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Rheinland für EntdeckerMit dem Nachtwächter durch Odenthal

Lesezeit 7 Minuten

„Hört, Ihr Herrn, und lasst euch sagen, vom Turm die Glock’ hat Sieben geschlagen . . .“, tönt es mit kräftiger Stimme, bevor um die Ecke des mächtigen Turms der Odenthaler St.-Pankratius-Kirche ein Mann mit hell leuchtender Laterne herumgeschritten kommt. Prüfend hält der mit historischem Wamst, Stiefeln und Hut Bekleidete sein Licht in die Höhe, mustert die Gruppe, die sich vor dem Portal der Kirche eingefunden hat. Wäre er jetzt tatsächlich „im Dienst“, würde er sie nach Hause schicken. Schließlich war ein Nachtwächter im Mittelalter so etwas wie der städtische Sicherheitsdienst, der des Nachts für Ruhe, Sicherheit und Ordnung sorgte. Doch das Mittelalter ist lange vorbei, das beschauliche Örtchen Odenthal im Bergischen Land hat nie Stadtrechte besessen und der Mann mit der Laterne ist eigentlich Historiker, Touristiker und Gästeführer.

Besucherservice

Der Historiker, Gästeführer und freie Autor David Bosbach bietet Nachtwächtertouren für Gruppen durch den Ortskern von Odenthal an. Buchungen sind über die Internetseite www.nachtwaechter-odenthal.de möglich. Kosten 75 Euro für Gruppen bis maximal 15 Personen (jede weitere Person 3 Euro). Treffpunkt ist, soweit nicht anders vereinbart, am Hauptportal der katholischen Pfarrkirche St. Pankratius im Odenthaler Ortskern. Die nächste öffentliche Führung ist am Freitag, 26. Oktober, um 20.30 Uhr.

Regelmäßig schlüpft David Bosbach in die Kluft des mittelalterlichen Nachtwächters, um Besucher bei einer abendlichen Tour durch die Straßen von Odenthal auf eine Zeitreise zu entführen.

Dass er dabei wie sein historischer Vorgänger stimmgewaltig die jeweilige Stunde ansingt, beruhigte im Mittelalter die Bewohner. Hörten sie den Nachtwächter, so wussten die rechtschaffenen Bürger: Die Security ist auf ihrem Posten. Der Nachtwächter sorgte dafür, dass Haustüren und Stadttore ordnungsgemäß verschlossen waren und warnte vor Feinden, Dieben und vor allem Feuer. Das war angesichts der strohgedeckten Fachwerkhäuser mit ihren offenen Feuerstellen früher deutlich gefährlicher als jedes Diebesgesindel. „1351 gab“s in der Stadt Köln einen Erlass, dass vor jedem Haus zwei Pütze – also Wassereimer – zu stehen hatten, damit im Falle eines Brandes schnell gelöscht werden konnte“, erklärt Bosbach. Seine Tour durch Odenthal ist spannend – und kurzweilig. Geschichte klopft der Historiker, der 2004 zur Rolle des Nachtwächters fand, am liebsten auf ihren Unterhaltungswert ab. Zwischen Fakten aus der Ortshistorie präsentiert der 40-Jährige Anekdoten liebenswerter bis skurriler Zeitgenossen.

Parforce-Ritt durch die Ortsgeschichte

Der Patron der Odenthaler Pfarrkirche etwa sei im Mittelalter besonders beliebt gewesen. „Ein Popstar seiner Zeit“, vergleicht Bosbach und beginnt seinen Parforce-Ritt durch die Ortsgeschichte im zehnten Jahrhundert. Damals entstanden die vier Mutterpfarreien im Westen des Bergischen Landes, zu denen neben Refrath, Paffrath und Herkenrath auch Odenthal zählt. Während die drei anderen die Grundlage ihre Entstehung im Rahmen großer Rodungen als Endsilbe „-rath“ noch im Namen tragen, wurde Odenthal an einem Fluss im Tal gegründet. Sein Name leitet sich vom altdeutschen Begriff „Ondra“ für „sumpfige Talaue“ ab, erklärt Bosbach und lenkt den Besucherblick zu handfesteren Relikten oben am Kirchturm: Kein Zweifel, die mächtigen Mauern haben Schießscharten. Der Turm diente der Bevölkerung in unsicheren Zeiten als Schutzraum.

