Rheinland für EntdeckerPer Grubenfahrt den Tagebau aus nächster Nähe erleben
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Staub liegt in der Luft. Feiner Staub, der in Nase und Ohren kriecht. Wir sind im „Loch“, im Braunkohletagebau Garzweiler. Vor uns türmt sich ein Monster auf, ein sogenannter Absetzer, rund 50 Meter hoch, mehrere Tonnen schwer. Er wird gefüttert von unablässig ratternden Förderbändern, die ihm Erde zuführen und die er an einer anderen Stelle wieder ausspuckt.
Ringsum eine Wüstenei aus weicher graubrauner Erde, in der jeder Tritt einen Abdruck hinterlässt. Birken, Weiden und Falsche Akazien krallen sich ins Erdreich und bilden kleine Lichtungen, in denen Vögel, Rehe und angeblich sogar Wildschweine hausen. Die hoch aufragenden Grubenwände sind bunt wie Malkästen. Gelblich-grauer Löss, Kies und Sand, Relikte eines längst vergessenen Meeres, bilden farbige Streifen und Schlieren, als sei jemand mit einem mächtigen Pinsel darüber gefahren. Darunter liegt die Braunkohle, drei mächtige Flöze, bis zu 40 Meter dick. Rund 35 Millionen Tonnen werden jährlich im Tagebau Garzweiler gefördert. Bis 2045 sollen es rund 1,3 Milliarden sein – falls nicht irgendwann das vorzeitige Aus kommt.
Wie im Wilden Westen
Oben im Absetzer sitzt Großgeräteführer Andreas Walter und schaut über die verwüstete Landschaft. Kies und Sand rauschen in einem breiten Strahl in die Tiefe. Im Führerhaus der Maschine sitzt ein Kollege und überwacht auf einem Monitor die Erdbewegungen. Manchmal, sagt Walter, fege der Wind mit 80, 90 Stundenkilometern durch die Grube. „Dann sieht es hier aus wie im Wilden Westen. Überall Staub.“ 240 000 Kubikmeter Erde bewegt der Absetzer pro Tag. Die Erdmassen stammen aus dem aktuellen Abbaugebiet des Tagebaus und dienen dazu, die bereits abgebauten Gebiete wieder aufzufüllen, damit die Landschaft renaturiert werden kann. Auf kilometerlangen Förderbändern werden die Erdmassen innerhalb von 25 Minuten von einer Seite der Grube auf die andere transportiert. Insgesamt sind sechs Maschinen im Einsatz, um jährlich rund 140 Millionen Kubikmeter Löss, Kies und Sand zu bewegen. „Das Land sieht nach der Renaturierung besser aus als vorher“, sagt Walter. Der 61-Jährige hat fast 20 Jahre in einer Steinkohlezeche bei Aachen gearbeitet. 1997 wurde sie stillgelegt, und Walter wechselte nach Garzweiler. „Ich verdiene mein Geld mit Kohle“, sagt er. „Man macht sich nicht überall Freunde, wenn man sagt, dass man im Tagebau arbeitet“, fügt er hinzu. Vor allem für Familien, die seit Generationen hier lebten, sei der Verlust der Heimat bitter.
Ein paar Kilometer weiter klettert Thomas Scheufen von einem knallroten Traktor. Seine Füße versinken in hohem Gras, in Löwenzahn, Klee und Gänseblümchen. Bienen summen, in dem Bäumen lärmen Vögel. Jenseits des Wegs, verborgen hinter dichten Büschen, stehen ein paar Weinstöcke. 1993 hat Scheufen auf der Königshovener Höhe südlich von Grevenbroich vier Hektar Land von RWE gepachtet. Gutes, fruchtbares Land, wie er sagt. Rekultiviertes Land. Eines mit einer extradicken Schicht Lössboden, auf dem seine Obst- und Walnussbäume prächtig gedeihen. Da hinten, sagt der Obstbauer und deutet in die Ferne, habe in den ersten Jahren noch die Versuchsanlage von RWE gestanden. „Dort wurde geprüft, wie sich Apfelbäume auf rekultiviertem Boden verhalten.“ Das ist längst überflüssig. „Die Bäume entwickeln sich lehrbuchmäßig. Die müssen sogar kaum beschnitten werden.“
Eine geschlossene Wunde
Noch vor wenigen Jahrzehnten befand sich dort, wo heute Scheuvens Obst in der Sonne reift, der Tagebau Garzweiler. Inzwischen ist die Wunde geschlossen, mehr als 4000 Hektar Land sind rekultiviert worden und werden forst- und landwirtschaftlich sowie als Erholungsgebiet genutzt.
