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8 Architektur-Spaziergänge in Köln und NRWGerling-Quartier als geheimer Rückzugsort

Lesezeit 7 Minuten
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Das Areal ist vor allem eindrucksvoll in seinen Dimensionen: Bürobauten, Hochhaus und Hof samt Brunnen und Kunst am Bau umfassen 46000 Quadratmeter.

  1. Das Gerling-Quartier liegt mitten in Köln, direkt an der ehrwürdigen Kirche St. Gereon.
  2. Hier findet man bei einem Spaziergang einen spannenden Mix aus moderner und historischer Architektur.
  3. Wir haben außerdem Tipps für weitere faszinierende Architekturspaziergänge in NRW gesammelt.

Das Besondere ist das, was nicht da ist. Es sitzen nur wenige Menschen hier, es gibt keinen Lärm. Mitten in Köln. „Das war auch schon vor der Pandemie so“, sagt Ira Scheibe. Die Architekturhistorikerin wohnt ganz in der Nähe und schätzt den Platz am Gereonskloster als noch geheimen Rückzugsort in der sonst umtosten Innenstadt. Das Publikum hier unter den Platanen sei ein eher dezentes. Es ist die Kulisse, die den Köln-untypischen Ton setzt. An der einen Seite die ehrwürdige Kirche St. Gereon und gegenüber das ehemalige Stadtarchiv, in dem sich heute das Hotel „Qvest“ um eine stilbewusste Kundschaft bemüht.

Dessen Inhaber Michael Kaune lebt in diesem neogotischen Gemäuer seine Begeisterung zum Design aus, vor allem für das Bauhaus. Und zu beiden Seiten des Gebäudes hat der Mann ähnlich anspruchsvolle Spuren hinterlassen: Als Mitbetreiber des Restaurants „La Fonda“. Und als Galerist in der Kapelle, die bis vor einigen Jahren in einem Bürohaus versteckt war. Jetzt steht der Ausstellungsraum frei. Zugänglich für jeden Kunstfreund an einem schmalen Weg zum so genannten Gerling-Quartier. Zufällig kommt aber nur selten jemand vorbei. Wer hier durchgeht, hat es sich vorher gut überlegt.

Fremden Teil von Köln kennenlernen

Ira Scheibe hat in Florenz studiert und in Sevilla. Die 55-Jährige kennt die schönen Plätze dieser Welt und sieht deshalb etwas verhalten auf den Ehrenhof, der sich hinter der Kapelle so prätentiös darbietet: Wie ein Teller mit ausgesuchten Delikatessen, von dem aber nicht jeder essen soll. „Es gab eigentlich nie einen Grund, einfach so diesen Ort aufzusuchen“, stellt Scheibe fest. Früher kamen die Konzernmitarbeiter – es waren einmal 5000. Heute kommen die Bewohner. Alle anderen brauchen wohl noch eine Anleitung für diesen Platz. Wie umgehen mit dessen Großspurigkeit?

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Ira Scheibe ist Architekturhistorikerin. Die Verwandlung des Quartiers hat sie auch als Nachbarin verfolgt.

Einordnung bietet Ira Scheibe, die die Verwandlung des Quartiers auch als Nachbarin verfolgt hat. Bei ihr melden sich vor allem Kölner, die sich den fremden Teil ihrer Stadt genauer ansehen wollen, ehemalige Gerling-Mitarbeiter und Schweizer. Die interessieren sich dafür, wie man mit der Baukunst der 50er Jahre umgehen kann.

