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Ohne Fleisch und MilchKann man kleine Kinder vegan ernähren oder ist das gefährlich?

Lesezeit 7 Minuten
Ein Kleinkind sitzt in einem Hochstuhl und isst Brokkoli.

Im Wachstum brauchen Kinder besonders viele Nährstoffe. Kann eine vegane Ernährung sie abdecken?

Immer mehr Erwachsene ernähren sich vegan. Aber wie ist das mit dem Nachwuchs von Veganern? Ist eine rein pflanzliche Ernährung auch für kleine Kinder geeignet?

Als ihre Kinder vom Kindergarten nach Hause kommen, rennen sie Sonja Kunz in die Arme: „Mama, können wir ein Glas Milch haben?“. Die Mutter greift in den Kühlschrank und nimmt eine Packung Haferdrink heraus. Freudig nehmen die Kleinen, zwei und vier Jahre alt, das kalte Getränk entgegen. Dass es die vegane Version von Milch ist, fällt ihnen nicht auf. Es ist für sie normal. Sie wachsen auf, ohne tierische Produkte zu essen. Fleisch, Käse, Eier – all das kennen sie nicht. Für Sonja Kunz und ihren Mann war das keine Frage. Sie sind beide seit vielen Jahren vegan. „Wir leben das“, sagt die 38-jährige Kölnerin überzeugt, „Wir leben das mit jeder Faser unseres Lebens“.

Was für Familie Kunz normal ist, ist in der breiten Gesellschaft noch wenig verbreitet. Laut Statista ernähren sich nur 1,6 Millionen Deutsche vegan – Tendenz allerdings stark steigend. Wie viele Kinder vegan leben, ist unbekannt und laut Bundeszentrum für Ernährung (BZfE) mit möglichen Risiken verbunden. „Wir empfehlen für Kleinkinder eine pflanzenbetonte Ernährung, die einen mäßigen Anteil an tierischen Lebensmitteln hat“, sagt Monika Cremer vom Netzwerk „Gesund ins Leben“ des Bundeszentrums für Ernährung. Kleine Mengen Fleisch und Fisch sollten ebenfalls dabei sein, weil sie Nährstoffe enthalten, die für Kinder wichtig sind.

Vegane Ernährung bei Kindern: Geringe Datenlage

Noch gibt es nur wenige Studien, die den Einfluss einer rein pflanzlichen Ernährung auf Entwicklung, Wachstum und Gesundheit von Kleinkindern und Kindern untersuchen. Insbesondere Langzeitstudien sind Mangelware. Bei der Ernährung von Kindern sei eine ausreichende Nährstoffzufuhr entscheidend, erklärt Monika Cremer: „Das Kind wächst und bildet Muskel- oder Organmasse.“ Deshalb muss man verstärkt auf eine gute Nährstoffversorgung achten, damit das Wachstum und die kognitive und psychomotorische Entwicklung gefördert wird und sich alles entfalten kann, wie es soll. Doch, betont Cremer, „wenn man ganze Nahrungsmittelgruppen vom Speiseplan streicht, dann schränkt man automatisch die Nährstoffzufuhr ein, weil nicht alle Lebensmittel alle Nährstoffe haben.“

Porträt von Monica Cremer, Diplom-Oecotrophologin und Wissenschaftsredakteurin für das Netzwerk Gesund ins Leben.

Monica Cremer ist Diplom-Oecotrophologin und Wissenschaftsredakteurin für das Netzwerk „Gesund ins Leben".

Eine aktuelle Studie zur veganen Ernährung bei Kleinkindern in Deutschland, die sogenannte „VeChi-Diet-Studie“, kam dennoch zu dem Ergebnis, dass sowohl eine vegetarische als auch eine rein pflanzliche Ernährung den Großteil der benötigten Mikronährstoffe enthalten kann. Zudem liefert eine fleischlose Ernährung eine vorteilhaftere Versorgung mit gesunden Fetten, als eine Mischkost. Für die Untersuchung wurden bundesweit 430 Kinder im Alter von ein bis drei Jahren untersucht, die sich entweder vegan, vegetarisch oder mit Mischkost ernährten.