Schmale Straßen, beliebt bei sportlichen Radfahrern und redseligen Hundebesitzern, durchziehen das Buschland der Königshovener Höhe. In den Hecken und Bäumen leben Feldlerchen, Schwarzkehlchen und Grauammern. Selbst Wildbienen und Schwalbenschwänze, die sich anderenorts eher rarmachten, sehe er häufig, sagt Scheufen. Auch er und seine Familie wurden 2003 umgesiedelt. Ihr Heimatdorf Otzenrath ist weggebaggert. Bei Jüchen hat der Obstbauer einen neuen Betrieb aufgemacht. „So ist das halt.“
Auf einem nahen Hügel steht, erbaut aus rauem Backstein, die Petruskapelle und tut so, als sei sie schon Jahrhunderte alt. Doch das Kirchlein wurde erst 2004/2005 gebaut und erinnert an das Dorf Königshoven, das an dieser Stelle stand. Ende der 1970 Jahre fiel es der Braunkohle zum Opfer, die Bewohner wurden in die Nähe von Kaster bei Bedburg umgesiedelt. In der Kapelle sollen sie „ein Stück Heimat wiederfinden“, so steht es auf einer Informationstafel.
Nach dem Ende des Tagebaus 2045 soll bei Jackerath und Kückhoven ein gigantischer, bis zu 180 Meter tiefer See entstehen, gespeist aus Rheinwasser. Zwei Millionen Kubikmeter sollen die Grube in ein Badeparadies verwandeln. 2080 soll das Projekt abgeschlossen sein. Das werde er leider nicht mehr erleben, sagt Scheufen. Segelboote auf dem Garzweiler See. Genauso unvorstellbar wie ein Weinstock auf der Königshovener Höhe.
Tipps rund um Ihren Ausflug
Anreise zum Treffpunkt für die Touren in den Tagebau, Stresemannstraße 4, 50181 Bedburg-Kaster, Tennishalle: mit dem Auto aus Richtung Köln/Mönchengladbach (A61): Von der Ausfahrt 17 Bedburg geht es Richtung Bedburg. An der Anschlussstelle Bedburg/Kaster von der Landstraße abfahren. Rechts abbiegen und in Richtung Kaster fahren. Auf der Durchgangsstraße bleiben. Hinter einer Linkskurve die 2. Straße rechts abbiegen. Hinter der Bushaltestelle rechts abbiegen und auf den Parkplatz fahren.Der nützliche Tipp: Den besten Blick auf den Tagebau Garzweiler hat man vom Skywalk am Aussichtspunkt Jackerath. Er befindet sich direkt am Autobahnkreuz Jackerath A 44/A 61. A 61 am AD Jackerath Richtung Venlo fahren. An der Ausfahrt Jackerath (Nr. 16) abfahren. Links abbiegen und nach ca. 1000 Metern links auf den Parkplatz am Skywalk abbiegen. Zielkoordinaten für das Navigationssystem: E 6.462849° N 51.045424° Wer mehr über Braunkohle wissen will, dem sei ein Abstecher zur Dauerausstellung im Schloss Paffendorf Burggasse 1, 50126 Bergheim, empfohlen. Zu sehen gibt es unter anderem rund 70 Briketts aus der Sammlung des Bornheimers Josef Kau. Die Exponate sind bis zu 130 Jahre alt und erinnern an längst erloschene Marken und Bergwerksbetriebe.Öffnungszeiten: Samstag, Sonntag und an Feiertagen 10-17 Uhr. Während der Sommerferien (17. Juli bis 29. August) zusätzlich werktags 10-15 Uhr.Ein Kontrastprogramm zur Braunkohle ist Schloss Dyck in 41363 Jüchen. Das Wasserschloss mit seinen diversen Vorburgen und seinem bedeutenden englischen Landschaftsgarten gehört zu den wichtigsten Kulturdenkmälern im Rheinland. Park und Schloss sind ganzjährig geöffnet. Montag ist Ruhetag. Es gibt regelmäßige Führungen zu verschiedenen Themen, Treffpunkt um 14 Uhr am Rosenturm. Preis: 3 Euro zusätzlich zum Parkeintritt von 9,50 Euro für Erwachsene und 1,50 Euro für Kinder bis 16 Jahre.
Übernachtung und Einkehr: In der ehemaligen restaurierten Remise der Schlossanlage befindet sich ein Hotel mit neun Zimmern. In der „Remise Schloss Dyck“, von Dienstag bis Sonntag sowie an Feiertagen zwischen 10 und 18 Uhr geöffnet, kann man frühstücken und brunchen. Das Lokal verfügt über eine Terrasse.
Das Café Botanica liegt außerhalb des eintrittspflichtigen Bereichs von Schloss Dyck und ist in der Sommersaison von Samstag bis Sonntag sowie an Feiertagen von 12 bis 18 Uhr (Wintersaison 10 bis 17 Uhr) geöffnet.