Wein & Sein mit Nikolaus Heidelbach„Wenn Weinkenner da sind, verlasse ich den Raum“
- In unserer Gesprächsrunde „Wein & Sein“ erzählen Prominente, was sie mit Wein verbinden und welche Rolle das Genießen in ihrem Leben spielt.
- Diesmal verkostet der Illustrator Nikolaus Heidelbach mit Romana Echensperger, Chefkorrespondent Joachim Frank und Maria Dohmen verschiedene Weine, die auch für Wein-Liebhaber unter unseren Lesern interessante Tipps sind.
- Im dem anregenden Gespräch geht es natürlich um Wein, aber auch um Kitsch und Kultur für Kinder sowie eine besondere Eigenschaft von Wilhelm Busch.
Romana Echensperger: Herr Heidelbach, das Treffen mit Ihnen ist ein besonderer Moment für mich. Der erste Präsenz-Termin seit dem Lockdown.Nikolaus Heidelbach: Meiner auch. Meine Lage ab März war ganz ähnlich: Zuhause bleiben, möglichst wenig Kontakte. Ich kam dann an den Moment, an dem ich mir gesagt habe: „Augenblick mal! Nimm dir doch jetzt genau diese Situation und schau, ob etwas Komisches daraus entsteht!“ Als erstes fiel mir auf, dass bei mir in Köln-Nippes plötzlich auf viele Fensterscheiben Regenbogen geklebt waren. Aber irgendwer schien den Leuten die falsche Vorlage hingelegt zu haben. Denn auf vielen Fahnen stimmte die Farbfolge nicht. Außer bei den Kindergärten. Da war immer alles richtig. Gefallen hat mir auch, dass einige sich die Theorie zurecht gelegt haben müssen: Geschwindigkeit hilft gegen Corona. Die sind dann im Supermarkt immer ganz schnell an einem vorbei gegangen, aber dafür ganz nah.Sie haben ein Corona-Tagebuch geschrieben und gezeichnet mit lauter surrealen Szenen. Wollten Sie damit sagen, wir leben in absurden Zeiten?
Heidelbach: Schon das Tagebuch als Idee ist gaga. Ich habe das Ich-Prinzip auf die Spitze getrieben, indem ich mir einen Tagebuchautor ausgedacht habe, der Nikolaus Heidelbach ist und seine Notizen bebildert. Das Tagebuch als literarisches Genre ist ja eh ein Paradox. Normalerweise wird es von niemandem gelesen, oder wenn, dann posthum. Aber dann gibt es Tagebücher, die doch schon zu Lebzeiten veröffentlicht werden, und die Autoren, die es darauf anlegen. Seit man Tagebuchnotizen ins Internet stellt, ist die Privatheit ohnehin aufgehoben.
Ihres liegt jetzt schon als Buch vor.
Heidelbach: Ich habe noch nie so schnell ein Buch gemacht. Weil sich für mich durch Corona ja auch nichts geändert hat. Ich sitze jeden Tag da und zeichne. Mal länger, mal kürzer. Zwischen neun und zehn Uhr fange ich an, und dann bis sechs Uhr abends. Seit ich 15 bin, habe ich das eingeübt. Irgendwann hat es funktioniert. Ob das nun Homeoffice heißt oder nicht, ist für mich egal. Es hat einfach mit einer gewissen Form von Fleiß zu tun, die mir eigen ist. Mein großer Kollege Hans Traxler hat mal gesagt: Um Zeichner zu sein, braucht man einen Bronze-Arsch. Das Problem mit dem Tagebuch war, dass einige Buchhändler Bedenken hatten: Über Corona macht man keine Witze! Ich kenne aber nichts, absolut nichts, worüber man keine Witze macht. Deshalb war mir das auch egal. Außerdem kannte ich die Einwände schon aus meiner Anfangszeit. Da sagten Buchhändler auch: „Ihre Bilder sind nichts für Kinder.“
Echensperger: Ihre Kinderbilder sahen ja auch ganz anders aus als sonst in Kinderbüchern: hässlich und dick. Auf dieses Stichwort hin habe ich unseren ersten Wein ausgesucht: einen richtig fetten Chardonnay.
Heidelbach: Oh Mann! Jetzt muss ich überlegen: Welches meiner Motive könnte sie noch zu einer Weinauswahl inspiriert haben? Hoffentlich keine toten Tiere.
