Eine Flut wie 2021 kann verhindert, die Wassermassen aufgefangen werden. Was es dafür braucht, berichtet Ahrweiler-Landrätin Cornelia Weigand.
Hochwasserschutz an der Ahr„Es geht um den Schutz vieler Menschenleben. Da sind zwei Milliarden in Ordnung“
Drei Jahre nach der Hochwasserkatastrophe in der Eifel und an der Ahr, bei der mehr als 180 Menschen ihr Leben verloren, arbeitet die gesamte Region im Einzugsgebiet der Ahr daran, die Vorsorgemaßnahmen vor Hochwasser und Starkregen zu verbessern. Erste Berechnungen eines überörtlichen Maßnahmenplans für das 900 Quadratkilometer große Gebiet, zu dem auch der Kreis Euskirchen, die Gemeinde Blankenheim und die Stadt Bad Münstereifel zählen, haben ergeben, dass die Wassermassen der Flut von 2021 durch entsprechende Baumaßnahmen zurückgehalten werden können. „Das habe ich nicht zu träumen gewagt“, sagt Cornelia Weigand, Landrätin des Kreises Ahrweiler. Jetzt geht es an die Umsetzung, die nach groben Schätzungen mindestens 20 Jahre dauern wird und bis zu zwei Milliarden Euro kosten könnte.
Frau Weigand, wie ist die Lage im Ahrtal drei Jahre nach der Hochwasserkatastrophe?
Cornelia Weigand: Mit Blick auf die Gefühlslage muss man sagen, dass schon allein die Ankündigung, es könne zu einem Starkregen kommen, bei vielen im Ahrtal Ängste auslöst. Viele Menschen an der Ahr sind schwer traumatisiert. Das war ein Ereignis, das sich nicht mit einem Verkehrsunfall vergleichen lässt. Das Erlebte wird uns bis in unser Grab begleiten und in dem ein oder anderen Fall auch noch die nächste Generation prägen.
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Anfang Mai gab es eine Wetterlage, als in der Region vor Starkregen gewarnt werden musste.
Ja. Dabei war uns zwar schnell bewusst, dass die Gesamtsituation nicht so dramatisch werden würde wie 2021, aber die Vorhersage der Regenfälle war so ungenau, dass wir nicht wussten, ob es uns überhaupt treffen wird. Wir sind glimpflich davongekommen, dennoch sind einige Keller vollgelaufen, zum Teil auch bei Menschen, die bereits 2021 betroffen waren.
Wie hat die Kreisverwaltung auf die Starkregen-Vorwarnung reagiert?
Wir haben die Informationen frühzeitig an die Bevölkerung herausgegeben, mit dem Hinweis, dass noch unklar ist, welche Orte das Unwetter treffen könnte. Wir haben versucht, zu beruhigen und zu deeskalieren, standen mit einem Meteorologen aus der Region in Kontakt, der die Lage kontinuierlich bewertet hat. Als feststand, das Unwetter könnte uns streifen, haben wir die Technische Einsatzleitung in Alarmbereitschaft versetzt und eine Rumpfbesetzung hat ihre Arbeit aufgenommen. Später hat die sie dann in voller Besetzung gearbeitet.
Den nordöstlichen Teil des Kreises Ahrweiler hat es dann doch erwischt.
Ja. Dort hatten wir mehr als 300 Einsätze in kurzer Zeit. Die Technische Einsatzleitung des Kreises hat die Koordination übernommen und die Unwetter-Löschzüge aus den nicht betroffenen Bereichen zur Verstärkung losgeschickt. Das ist sehr ruhig, strukturiert und professionell abgelaufen. Es hat sich gezeigt, dass sich die Investitionen in die Prozesse, das Material und die vielen Übungen gelohnt haben. Wir haben die Menschen ruhig und sachlich informiert.
Der Kreis scheint also gut vorbereitet zu sein.
Die Stabsstelle läuft und zeigt auch Wirkung. Sie ist aber noch nicht voll aufgebaut. Wir brauchen noch immer Personal. Das ist schwer zu finden. Im feuerwehrtechnischen Dienst kann man fast überall mehr verdienen als in den Kommunen. Die Technische Einsatzleitung, Inspekteure für Brand- und Katastrophenschutz, die Feuerwehren und die Hilfsorganisationen sind hier in Rheinland-Pfalz mehrheitlich ehrenamtlich organisiert. Auch dort sind die Prozesse optimiert und die Zahl der Übungen erhöht worden. Dass wir dieses kleinere Unwetter so gut gemanagt haben, hat für viel Ruhe und Sicherheit bei den Einsatzkräften und auch in der Bevölkerung gesorgt.
Was muss sich auf Landesebene in Rheinland-Pfalz ändern?
Es muss und wird ein Landesamt für Katastrophenschutz geben, das endlich ein Monitoring aufbauen wird, um die Wetterlage im 24/7-Rhythmus zu überwachen.
