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Interview mit Bruce Springsteen„Es wird eine Explosion geben auf der Bühne“

Lesezeit 7 Minuten

Bruce Springsteen

  1. Der Musiker Bruce Springsteen im Interview über sein neues Album, die Studio-Arbeit mit der E-Street-Band und die Sehnsucht in Corona-Zeiten wieder auf der Bühne zu stehen.

Der Boss, von Hause nicht unbedingt ein Fan technischer Neuerungen, lud Anfang Oktober zum Zoom-Gruppeninterview mit europäischen Journalisten. Nun sitzt Bruce Springsteen, 71, also in grauem Wollpulli und mit gesunder Gesichtsbräune vor dem Bildschirm, schließt beim Sprechen manchmal die Augen und erzählt mit seiner hypnotisch-rauen Sprechstimme über „Letter To You“, sein neues, rundum überzeugendes und wirklich sehr intensiv nach Springsteen klingendes, Album. Nach der Autobiographie „Bruce Springsteen: Born To Run“, seiner Broadway-Solo-Show und dem Orchesteralbum „Western Stars“ lässt er es, gemeinsam mit seiner E Street Band, wieder hymnenhaft krachen.

Mr. Springsteen, wie geht es Ihnen?

Es geht mir großartig. Ich sitze gerade in meinem Studio in New Jersey. Einer von uns ist eigentlich immer hier drin, entweder ich oder meine Frau Patti Scialfa, die gerade an ihrem eigenen, wirklich tollen Album arbeitet.

Wann war Ihnen klar, dass Sie wieder eine Platte mit der E Street Band machen wollten?

Die Arbeit mit der Band ist eine zyklische Angelegenheit. Wir machen etwas zusammen, und dann ziehe ich auch mal los und widme mich unterschiedlichen anderen Projekten, was immer mich so umtreibt. Früher oder später segele ich aber immer wieder zurück zu meiner Band.

Und was hat Sie jetzt dazu bewogen?

Ich dachte mir „Hey, ich will endlich wieder rausgehen und spielen“. Ich wusste, dafür brauche ich die einmaligen Damen und Herren der E Street Band. Und ich hatte im Hinterkopf, dass ich wohl ein neues Album machen sollte. Bloß fehlten mir zu dem Zeitpunkt noch sämtliche Songs. Ich hatte seit sechs oder sieben Jahren keine Rocksongs mehr geschrieben, und die kommen ja nicht aus heiterem Himmel angeflogen. Was mir fehlte, war die Inspiration.

Und dann starb 2018 Ihr Freund George Theiss, mit dem Sie in den späten Sechzigern in Ihrer ersten Band The Castiles spielten.

Ich verbrachte einige Tage an seinem Sterbebett, und als er tot war, fiel mir auf, dass ich jetzt der letzte bin, der von den Castiles noch lebt. Ein seltsames Gefühl. Ich kam nach Hause und schrieb „Last Man Standing“. Ich spürte, jetzt habe ich mein Thema: Die Musik als solche, das Gefühl, Teil einer Band zu sein, Rock’n’Roll. In weniger als zehn Tagen schrieb ich dann so gut wie alle der Songs, die jetzt auf dem Album sind.

Sie greifen auch wieder die Vergänglichkeit und Schönheit des Lebens als solches auf.

Oh ja. Die Freuden und die Hoffnungen, die damit einhergehen, dass man lebt, dass man da ist, die inspirieren mich sehr. Ich denke, ich bin ein spiritueller Songwriter. Ich spreche deine Füße an, dein Herz, und ganz besonders spreche ich zu deiner Seele.

Es heißt, Sie hätten die Songs auf einer ganz besonderen Gitarre komponiert.

Das stimmt. Ein junger Kerl, ich glaube aus Italien, schenkte mir das Instrument eines Abends, als ich am Broadway auftrat. Ich nahm die Gitarre mit heim und stellte fest, dass ich es sehr angenehm fand, auf ihr zu spielen. Ich ließ sie im Wohnzimmer stehen, und als ich den Drang zu schreiben verspürte, nahm ich sie zur Hand. Ich bin überzeugt, dass jede Gitarre eine Seele hat und eine ganz besondere Magie.

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„Letter To You“ ist das erste Album seit „Born In The U.S.A.“, das Sie mit Ihrer Band live und ohne nennenswerte Nachbearbeitung eingespielt haben.

Ja. Ich wollte noch mal dieses einzigartige Können aus der Band herauskitzeln. Wir machten einen Termin aus, gingen hier ins Studio, und legten voller Freude einfach los. Wir hatten fünf Tage für die Aufnahmen eingeplant, doch nach vier waren wir bereits fertig. Es gibt einfach nichts Schöneres, als mit deinen alten Freunden tolle musikalische Momente zu teilen.

Bevor es losging, haben Sie erst mal alle einen Tequila getrunken.