Wie kommt es zum Eindruck eines „fetten“ Weins?
Echensperger: Eine geringe Erntemenge bei den Trauben, viel Extrakt, hoher Alkoholgehalt, Lagerung im Holzfass, in dem der Wein Gerbstoff aufnimmt. Das alles führt im Mund zu einem Gefühl von Opulenz und Schmelz.
Heidelbach: Fett waren meine Kinder übrigens wirklich nur am Anfang. Eigentlich wurden sie mit der Zeit immer dünner. Aber das Label blieb: Heidelbachs dicke, hässliche Kinder. Mir ist es ziemlich egal, dass die meisten meine Kinderfiguren nicht für schön halten. Ich betone aber: Ich habe sie alle gesehen! Kinder sind nämlich nicht von Beruf niedlich. Eine Stunde auf einem Spielplatz – und Sie werden mir zustimmen. Ich bin deshalb für ein großes Kinderbild und nicht nur für den kleinen, süßen Ausschnitt. Außerdem kann man etwas Hässliches sehr schön zeichnen. Umgekehrt ist eine so beliebte Kinderbuch-Figur wie Willi Wiberg eines der hässlichsten Kinder, das ich aus der Literatur kenne. Bei dieser Strichmännchen-Ästhetik stört das nur keinen. Für meine Figuren lege ich Wert auf Genauigkeit: Die Haut, die Mimik, die Körperhaltung, das muss alles stimmen. Aber das kommt manchen Leuten zu nah. Ich habe unterdessen eine ganze Sammlung, was Leute alles für anstößig halten.
Zum Beispiel?
Heidelbach: Die hellen Stellen auf der Haut, wo sich die Badehose oder der Badeanzug abzeichnet, die man vorher getragen hat. Neeein, hieß es, das zeigt man doch nicht! Dabei hat schon Jan van Eyck (1390 bis 1441), für mich der größte Maler aller Zeiten, auf dem ersten großen Aktgemälde – Adam und Eva auf dem „Genter Altar“ – den Unterschied zwischen gebräunten Armen und weißem Körper dargestellt.
Zur Serie
In unserer Gesprächsrunde „Wein & Sein“ erzählen Prominente, was sie mit Wein verbinden und welche Rolle das Genießen in ihrem Leben spielt. Diesmal verkostet Nikolaus Heidelbach mit Romana Echensperger, Chefkorrespondent Joachim Frank und Maria Dohmen verschiedene Weine, die auch für Wein-Liebhaber unter unseren Lesern interessante Tipps sind. Gäste waren u.a. schon Richard David Precht, Thea Dorn und die Ethikerin Christiane Woopen.
Dass Kinderbuchfiguren wie Willi Wiberg so gut ankommen – ist das eine narzisstische Kränkung für den Künstler Heidelbach?
Heidelbach: Na klar, alles, was Erfolg hat außer mir, ist eine Kränkung. (lacht) Nein, im Ernst, ich empfinde sogar eine Art – wie soll ich sagen – distanzierte Bewunderung. Das muss man ja erst mal schaffen. Und eine Verselbstständigung und Kommerzialisierung ihrer Figuren haben ja auch große Kollegen erlebt. Ich weiß von Janosch, dass er sich über die Tigerente auf Tassen beschwert hat. Auch Zeichner wie Helme Heine oder Axel Scheffler stehen im Grunde kritisch zu dem Merchandising-Betrieb rund um ihre Figuren – Heimes tierische „Freunde“ etwa oder Schefflers Grüffelo. Aber die Wahrheit ist doch auch: Wer hätte am Ende etwas dagegen? Wenn meine Figuren plötzlich auf Tellern und Tassen auftauchen würden, gäbe es wahrscheinlich eine Frühstückskrise: „Nimm doch noch ein Schlückchen aus der Dicke-Kinder-Tasse!“ Problematisch finde ich es eigentlich nur, wenn man Kindern keine Kunst zumutet, sondern bloß Kitsch.
Warum?