Richten wir den Blick auf die Zukunft. Ein überörtlicher Maßnahmenplan zur Hochwasser- und Starkregenvorsorge für die Region ist in Arbeit. Was soll er bewirken?
Man hat die Ahr und andere Flüsse ihrer Größe – also Gewässer zweiter Ordnung – im Hinblick auf die Hochwasservorsorge lange Zeit nicht betrachtet. Die Ahr ist aber ein Mittelgebirgsfluss. Dessen Topografie sorgt über das starke Gefälle und die Tal-Kessel bei Starkregen für Fließgeschwindigkeiten mit einer ganz anderen Dynamik. Wenn es da regnet, hat man keinen langen Vorlauf. Das hat man völlig unterschätzt. Das gilt auch für die Erft, die Sieg oder die Swist, um ein paar Beispiele zu nennen. Wir an der Ahr haben 2021 zum ersten Mal gesehen, welche Gewalt der Klimawandel hat. Bei allen Daten, die das Land berechnet hat, ist man der Hochwasservorsorge immer nur retrospektiv vorgegangen. Der Klimawandel entwickelt sich aber exponentiell. Keiner weiß, wann 2021 wiederkommt.
Was muss sich ändern?
Ich habe sehr gehofft, dass wir eine Chance haben, mit einem Extremereignis wie 2021 besser umgehen zu können. Man darf nicht übersehen, dass die Wassermassen damals mehrheitlich nördlich der Wasserscheide in NRW heruntergekommen sind und sich dort in den Flüssen gesammelt haben. Es hätte uns also – und das mag ich mir nicht vorstellen – noch schlimmer treffen können. Uns war daher schnell klar, dass wir bei der Hochwasservorsorge die Einzugsgebiete aller kleinen Bäche und Flüsse der Region großräumig betrachten müssen, um größere Mengen schon möglichst weit oben abzufangen. Im September 2022 haben wir deshalb damit begonnen, einen überörtlichen Maßnahmenplan zu erarbeiten. Dieses Projekt haben wir europaweit ausgeschrieben, zusammen mit den acht Kommunen des Landkreises Ahrweiler, den Kreisen Euskirchen und Vulkaneifel, der Stadt Bad Münstereifel und der Gemeinde Blankenheim, also für das gesamte Einzugsgebiet der Ahr. Das sind 900 Quadratkilometer, die mit Blick auf die Frage, welche Wassermassen wir eventuell wo zurückhalten können, überplant werden müssen.
Mit welchem Ergebnis?
Dabei ist herausgekommen, dass es technisch möglich ist, Wassermassen wie die von 2021 zurückzuhalten. Das habe ich kaum zu hoffen gewagt. Das macht sehr viel Mut. Jetzt beginnt der lange Kampf, das auch umzusetzen.
Was heißt das konkret?
In einigen Tälern an der Ahr könnten Staumauern und Rückhaltebecken gebaut werden, deren Tore sich bei Starkregen schließen, damit sich in den Poldern das Wasser sammelt. Das kann später kontrolliert abgeleitet werden. Die Gesamtkosten für den Hochwasserschutz kann man nur grob abschätzen. Sie liegen aber sicher zwischen ein und zwei Milliarden Euro.
Das allein für die Ahr. Wer soll das bezahlen?
Diese Diskussion müssen wir führen. Wir müssen uns ehrlich machen. Anpassung an den Klimawandel bedeutet nicht nur mehr Bäume in der Innenstadt, die Schatten spenden, oder ein isoliertes Dachgeschoss, damit man dort noch wohnen kann. Die Starkregen-Ereignisse werden sich häufen, die Waldbrandgefahr wächst. Wir müssen uns davor schützen. Wir reden hier über präventive Maßnahmen. Das Tollste am Regenschirm ist, wenn ich ihn nicht brauche. Wir an der Ahr werden diese Verteildiskussion ums Geld führen müssen und sind durch den Maßnahmenplan in der Vorreiterrolle.
Wie lange wird es dauern, bis der Hochwasserschutz steht?
Wir reden über zwei Jahrzehnte. Das sind die Erfahrungen, die wir aus dem Elbehochwasser mitnehmen. Wir müssen schneller werden. Was die Finanzierung angeht, mache ich mal die Gegenrechnung auf. Allein für das Ahrtal sind 14 Milliarden Euro an Aufbauhilfe vorgesehen – davon vier Milliarden Euro für öffentliche Gebäude und Brücken, die erst noch kommen. Wir haben darüber hinaus schon sieben bis acht Milliarden Euro verbaut, die von Versicherungen übernommen wurden. Dazu kommen der Wiederaufbau der Bahnstrecke und die Investitionen von Privatleuten und Unternehmern. Am Ende werden 25 Milliarden verbaut sein. Diese Dimension muss man sich klarmachen. Und das Wichtigste: Es geht um den Schutz vieler Menschenleben. Dann ist ein Investment von ein oder zwei Milliarden Euro auch in Ordnung.