(lacht) Wir alle haben unsere Gläser auf unsere verstorbenen Freunde Clarence Clemons und Danny Federici erhoben. Die beiden werden immer ein Teil der Band sein. Und auf den Rock’n’Roll haben wir auch angestoßen.

In dem von Thom Zimny inszenierten Schwarz-Weiß-Film, der die Aufnahmen dokumentiert und der parallel zur Albumveröffentlichung auf „Apple TV+“ zu sehen ist, sieht man ihre Bandmitglieder, wie sie sich bei einer Besprechung emsig Notizen machen – wie Schüler vor ihrem Lehrer.

(lacht) Sie dürfen nicht vergessen: Wir sind alle alt. Leute wie wir benutzen tatsächlich noch Bleistift und Papier.

„Letter To You“ beinhaltet auch drei alte Songs aus den frühen Siebzigern, die Sie noch vor Ihrem Durchbruch geschrieben haben.

In meinen Kisten schlummern noch sehr, sehr, sehr viele Lieder. Ich war neugierig, wie sich „Janey Needs A Shooter“, „Song For Orphans“ und „If I Was A Priest“ anhören würden, wenn ich sie mit der Band einspiele. Damals in meinen Zwanzigern klangen diese Stücke so fabulös nach Bob Dylan, dass ich mich aus diesem Fahrwasser fernhalten wollte. Heute ist mir das egal. Ich bin ja lange genug dabei (lacht).

Springsteen mit Ehefrau Patti Scialfa

Welches Lied ist das Herzstück des Albums?

„House Of A Thousand Guitars“. Der Song führt tief hinein in die Welt, die ich mit meinen Fans erschaffen habe, es geht um das ganze Wertesystem und die Gedanken, die wir miteinander teilen.

Was sind das für Werte?

Ich bin zum Beispiel der Überzeugung, dass Musik einen Menschen reparieren kann. Sie hilft dir, deine Seele zu heilen. Das ist die Natur von Musik, ganz gleich, ob es sich um Lieder von Marianne Faithfull oder den Sex Pistols handelt.

Entdecken Sie an sich persönlich eigentlich noch neue Facetten?

Immer. Jeder Tag bringt etwas Neues zum Vorschein. An jedem einzelnen Tag, den du lebendig bist, baust du an dir weiter. Ich weiß nicht, wer ich nächstes Jahr sein werde. Ich weiß nur, dass ich meine bisherigen Identitäten nicht zurücklasse, sie bleiben bei mir. Das ganze Leben ist ein Auto, das immer voller wird.

Das Album

Bruce Springsteen (71) hat sein neues Album „Letter To You“ am 23.Oktober bei Sony Music veröffentlicht. Es ist das erste Album seit „Born In The U.S.A.“, das der „Boss“ mit seiner Band live und ohne nennenswerte Nachbearbeitung eingespielt hat. Ursprünglich war für das Frühjahr 2021 eine große Welttournee geplant.

Sie haben vor einem Jahr das ruhige, orchestrale Soloalbum „Western Stars“ veröffentlicht, nun „Letter To You“. In beiden Werken beschäftigen Sie sich mit dem Alter, dem Leben, dem Tod, erhörten Gebeten und gebrochenen Träumen. Sind sich beide Alben ähnlich?

Nein, für mich fühlen die sich ziemlich unterschiedlich an. Der Protagonist von „Western Stars“ ist ein Einzelgänger, ein klassischer amerikanischer Charakter, der am liebsten für sich bleibt und einsam seinen Weg durchs Leben navigiert, ohne jemanden an sich heran zu lassen. Der Protagonist von „Letter To You“ hingegen ist Teil einer Gemeinschaft von Musikern. Er ist nicht allein, er hat seinen Platz im Leben gefunden, und er ist ein soziales Lebewesen.

Denken Sie, dass Sie auch mit 71 noch neue Zuhörer für sich gewinnen?

Ja, und das freut mich sehr. Meine Themen sind universell und zeitlos. Familie, Liebe, das Leben, Fragen der Seele und des Geistes – wenn du an diesen Dingen interessiert bist, dann ist meine Musik der passende Ort für dich. Ganz egal, wie alt oder jung du bist. Ich lerne sogar Teenager kennen, die sich für diese Aspekte des menschlichen Daseins interessieren.

Sie sehen fit aus und wollten ursprünglich ab Frühjahr 2021 auf Welttournee gehen. Freuen Sie sich auf Konzerte mit der E Street Band, sobald das wieder möglich sein wird?

Verdammt, ja. Und wie. Ich fühle mich lebendiger als je zuvor im Leben. Die Band ist in Topform, wir alle sind auf dem absoluten Höhepunkt unseres Schaffens. Es ist frustrierend für uns, aktuell nicht machen zu können, worin wir am besten sind. Aber ich kann Ihnen versprechen: Wenn wir wieder rauskommen, wird es eine Explosion geben auf der Bühne.

Das Gespräch führte Steffen Rüth