Heidelbach: Kinder gucken sich alles an – von Kitsch bis Kunst. Die unterscheiden zunächst mal nicht nach Qualität. Bis sie ein differenziertes Bildverständnis und ein Geschmacksurteil entwickeln, das dauert. Aber die Zeit davor ist keine verlorene Zeit und schon gar kein Grund, ihnen permanent Mist vorzusetzen. Man darf Kindern ab und zu ruhig auch etwas Gutes zeigen. Und dann immer gleich zu behaupten, „ach, das verstehen die doch noch nicht“, so etwas ärgert mich. Alle meine Erfahrungen mit Kindern sprechen dagegen.
Echensperger: Wie kommen Sie an Ihre Motive?
Heidelbach: Durch erinnern und beobachten. Bestimmte Sachen aus meiner Kindheit habe ich einfach nicht vergessen: Wie fühlt sich ein kleiner Junge, der auf den Fußballplatz kommt, und alle anderen sind schon da? Was ihm dann nicht alles durch den Kopf geht: Hab’ ich die richtigen Schuhe an? Sind meine dicken Strümpfe okay? Was werden die dazu sagen, dass meine Torwarthose eigentlich eine Eishockey-Hose ist? Solche Gedanken kenne ich noch gut. Ich glaube, deshalb fällt es mir leichter, mich in Kinder hineinzuversetzen. Und dann kennt wohl jeder Autor die Erfahrung, dass die Beschäftigung mit einem Thema die Einfälle hervorbringt, die man braucht.
Auch davon können Sie bestimmt erzählen.
Heidelbach: Mein Lieblingsbeispiel: Als ich die Märchen von Hans Christian Andersen illustriert habe, suchte ich nach einer Idee dafür, wie wohl das Lieblingspferd des Königs aussieht. Am nächsten Tag ging ich mit meinem Sohn in die Apotheke und nahm für ihn die Kinder-Apothekenzeitung mit und fand darin ein dänisches Pferd, das mit seiner blonden Mähne ungefähr so aussah wie Agnetha, die Sängerin von Abba. Und schwupps, da hatte ich mein Pferd.
Zufall? Oder doch nicht?
Heidelbach: Das ist kein Zufall, nein. Man schaut sich die Welt eben immer unter einem bestimmten Blickwinkel an. Ich gucke mich die ganze Zeit um. Die Bilder laufen einem zu wie Geschenke. Und man muss sie nur noch zu Ende denken – mit allen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten.
Was meinen Sie mit „zu Ende denken“?
Heidelbach: Auch dazu ein Beispiel, das Ihnen bestimmt gefällt, Frau Echensperger: In einem Weinbuch, das ich mal zusammen mit Wiglaf Droste und Vincent Klink gemacht habe, gibt es die Zeichnung, wie eine Flasche Bordeaux im Jahr 43 nach Christus aus dem Meer krabbelt und an Land geht. Mal wieder ziemlich absurd. Scheinbar. Aber ich habe einfach den Gedanken zu Ende gedacht, dass Weine eine Entwicklung durchmachen – eine Evolution sozusagen. Ich habe dafür sogar recherchiert: Tatsächlich soll der Wein im 1. Jahrhundert nach Frankreich gekommen sein.
Sind Sie Weinkenner?
Heidelbach: In meiner letzten Blindverkostung habe ich auf Anhieb drei Jahrgänge erkannt und die Rebsorte… (Pause) Unsinn, ich habe natürlich überhaupt nichts erkannt. Das war nur die Parodie auf jemanden, den ich kenne. Weinkenner sind etwas Furchtbares. Wenn Weinkenner da sind, verlasse ich sofort den Raum.
Echensperger: Ich auch.
Heidelbach: Meine Mutter hat mal zu einem gesagt: „Ach, wissen Sie, ich mag eigentlich jeden Wein.“ Ein Akt schierer Notwehr, weil sie dachte: „Wenn er jetzt noch einen einzigen geschraubten Satz über Wein von sich gibt, platze ich.“
Echensperger: Dann spare ich mir mal alle Weinkenner-Sätze zum nächsten Wein. Es ist ein Rosé namens „Bone dry“, knochentrocken. Daher der Totenschädel auf dem rosafarbenen Etikett.
Heidelbach: Ist ja … ekelhaft (lacht). Aber beruhigend, dass selbst Sie den Wein nach dem Etikett aussuchen. So mache ich das nämlich auch häufig.
Echensperger: Dieses Etikett will uns sagen: Achtung! Das hier ist kein niedlicher Hello-Kitty-Rosé!
