Am Montag wurden die Gault-Millau-Auszeichnungen verliehen. Restaurantkritiker Carsten Henn kann nicht alle Entscheidungen nachvollziehen.
Carsten Henn zum Gault&Millau 2023„Eine klare Linie ist bei der Bewertung nicht zu erkennen“
Für NRW war die größte Sensation bei der Vorstellung des diesjährigen Gault&Millau, dass es keine Sensation gab: Der Michelin mag Joachim Wisslers Vendôme in Bensberg „nur“ auf zwei Sternen sehen, im Gault&Millau ist es weiterhin eines von nur vier Restaurants, die in Deutschland mit der Höchstnote – fünf roten Hauben – ausgezeichnet sind. Für den Altmeister, der sich im letzten Sommer neu erfunden hat, und seine rechte Hand Dennis Melzer, ist das bestimmt eine ganz besondere Freude und Bestätigung. Nummer 1 in NRW, mit Abstand zur Nummer 2 – die sich in Köln findet.
Das Vendôme ist nicht das einzige Restaurant, bei dem sich die beiden bekannten Gourmet-Guides uneins sind. Bemerkenswert sind auch die drei roten Hauben für Bembergs Häuschen (Euskirchen), Gut Lärchenhof (Pulheim), La Société (Köln), Nagaya (Düsseldorf) und Yunico (Bonn). Denn damit spielen diese – in Relation zum Michelin – im 2-Sterne-Bereich (obwohl sie nur jeweils einen Stern haben). Aus meiner Sicht zu Recht: großartige Köche mit individuellem Stil! Hier setzt der Gault&Millau die richtigen Akzente.
Im absoluten Spitzenbereich läuft der Guide trotzdem größtenteils parallel mit dem berühmten Konkurrenten – im Bereich der 1-Sterne-Betriebe gibt es dagegen viele Unterschiede. Dieser ist auch eine offene Flanke des Michelin, denn Restaurants von sehr unterschiedlicher Güte tummeln sich hier bei einer gemeinsamen Bewertung, eine Differenzierung täte Not. Die kann der Gault&Millau bieten – ob sie korrekt ist, bleibt eine andere Frage. Zur Orientierung: 2 - 3 Hauben entsprechen in etwa einem Stern des Konkurrenten.
Mit dem La Société (dem Gault-Millau zufolge Platz 2 in Köln) und dem Ox & Klee kletterten zwei Kölner Restaurants einen halben Punkt höher, womit letzteres nun auch in diesem Führer Kölns alleinige Nummer 1 ist – und Nummer 2 in NRW. Ein Riesen-Erfolg für Daniel Gottschlich und sein ambitioniertes Team, Gratulation! Den dritten Platz hat in Köln Eric Werner mit seinem Astrein inne.
Eine halbe Bewertung runter ging es dagegen für das Prunier, nachdem Chefkoch Enrico Hirschfeld es Anfang des Jahres verlassen hat. Mit dem Maximilian Lorenz wurde eines von Kölns innovativsten Restaurants von zwei roten auf zwei schwarze Hauben heruntergestuft – hier wurde kulinarischer Mut bestraft.
Was auffällt: beim Gault&Millau hat man deutlich mehr Verständnis für asiatisch inspirierte Küchenstile. So wurde das Great Wall an der Komödienstraße ebenso aufgenommen wie das Zen an der Aachener Straße.
Für die Neueinsteiger Phaedra und Pvls ist eine rote Haube allerdings zu knauserig. Unterbewertet sind auch das Gruber’s mit einer schwarzen Haube, sowie das La Cuisine Rademacher und das Sahila mit zweien. Eine klare Linie ist bei der Bewertung nicht zu erkennen. Setzt man auf Klassik? Moderne? Innovation? Handwerk? Produktqualität? Mal so, mal so.
Kontroverse Auszeichnung: Gault&Millau kürt erstmals Köchin des Jahres
In seinem 40. Bestehen kürte der Gault&Millau mit der großartigen Douce Steiner aus Sulzburg erstmalig eine Frau zum „Koch/Köchin des Jahres“. Man vergab sogar alle Auszeichnungen an Frauen. Ist das ein dringend notwendiges Ausrufezeichen zur Gleichberechtigung in der Gastronomie, oder hat der Restaurantführer ein Thema, das endlich auf der Agenda steht, als Sprungbrett genommen, um sich in die Nachrichten zu katapultieren? Wie viel Frauen wurden zum Vergleich in der 2022er-Ausgabe des Führers prämiert? Genau eine.
Jahrzehntelang reüssierte der Gault&Millau durch meinungsstarke Bewertungen, die mit spitzer Feder verfasst wurden. Sprachlich ist er in den letzten Jahren deutlich zahmer geworden – dadurch fiel auch viel des sonst generierten Echos im Blätterwald weg. Die Umstellung von Punkten im 20er-System zu Hauben war eine der Entscheidungen, um dem Guide mehr Bedeutung zu verleihen. Allerdings ist die Bewertungsskala mit roten und schwarzen Hauben schwerer zu verstehen als das alte Modell.
Sonderpreise für beste Weinlisten: Köln geht leer aus – Unverständnis bei Carsten Henn
Zu den neu eingeführten Sonderpreisen für die besten Weinlisten muss man nur so viel sagen: Weder die Henne Weinbar, das Phaedra noch das Maximilian Lorenz erhielten in Köln eine Auszeichnung. Albern.