Studie: Vegane Kinder waren etwas kleiner und dünner

Die Studie untersuchte auch, inwieweit die Kinder mit jeweils kritischen Nährstoffen versorgt waren. Dabei handelt es sich um Nährstoffe, die in der Bevölkerung oder in bestimmten Bevölkerungsgruppen häufig in geringeren Mengen zugeführt werden, als es den Empfehlungen entspricht. Sie unterscheiden sich je nach Ernährungsweise. Wer sich vegetarisch ernährt, muss etwa verstärkt auf Eisen und Zink achten. Beide Nährstoffe sind in Lebensmitteln wie Hülsenfrüchten, Vollkorngetreide und Nüssen enthalten. Jedoch ist die Verfügbarkeit aus pflanzlichen Lebensmitteln geringer. Auch die langkettige Omega-3-Fettsäure DHA und Jod gehören zu den kritischen Nährstoffen.

Bei einer veganen Ernährung ist die Liste potenziell kritischer Nährstoffe länger: Hier kommen etwa Eiweiß hinzu, sowie Calcium, Selen und besonders die B-Vitamine 2 und 12. Letzteres muss zwingend substituiert werden. Die VeChi-Studie bestätigt, dass bei den vegan und vegetarisch lebenden Kindern die Zufuhr an Vitamin B2 und B12, sowie Eisen unter den Empfehlungen liegt, bei den vegan ernährten Kindern auch Calcium. Vitamin D, Jod und die Omega-3-Fettsäure DHA sind laut der Studie auch bei Kindern, die Fleisch essen, potenziell kritisch.

Monika Cremer vom Netzwerk „Gesund ins Leben“ gibt jedoch zu bedenken, dass es sich bei der Untersuchung nicht um eine Langzeitstudie, sondern um eine Querschnittsstudie handle, die sozusagen eine Momentaufnahme zeige. Außerdem habe sich gezeigt, „dass die veganen Kinder etwas kleiner und etwas dünner als die gemischt Ernährten waren. Trotzdem lag das noch in dem normalen Bereich. Es gab aber einen kleinen Prozentsatz, der wirklich zu klein oder etwas zu leicht für das Alter war.“ Wenn Eltern sich dennoch dazu entschieden, ihre Kinder pflanzlich zu ernähren, oder schon während der Schwangerschaft vegan lebten, rät Cremer deshalb, sich von einer Ernährungsberatung und der Kinderärztin oder dem Kinderarzt begleiten zu lassen. „Aufgrund des Risikos einer unzureichenden Nährstoffversorgung in dieser kritischen Wachstums- und Entwicklungsphase, und weil man eben wenig zu den kurz- und langfristigen Wirkungen für Gesundheit und Entwicklung weiß, sind wir zurückhaltend, was eine vegane Ernährung bei Kleinkindern betrifft“, erklärt Monika Cremer.

Vegane Ernährung im Familienalltag

Sonja Kunz teilt diese Sorgen nicht. Die 38-Jährige ist selbst Ernährungsberaterin, hat sich mittlerweile mit ihrer Beratung „Healthy Little Vegans“ selbstständig gemacht, um andere Familien bei einer gesunden veganen Ernährung zu unterstützen. Eine gesunde, vegane Ernährung, das bedeutet: abwechslungsreiche Vollwertkost, kaum Fertiggerichte, viel frisches Obst und Gemüse. Entsprechend verbringt Kunz viel Zeit am Herd, bereitet die meisten Speisen selbst zu. Auch den Babybrei habe sie immer selbst aus frischen Zutaten gekocht, erzählt sie. In ihrer kleinen Küche reihen sich Tüten mit Haferflocken, Nüssen und allerlei Getreide auf der Arbeitsfläche aneinander, daneben steht eine beachtliche Sammlung an unterschiedlichen hochwertigen Ölen: Olivenöl, Rapsöl, Leinöl für die Versorgung mit Omega-3-Fettsäuren. Auf dem Kühlschrank liegen ein paar reife Bananen. „Je reifer, desto süßer und damit umso besser für unsere Shakes“, sagt Sonja Kunz.