Heidelbach: Kitty? Ich kenne keine Kitty. Aber ich warne Sie: Schon bei der Erwähnung dieses Namens antworte ich mit so derben Obszönitäten, dass Sie das anschließend niemals drucken könnten.
Echensperger: Eigentlich wollte ich mit Ihnen ja auch über Ihr Buch „Rosel von Melaten“ reden, zumal wir hier in der Weinbar des Restaurants Zippiri direkt gegenüber dem Friedhof sitzen. Es geht um Gewalt, Kindesmisshandlung und um den Tod. In einem Kinderbuch?
Heidelbach: Lassen Sie das Etikett „Kinderbuch“ weg, schon sind diese Bedenken entschärft. Ich bin allerdings sehr wohl der Ansicht, es ist ein Kinderbuch. Nicht für Fünfjährige vielleicht, aber für etwas Ältere. Durch die Auseinandersetzung mit so schweren Themen verderbe ich kein Kind, sondern biete ihnen etwas an zu einer Wirklichkeit, die nicht zu leugnen ist: Gefährdung der Kindheit. Damit wollte ich mich beschäftigen – aus Kindersicht. Mir kam dafür Grimms Märchen „Das eigensinnige Kind“ unter, eines der kürzesten Stücke der ganzen Sammlung.
Worum geht es?
Heidelbach: „Es war einmal ein eigensinniges Kind, das tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm, ließ es krank werden und sterben.“ Das Kind wird begraben. Aber dann streckt es aus dem Grab unablässig eine Hand heraus und winkt. Bis die Mutter hingeht und die Hand mit einer Rute schlägt. „Da hat das Kind Ruhe unter der Erde.“ Ende des Märchens. Aus diesem Kind wurde Rosel, meine Rosel, die einmal im Monat in ihrem weißen Totenkleid aus ihrem Grab steigt und durch Köln schwebt, um andere Kinder vor tödlicher Gewalt zu retten. Leider immer zu spät.
Sehr grausam, sehr verstörend.
Heidelbach: Ich will die Grausamkeit nicht forcieren, aber ich will sie auch nicht weglassen. Und ich habe überlegt: Wie sieht denn in einer so schlimmen Geschichte die Lösung aus? Aber dann habe ich gedacht: Es gibt keine Lösung. Deshalb muss Georg, der sich in Rosel verliebt und ihr helfen will, selber auch sterben. Die Geschichte endet damit, dass sie beide zu zweit jeden Monat aus Rosels Grab heraus steigen und als Beschützer anderer Kinder durch Köln schweben. Das ist das einzige Trostangebot. Wenn man Dinge wie Kindesmisshandlung ernst nimmt, werden sie nicht einfach irgendwann „wieder gut“. Man kann nur hoffen, dass sie besser werden.
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Ihre eigene Kindheit beschreiben Sie eher als unbeschwert.
Heidelbach: Ich stamme ja aus der ehemaligen Weinstadt Braubach am Rhein. Noch in meiner Kindheit war das eine Weingegend. Mit meinen vier Geschwistern bin ich auf einer alten Burg am Rheinufer aufgewachsen, der Philippsburg. Die Wände waren zwei Meter dick. Noch jedes Haus, in dem ich seither gewohnt habe, kam mir ein bisschen fadenscheinig vor. Denn was ist das schon im Vergleich mit einer richtigen, echten Burg? So etwas prägt. Meine Buchfigur Königin Gisela lebt in einer nur leicht abgewandelten Philippsburg. Sogar der Pumpenbrunnen ist authentisch, genau wie der Garten und der Blick über die Bahnlinie, die hinter der Burg verlief. Als Kinder sind wir stundenlang durch die umliegenden Weinberge und Gärten gestreift. Wir fühlten uns in einer absoluten Idylle, bis sich herausstellte, dass der ganze Boden dort vom Blei- und Silberabbau vollkommen verseucht war. Da hatten wir aber schon jahrelang Trauben aus dem Wingert gegessen und in den Schrebergärten Obst geklaut. Irgendetwas in mir müsste eigentlich metallisch sein. Am Flughafen mache ich mich deshalb immer auf Schwierigkeiten gefasst.
