeffgen setzt bewusst auf eine naturnahe Bewirtschaftung der Flächen. Seit 2013 ist das Weingut für umweltfreundliches Wirtschaften zertifiziert. Das bedeutet einen weitgehenden Verzicht auf Pestizide. Traditionell wird im Bordelais viel mit Pflanzenschutzmitteln gearbeitet, weil die Reben in dem oft feuchten Klima durch Pilzbefall bedroht sind. Die gesundheitlichen Schäden für die Menschen im Weinbau und die Anwohner durch den Gifteinsatz werden erst jetzt mehr thematisiert. Da haben die Paeffgens schon etwas voraus. Als wir den kühlen Chais verlassen und durch die Rebenfelder zum Gutshaus gehen, weist Paeffgen auf die sichtbaren Unterschiede beim Anbau hin: Zwischen seinen Reben wachsen Gräser und Kräuter. Beim Nachbarn sieht es ordentlicher aus, er hat die natürliche Begrünung weggespritzt. Der naturnahe Anbau, sagt der Winzer, erfordere auch mehr Handarbeit. „Wir fassen jeden Rebstock übers Jahr acht-, neunmal an."
Entdeckung aus dem Médoc
Wir lassen uns an einem Holztisch vor dem renovierten Gutshaus nieder. Von der Gironde weht ein kühlender Wind, der die umstehenden Platanen rauschen lässt. Stefan Paeffgen schwärmt ein wenig von seinen Weinen. Der Chateau Lassus sei ein sehr guter Wein und seit 1932 als Cru Bourgeois eingestuft, eine nur im Médoc übliche Klassifizierung für Qualitätsweine. „Ich könnte doppelt so viel produzieren, das ginge immer noch raus“, sagt er. Derzeit sind es 110 000 bis 160 000 Flaschen pro Jahr. Ganz anders ist der Chateau Le Reysse positioniert. Er entsteht aus Trauben ganz alter Reben auf den besten Lagen, manche Pflanzen sind da über 100 Jahre alt. Manchmal ist der Ertrag pro Hektar hier nur halb so hoch wie bei den anderen Lagen. Le Reysse ist schon oft in Weinmagazinen als Entdeckung aus dem Médoc erwähnt worden. Von ihm gibt es maximal 30 000 Flaschen pro Jahr, eine für 15 Euro.
Heike Paeffgen setzt sich dazu. „Es ist so wunderschön hier“, sagt sie. „Manchmal arbeiten wir so viel, dass wir das gar nicht mehr merken.“ War das Ganze ein Abenteuer? Das könne man schon so sehen, sagt sie. „Aber es war alles sehr gut durchdacht und alles mindestens 20-mal, wenn nicht sogar 100-mal durchgerechnet.“ Klar, sagt ihr Mann, schließlich war er mal Spezialist für Agrarökonomie.