Das Hochkreuz auf dem Kirchhof der Odenthaler Kirche St. Pankratius stammt aus dem früheren Zisterzienserkloster Altenberg.

Es dämmert bereits, als der Nachtwächter den Weg zu einem der dunkelsten Kapitel Odenthaler Geschichte leuchtet. Wasser sprudelt aus einem großen Kessel auf einem Platz im Ortskern. Schon der Besitz eines solchen Kochtopfs reichte vor gut 400 Jahren aus, um der Zauberei bezichtigt, als Hexe denunziert und hingerichtet zu werden. Acht Frauen kamen so noch bis Anfang des 17. Jahrhunderts ums Leben. Die letzte von ihnen, Katharina Güschen, erlangte zwar die Gnade des Herzogs von Berg, was allerdings lediglich eine relative Erleichterung war. Dem Tod entkam auch sie nicht, Katharina Güschen wurde lediglich zuerst erdrosselt – und dann verbrannt. Kein Wunder, dass Odenthal bis heute im Volksmund auch „Hexenohnder“ genannt wird: „Sie brieten zu Ohnder die Hexen wie Hohnder“ (sie brieten zu Odenthal die Hexen wie Hühner), lautet ein weit verbreiteter Spruch.

In historischer Montur und mit Laterne führt David Bosbach als Nachtwächter durch den Odenthaler Ortskern.

„Hört ihr Leut„ und lasst euch sagen . . .“, hebt der Nachtwächter zum Ansingen der nächsten Stunde an und leuchtet hinauf zum historischen Hochkreuz auf dem Kirchhof. Wie das Heiligenhäuschen an der Dorfstraße, das ursprünglich mal ein Hochaltar war, stammt es aus dem früheren Zisterzienserkloster im benachbarten Altenberg. Als das Kloster 1803 aufgelöst wurde, fanden die Bewohner des Nachbarorts Gefallen an so manchem kunstvollen Handwerksstück der Mönche, wie der weitere Rundgang mit dem Nachtwächter zeigt: An vielen Orten finden sich „Andenken“ aus dem aufgelösten Kloster.

Geschichte und Anekdoten aus der Stadt

Ein böses Ende fand vor 300 Jahren Stephan Cremer: Im Dezember 1786 wurde der notorische Dieb gefasst und im Gefängnisturm von Schloss Strauweiler eingekerkert. „Das war der Turm dort oben links“, deutet Bosbach auf einen Eckturm des gelben Schlösschens auf der anderen Talseite. „Die heutigen Bewohner haben darin mittlerweile ein Badezimmer eingerichtet“, sagt der Nachtwächter. „Der Schlüssel steckt jetzt innen.“ Für den „Schwarzen Steffen“ gab es 1786 kein Entkommen. 92 Diebstähle konnten ihm vor Gericht nachgewiesen werden – sein sicheres Todesurteil.

Ruhmvoller war da das Lebenswerk von Kappes-Gottfried, von dem der Nachtwächter zurück im Ortskern erzählt. Zur Zeit der französischen Besetzung erhielt Gottfried Müller seinen Spitznamen aufgrund eigener Gefechtsbeschreibungen: Er habe auf die Franzosen eingedroschen, wie auf den Kappes (Weißkohl), rühmte er sich. So wurde Kappes-Gottfried ein echter Held.