Echensperger: Zum Schluss habe ich jetzt noch einen portugiesischen Rotwein für Sie, eine sehr schöne Cuvée aus den typischen Portwein-Rebsorten. Aber ich gebe zu, mir ging es wieder ums Etikett: das kölsche Grundgesetz in zehn kleinen Zeichnungen. Ich dachte, das könnte Ihnen gefallen.
Heidelbach: Diese Briefmarken-Optik mit den Zacken hier kommt mir irgendwie bekannt vor – aber mit anderen Motiven…
Echensperger: Stimmt! Der Winzer hat Etiketten für verschiedene Länder machen lassen – und eines für Köln. Die Zeichnungen erinnern mich irgendwie an Wilhelm Busch. Sind Sie eigentlich ein Fan des Zeichners Wilhelm Busch?
Heidelbach: Welcher Zeichner wäre das nicht? Der Mann ist einfach großartig. Und weil wir es doch vorhin mit „Heidelbachs hässlichen Kindern“ hatten: Schauen Sie sich bitte mal Max und Moritz an, was das für zwei Typen sind! Oder zeigen Sie mir eine einzige Figur bei Wilhelm Busch, die schön wäre! Kommt nicht vor, gibt’s nicht. Deswegen ist Busch meiner Meinung nach einer, der auch Juden karikieren darf. Manchmal ist auch er, keine Frage, nahe an antisemitischen Klischees. Aber ich würde trotzdem sagen, es geht.
Warum?
Heidelbach: Weil Wilhelm Busch mit allen gleich verfährt. Er hatte einfach einen unglaublich scharfen Blick für Menschen – und für menschliche Typen. Nehmen Sie zum Beispiel einmal seine Witwe Bolte oder den Schneider Böck – wie präzise die charakterisiert sind, entlarvend, aber nicht denunzierend. Wegen seiner ungebrochenen Popularität hat man sich vielleicht schon zu sehr an diese Meisterschaft gewöhnt... Darum kontere ich manchmal auch Busch-Zeichnungen. Schaue sie mir also spaßeshalber seitenverkehrt an.
Hat Sie die politische Karikatur gereizt?
Heidelbach: Ich glaube – nicht. Dabei bin ich ein großer Bewunderer Ihres langjährigen Karikaturisten Walter Hanel. Wie er es geschafft hat, eine Figur wie Hans-Dietrich Genscher so zu zeichnen, dass sie am Ende zwar kaum mehr etwas mit dem Original zu tun hatte und trotzdem jeder Genscher sofort erkannte – das war schon große Klasse! Meine allerersten Versuche als Zeichner waren übrigens von Hanel angeregt – und vom „Kölner Stadt-Anzeiger“. In meiner Jugend gab es in der Zeitung am Wochenende die Beilage „Bunte Blätter“. Für die habe ich einmal etwas abgegeben. Das Blatt hieß „Von Fall zu Fall“ und zeigte, glaube ich, einen Gehängten an einem Fallschirm im Hanel-Stil. Ich brachte es ins Redaktionshaus auf der Breite Straße. „Schmeiß es in den Karton da, mit deiner Adresse hinten drauf!“, bekam ich gesagt. Ich hatte die Sache schon vergessen, da schrie eines Freitagabends – die Frühausgabe vom Samstag-„Stadt-Anzeiger“ war schon da – mein Bruder durchs ganze Haus: „Von dir ist was in der Zeitung!“ Das war meine erste Veröffentlichung.
Das Gespräch führten Maria Dohmen und Joachim Frank
Sieben Fragen an Nikolaus Heidelbach
Welchen Wein haben Sie zuletzt verschenkt?
Ich verschenke lieber Bücher.
Welchen Wein kaufen Sie dann für sich selbst?
Zurzeit gerne einen Italiener, der so heißt wie der Käse: Pecorino. Im Weinladen Kleefisch in Nippes, der praktischerweise zehn Meter von meiner Wohnung entfernt ist, gibt es einen sehr guten – mit einem schönen Etikett. Ich gebe zu, Wein kaufen ist bei mir auch eine Frage der Optik.
Lassen Sie sich dann beraten?
Mit Julius Kleefisch, dem früheren Chef der besagten Weinhandlung, habe ich gerne Fachgespräche geführt. Ich bin nicht sicher, ob es Höflichkeit oder Entgegenkommen seinerseits oder einfach nur eine gemeinsame Überzeugung war, dass er mir sagte: Ab 30 Euro hat der Preis einer Flasche Wein nichts mehr mit der Qualität zu tun. Man zahlt fürs Renommee. In jedem Fall war das sehr nett von ihm. Denn natürlich stehen auch die teuren Bordeaux da – Petrus und wie sie alle heißen.