Eine Stadt in der Stadt

Das Areal ist vor allem eindrucksvoll in seinen Dimensionen. Bürobauten, Hochhaus und Hof samt Brunnen und Kunst am Bau umfassen 46000 Quadratmeter. Eine Stadt in der Stadt. Der größte Teil steht unter Denkmalschutz. Was der Versicherungsunternehmer Hans Gerling damals in den Wirtschaftswunderjahren erbauen ließ, war schlicht auf Repräsentation aus. „Die heroische Anmutung war im bürgerlichen Köln nicht überall gerne gesehen“, sagt Scheibe. Die Monotonie der Fassadenraster, die Symmetrie und schiere Größe erinnerte an das Pathos des Dritten Reiches. „Die damals engagierten Architekten gehörten ja zum Planungsstab des Generalbauinspektors Albert Speer.“ Und der als Generalplaner eingesetzte Architekt war Arno Breker, ein Freund der Familie. Als protegierter Künstler des NS-Systems eine hoch umstrittene Person.

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Der Blick auf den Platz am Gereonskloster.

Das Ensemble wurde 2006 nach dem Ende des Unternehmens verkauft und sollte zu einem lebendigen Quartier werden. 15 Jahre und einige Eigentümerwechsel später ist das Projekt noch nicht abgeschlossen. Das Viertel wurde mit rund 18 000 Quadratmeter an Raum nachverdichtet und wird jetzt teuer bewohnt. Viel Geld ist in das Projekt geflossen, um denkmalgerecht zu sanieren. Das Hochhaus zum Beispiel musste bis auf sein Stahlskelett komplett entkernt werden.

Architektonisch viel zu entdecken

Jetzt steht der Platz in merkwürdig luxuriöser Abgeschiedenheit da. Die Straße gibt es nicht mehr. Damit fehlt aber auch eine Einladung, den Ehrenhof zu betreten. Und zu bleiben. Man stiehlt sich, von den Blicken eines Wachmannes begleitet, hinein und wieder hinaus. Die Putten im Brunnen reiten die meiste Zeit ganz ohne Publikum auf den Delfinen. An Karneval, so Scheibe, trugen die Delfine rote Nasen. Immerhin.

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Moderne Architektur mit ein wenig Grün im Gerling-Quartier.

Dabei gäbe es vieles zu entdecken. Allein die Helligkeit, die von dem Naturstein ausgeht. „Überall Trosselfels und Muschelkalk – das hat schon was Mediterranes.“ Oder die geometrischen Spiele an den Fensterbrüstungen, die sich im Pflaster widerspiegeln. Nicht zuletzt das westliche, zeitgenössische Torhaus, das einzige gläserne Gebäude mit den filigranen Reminiszenzen an die 50er. Ein Restaurant wäre wunderbar, das Erdgeschoss aber steht schon wieder leer.

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Ein paar Löwenköpfe an der Wand weiter, steht Scheibe vor dem Trakt mit dem ehemaligen Chefbüro und versucht zu formulieren, woher die heutige Faszination rührt. „Es ist vielleicht die Erinnerung daran, dass man in Köln mal so verschwenderisch mit Platz umgegangen ist.“ Man ließ den Raum wirken. Er wirkt auch jetzt noch. Nun müsste er zugänglich gemacht werden.

Dem Leben der Stadt zugewandt ist bislang nur das Gebäude der ehemaligen Schalterhalle. Auch wenn das Geschäft mit den Privatkunden damals tatsächlich nur einen kleinen Teil ausmachte: Auch sie empfing Gerling draußen mit monumentaler Geste und drinnen mit schwarzem Marmor. In diesen Rundbau ist das „Hotel 25hours the Circle“ eingezogen und hat mit seiner offenen Art die vornehme Zurückhaltung aufgegeben. Jeder kann hoch in die Bar und sich vom Panorama-Teller solange nehmen, wie er mag.

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Das Gerling Quartier besticht durch seine Weitläufigkeit – und die Ruhe.

Die Führung durch das Gerling-Quartier dauert zwei Stunden, kostet 18 Euro und findet unter den jeweils aktuellen Hygienebedingungen statt. Termine: 26. August und 16. September, jeweils 17 Uhr. E-Mail: scheibe@koelnarchitektur.de, Telefon: 0221/1399955

www.koelnarchitektur.de

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