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Ebenso wie der Zimmermann Johannes Häg, der sich als einziger dem Einmarsch der Franzosen in den Weg gestellt haben soll. Allein mit einem Dreschflegel habe er einen Angriff von 30 französischen Soldaten niedergeschlagen und nebenbei „eine Jungfrau vor Schlimmerem bewahrt“, erzählt Bosbach vom Heldenlied mit 18 Strophen, das Häg gewidmet ist. „Aber keine Sorge: Die singe ich jetzt nicht alle“, sagt der Nachtwächter.

Die Zeit mit ihm vergeht wie im Nu, und die Stunden, die er ansingt, noch schneller. Um die Sicherheit auf dem eigenen Heimweg muss man sich auch spätabends keine Sorgen machen. Dafür wird schon irgendein heldenhafter Odenthaler sorgen – und wenn’s der Nachtwächter David Bosbach ist.

Tipps rund um Ihren Ausflug

Anreise: Mit Pkw: Von Köln über Autobahn 1 Richtung Dortmund bis Abfahrt Burscheid, rechts auf B 51 Richtung Burscheid/Altenberg. B 51 für 2,2 Kilometer folgen, dann links abbiegen auf L 310. Schildern Richtung Bergisch Gladbach/Odenthal/Altenberg/Blecher folgen.Einkehr-Tipps: Restaurant Herzogenhof, Altenberger-Dom-Straße 36, Odenthal, (0 22 02) 70 91 45, E-Mail: info@herzogenhof.de, geöffnet Di – Fr ab 16 Uhr, Sa/So ab 12 Uhr.

Gourmetrestaurant im Hotel „Zur Post“ (1 Stern im Guide Michelin, 17 Punkte von Gault-Millau), Altenberger-Dom-Straße 23, 51519 Odenthal, Telefon: (0 22 02) 97 77 80, hotel-restaurant-zur-post.de, Montag und Dienstag RuhetagPostschänke im Hotel „Zur Post“, Altenberger-Dom-Straße 23, 51519 Odenthal, Telefon: (0 22 02) 97 77 80, hotel-restaurant-zur-post.de, geöffnet täglich von 12–14 Uhr und 18–22 UhrFür Kinder: Die Nachtwächterführung ist geeignet für Kinder ab dem Grundschulalter. Eine weitere Attraktionen für jüngere Besucher in der Gemeinde Odenthal ist der Märchenwald in Altenberg, in dem die Märchen der Gebrüder Grimm in kleinen Häuschen lebendig werden. Märchenwaldweg 15, 51519 Odenthal-Altenberg, (0 21 74) 7 84 23 23, geöffnet März bis Oktober: täglich 10 bis 19 Uhr (letzter Einlass um 18 Uhr); November bis Februar: an Wochenenden, Feiertagen und während der Weihnachtsferien von 10 bis 16.30 Uhr.Für Sportliche: Hochseilgarten und Kletterwald K1 bei Odenthal-Eikamp, ab vier Jahren. Adresse für Navigationsgeräte: Schallemicher Straße 40, 51519 Odenthal,(0 22 07) 8 47 14 40, www.hochseilgarten-k1.deFür schlechtes Wetter: In der ehemaligen Klosterkirche des nahen Altenberg, dem „Altenberger Dom“, werden regelmäßig Führungen angeboten. Termine unter www.domfuehrungen.altenberg-dom.de.Für Wanderer: Wer die Nachtwächterführung mit einer Wanderung vom Odenthaler Ortskern nach Altenberg verbinden möchte, findet dazu auf dem Odenthaler Grafen- und Mönchsweg auf reich bebilderten Tafeln auch zahlreiche Informationen über die Geschichte Odenthals. Der mit einer weißen 6 auf rotem Grund markierte Themenweg (Bergischer Streifzug) des Bergischen Wanderlands ist 11,4 Kilometer lang, lässt sich aber – da er in der Form einer „8“ verläuft – auch leicht abkürzen. Ein Faltblatt samt Karte und Infos gibt es im Internet: www.bergisches-wanderland.de