Ihr schönstes Weinerlebnis?
Im Familienurlaub in Griechenland mit 15 das erste Glas kalter Retsina. Der Harzgeschmack gehört zu meinen unvergesslichen Jugenderlebnissen.
Wann geht Wein bei Ihnen gar nicht?
Ich weiß, dass mir manche Dinge unter Einfluss von Wein eingefallen sind. Aber ich zeichne nicht unter dem Einfluss von Wein. Das Ergebnis eines frühen Selbstversuchs war in diesem Fall verheerend. Außerdem lasse ich Wein für eine bestimmte Zeit im Jahr weg. Zur Selbststärkung. Das ist eine Art Fastenzeit – aber ohne alle religiösen oder sonstigen Hintergründe.
Welche unangenehme Erinnerung verbinden Sie mit Wein?
Bei Mosel-Riesling spielt mein Körper verrückt. Das weiß ich seit 40 Jahren, als ich ihn auf einer Mosel-Tour mit Freunden zum ersten Mal probiert habe. Nach zwei Flaschen hatte ich das Gefühl, ich hätte Drogen genommen. Komplett aufgedreht. An Schlaf war nicht zu denken. Oder, wie meine Mutter es formuliert hätte: Ich stand im Bett. Das hat nach meiner Erinnerung drei, vier Stunden angehalten – und muss mit dem Wein zu tun gehabt haben. Ich habe diese Weinstörung jedenfalls mehrfach überprüft, und bei jedem noch so zaghaften Versuch mit Mosel-Riesling stellte sich derselbe Effekt ein. Für manche Weinkenner ist ein Leben ohne Riesling unvorstellbar. Bei mir geht es nur ohne. Denn ich bin zwar gerne wach, aber eben nicht überwach.
Mit wem würden Sie gern einmal ein Glas Wein trinken?
Mit Jan van Eyck. Dann wüsste ich endlich, ob das berühmte Gemälde „Mann mit dem roten Turban“ von 1433 in der Londoner National Gallery wirklich ein Selbstporträt ist.
Romana Echensperger stellt die verkosteten Weine vor
Der Rosé
Rosé ist ein Weinstil, dem oft nichts zugetraut wird. Gerne kommt dann Kitsch ins Spiel: Man füllt süßliche, vordergründig fruchtige Weine ab und verziert die Flaschen mit geblümten Etiketten in Pastell. Der „Bone Dry“ aus der Pfalz setzt einen klaren Gegenpol. Das Label zeigt kunstvoll drapierte Trauben, die sich wie bei einem Gemälde von Giuseppe Arcimboldo zu einem Totenschädel zusammenfügen. Von süßlich keine Spur. Der lachsfarbene Rosé wird aus Spätburgunder-Trauben gekeltert und ist, wie der Name verrät, knochentrocken, allerdings ohne spröde zu wirken. Im Aroma zeigen sich Noten von roten Beeren, saftigen Kirschen, Hibiskus sowie Kräutern. Die Säure ist angenehm frisch und ein zupackender Gerbstoffbiss im Finish sorgt für Raffinesse – was nicht nur im Sommer schmeckt.
2019 Bone Dry Rosé / Reichsrat von Buhl / Pfalz / 9,50 Euro – bei Weinpunkt / Antwerpener Straße 9-11 / 50672 Köln
Grüner Veltliner
Dem Protagonisten in Heidelbachs Corona-Tagebuch begegnet ein betrunkener Saibling. In einem der vielen Zimmer lehnt der einfach so an der Wand. Als Sommelière würde ich dazu einen Grünen Veltliner empfehlen, denn einen ausgenüchterten Saibling könnte man in Butter braten und mit Dill-Gurken oder Petersilienkartoffeln servieren. In Kombination mit diesem feinen Weißwein, der nach Aromen von Birnenschale, gelben Früchten, Wiesenkräutern sowie grünen Pfeffernoten duftet, sicher ein Gedicht. Grüner Veltliner gehört als universeller Essensbegleiter neben Mehl, Zucker, Dosentomaten und Toilettenpapier in jeden Vorratskeller. Dieser Wein ist trocken, mittelkräftig, fein würzig, verfügt über einen dezenten Schmelz und hat unserem Gast ausgesprochen gut geschmeckt – auch ohne Saibling.
