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Sterne-Vergabe in der Region„Guide Michelin hat fragwürdige Entscheidungen getroffen“

Lesezeit 3 Minuten
joachim wissler vendome

Spitzenkoch Joachim Wissler bei der Arbeit in seinem Restaurant Vendôme.

  1. Ein Kommentar unseres Gastrokritikers Carsten Henn zur jüngsten Sterne-Vergabe des „Guide Michelin“.

Köln – Einen solchen Paukenschlag hat die deutsche Kulinarik-Szene viele Jahre nicht mehr erlebt. Mit dem Vendôme und seinem Koch Joachim Wissler verlor einer der international renommiertesten deutschen Kulinarik-Tempel seinen – 2004 errungenen – dritten Stern. Statt der Höchstwertung leuchten ab jetzt nur noch zwei Sterne über dem im Grandhotel Schloss Bensberg untergebrachten Restaurant. Joachim Wissler ist nicht irgendein deutscher Spitzenkoch, sondern galt jahrelang als der beste im Land. Zudem ist er einer der zentralen Protagonisten der „Neuen deutschen Schule“, durch die viele heimische Produkte erst wieder Eingang in die Hochküche fanden.

1963 geboren und auf der Schwäbischen Alb aufgewachsen, ist Joachim Wissler trotz seines großen Erfolgs immer einer der stillen, bescheidenen Stars der Kulinarik-Szene geblieben. Als seine absolute Glanzzeit kann man die Jahre 2005 bis 2015 betrachten. Was für fantastische Menüs durfte ich hier erleben! Einer Legende wie ihm hätte man in Frankreich aus Respekt vor der Lebensleistung kaum die Höchstwertung genommen. Noch dazu nach einem Jahr, in dem Restaurants nicht durchweg öffnen konnten, es Probleme gab Spitzenprodukte und Personal für Küche sowie Service zu erhalten. Alle Abstufungen auszusetzen wäre vertretbar gewesen – aber vermutlich dem Presse-Echo und damit den Verkaufszahlen des Michelin abträglich.

Wissler ist zuzutrauen, den dritten Stern zurückzuerlangen

Zu hoffen bleibt, dass die die Abwertung des Vendôme zu einem neuerlichen Innovationsschub in Bensberg führt. Wissler ist zuzutrauen, dass ihm gelingt, was so gut wie nie passiert: den dritten Stern zurückzuerlangen.

Damit hat NRW, das einwohnerstärkste Bundesland, aktuell kein 3-Sterne-Restaurant mehr, von denen es deutschlandweit neun gibt. Von den bundesweit 46 Restaurants mit zwei Sternen finden sich zumindest vier in NRW. Neben dem Vendôme sind dies das Ox & Klee und Le Moissonnier (Köln), sowie das Rosin (Dorsten).

Das Kölner ITO hätte einen Stern mehr als verdient

Die Abstufung des Vendôme ist nicht die einzige fragwürdige Entscheidung des berühmten Gourmet-Führers. Das Kölner ITO hätte mit seiner herausragenden japanischen Küche einen Stern mehr als verdient. Aber der Michelin tut sich seit jeher schwer mit asiatischer Küche.

ITO Kengo Nishimi

Kengo Nishimi ist Küchenchef im japanischen Restaurant ITO.

Das kann auch der Grund dafür sein, dass die Region keinen neuen 2-Sterner bekommen hat, obwohl diese Auszeichnung für das Gut Lärchenhof absolut angemessen wäre. Torben Schuster kocht hier furios auf und hat zudem einen eigenständigen Stil entwickelt, der japanischen Produktfetischismus mit französischer Haute Cuisine verbindet. Auf längere Sicht ist auch beim La Société in der Kyffhäuser Straße zu erwarten, dass der zweite Stern kommt. Leon Hofmockel begeistert seit seinem ersten Tag mit einer begeisternd zugänglichen Spitzenküche.

Für Komps Sahila und Hirschfelds Prunier war es schlicht zu früh

Manch einer mag erwartet haben, dass ein Kölner Restaurant dieses Jahr sogar seinen dritten Stern erhält. Daniel Gottschlich hat mit der Neukonzeption und internationalen Ausrichtung seines Ox & Klee schließlich sehr deutlich Ansprüche an höchste Weihen gestellt. Der 39jährige Troisdorfer ist aber Realist genug, um zu wissen, dass sie zu erreichen in der Regel dauert.

Für zwei Kölner Anwärter auf einen ersten Stern kam der neue Michelin-Guide schlicht zu früh. Sowohl Julia Komps Sahila wie auch Enrico Hirschfelds Prunier Cologne eröffneten erst Ende 2021.

Im Umland gab es allerdings gleich zwei neue 1-Sterner. Bei Schloss Loersfeld in Kerpen ist allerdings die Frage, welcher Koch ihn sich erkämpft hat. Paul Spiesberger kehrte im September 2021 in seine österreichische Heimat zurück, seitdem leitet sein ehemaliger Sous-Chef Benjamin Schöneich die Küche, den seine Karriere zuvor schon in einige der besten Restaurants des Landes führte. Beteiligt am Stern war Schöneich aber auf jeden Fall.

Ein neuer Stern leuchtet auch in Erkelenz über dem Restaurant Troyka. Es sind sicherlich keine einfachen Zeiten für ein Restaurant, das sich russischer Crossover-Küche verschrieben hat – trotz ausdrücklicher Verurteilung des russischen Angriffskriegs. Kulinarisch ist es eines der eigenständigsten und spannendsten Gastro-Konzepte, die sich zurzeit in der Region finden lassen.