2019 Grüner Veltliner / Weingut Loimer / Kamptal / 9,75 Euro – bei Kölner Weinkeller / Stolberger Straße 92 / 50933 Köln
Chardonnay
Chardonnay kann schlank aber auch herrlich fett sein. Dieser hier ist eindeutig letzteres. Fritz Wieninger hat in der Lage Bisamberg gepflanzt, wo die Reben in Sichtweite zur Stadt Wien wachsen – sonnenverwöhnt auf sehr kalkreichen Böden. Der Chardonnay bedankt sich mit einem Wein, der mit sattem Hellgelb ins Glas läuft und beim Schwenken hohe Viskosität verrät. Das Bukett ist üppig mit Aromen von exotischen Früchten, Haselnüssen und Nougat. Die Noten von Vanille und Toast verraten den Ausbau in teilweise neuen Barrique-Fässern. Am Gaumen zeigt der Wein viel Schmelz und Saftigkeit, ebenso kommen die Röstnoten vom Holzfasseinsatz zum Vorschein. Die 13,5 Prozent Alkohol sind gut eingebunden und im Nachhall wirkt die Opulenz noch lange nach. Für alle, die Weine mit Fülle schätzen.
2016 Chardonnay Select / Weingut Wieninger / Wien / 24,50 Euro – bei Weinkontor Lindenthal / Geibelstraße 33 / 50931 Köln
Aus Portugal
Das Weingut Niepoort ist einer der bekanntesten Betriebe im portugiesischen Douro-Tal. Neben legendären Portweinen mit viel Reife werden auch trockene, süffige Rotweine wie der „Fabelhaft“ bereitet. Er ist eine Cuvée aus heimischen Rebsorten wie Touriga Nacional und zeichnet sich durch Trinkfreudigkeit aus. Dunkel-Rubinrot läuft er ins Glas und verströmt saftige Aromen von Süßkirsche, Maulbeere, Zartbitterschokolade, schwarzem Pfeffer und Eukalyptus. Ein moderates Tanningerüst macht es möglich, den Wein auch leicht gekühlt zu servieren. Das Etikett ist eine Besonderheit. Normalerweise zieren Illustrationen von Wilhelm Buschs Raben Huckebein den „Fabelhaft“. Für Köln gibt es aber auch die von Wimmelbild-Zeichner Andreas Ganther gestaltete Version des kölschen Grundgesetzes.
2019 Fabelhaft – Köln Edition / Niepoort / Douro – Portugal / 8,99 Euro – bei Rewe Rahmati / Hohenstaufenring 29 – 37 / 50674 Köln
Zur Person
Nikolaus Heidelbach, geb. 1955 in Lahnstein/Rhein, entdeckte früh seine Leidenschaft fürs Zeichnen. In Berlin und Köln studierte er Germanistik, Kunstgeschichte und Theaterwissenschaften. Seit einer gefühlten Ewigkeit lebt er in Nippes, „praktischerweise“ gegenüber der alteingesessenen Weinhandlung Kleefisch. Für seine Kinderbücher und Illustrationen hat Heidelbach zahlreiche Preise erhalten. Den Lockdown nutze er für sein Corona-Tagebuch „Alles gut?“.
Das Buch
Nikolaus Heidelbachs neues Buch kann als Verlängerung unseres Interviews gelesen werden. Darin versucht der Protagonist in einer Art Tagebuch, sein Leben in der Corona-Krise im Griff zu behalten:
„Alles gut?“, Kampa Verlag, 64 Seiten, 16 Euro
Romana Echensperger ist Wein-Journalistin und unsere Kolumnistin. Seit 2015 darf sie den Titel „Master of Wine“ tragen. Echensperger arbeitet international als Dozentin und Beraterin. Gerade ist ihr Buch „Von der Freiheit, den richtigen Wein zu machen“ über biodynamischen Weinbau im Westend Verlag erschienen. Nicht nur Nikolaus Heidelbachs Wein-Geschmack interessierte sie sehr, sondern auch sein Blick auf Kinder. Im Sommer kam ihr zweiter Sohn zur Welt.