Die Kölnerin Sonja Kunz sitzt mit ihren beiden Kindern am Küchentisch. Sie trinken ein Glas Hafermilch.

Die Kölnerin Sonja Kunz und ihr Mann leben mit ihren zwei- und vierjährigen Kindern vegan.

In ihre Shakes mischt sie viele nährstoffreiche Lebensmittel, über die die Kinder sonst nur ihre Nase rümpfen würden. Gemüse in Kinderbäuche zu bekommen, ist schließlich nicht selten eine Herkulesaufgabe, die alle Eltern eint – unabhängig von der Ernährungsform. „Die Lieblingsgerichte meiner Kinder sind Pommes und Pizza. Das ändert sich auch bei veganen Kindern nicht“, lacht Kunz. Also wird die 38-Jährige kreativ, um Brokkoli, Kichererbsen, oder was bei ihren Kindern sonst auf der aktuellen No-Go-Liste steht, in die Mahlzeiten zu mischen. Shakes seien da eine besonders gute Möglichkeit, „durch den Banane-Schoko-Geschmack merken die Kleinen eh nicht mehr, was ansonsten drinnen ist.“ Kichererbsen nutze sie zudem oft zum Backen, in Brownies etwa.

Als Ernährungsberaterin weiß Kunz genau, welche Lebensmittel reich an bestimmten Nährstoffen sind: „Hirse und Haferflocken haben zum Beispiel viel Eisen, grünes Blattgemüse ist reich an Calcium“, erklärt die Kölnerin. Bei einigen kritischen Nährstoffen greift sie dennoch auf Nahrungsergänzungsmittel zurück. Vitamin D, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12 bekommen ihre Kinder in Form eines Öls. „Wir machen das ganz spielerisch“, erzählt Kunz. „Wir nennen die Tropfen immer unsere ‚Mega Power‘, die Kinder sind ganz wild darauf sie zu nehmen!“ Auch wenn das Thema Ernährung in ihrem Leben eine größere Rolle spielt, als bei vielen ihrer Altersgenossen, nehmen die Zwei- und Vierjährigen den Unterschied kaum wahr. Beide gehen in einen vegetarischen Kindergarten, ihr Mittagessen bekommen sie dort als vegane Variante. „Aber auf Kindergeburtstagen essen sie den Geburtstagskuchen mit, auch wenn er nicht vegan ist“, sagt Sonja Kunz.

Noch sind beide zu klein, um die ethischen Beweggründe für eine vegane Ernährungsweise in vollem Ausmaß zu begreifen, ein erstes Verständnis ist dennoch bereits vorhanden. „Wenn sie mich fragen: ‚Mama, warum essen wir keine Tiere?‘, dann erkläre ich ihnen, dass Tiere unsere Freunde sind und wir unsere Freunde nicht essen“, sagt Kunz. Die brutalen Bilder und Praktiken, die immer wieder aus Massentierhaltungsbetrieben bekannt werden, zeigt sie ihnen noch nicht. Das braucht sie auch nicht, um ihren Kindern vorzuleben, worum es geht.

„Andere Menschen vermitteln ihren Kindern ja auch bestimmte Werte, die ihnen wichtig sind. Sei es religiöser Natur, politische Ansichten oder anderes. Bei uns sind es eben die Werte einer veganen Lebensweise. Dabei geht es ja nicht nur um die Ernährung. Wir leben das in allen Bereichen. Das heißt, wir tragen zum Beispiel kein Leder, nutzen keine Wolle, verwenden vegane Kosmetikprodukte. Wir sind Veganer mit Kopf, Herz und Verstand.“ Wenn sich ihre Kinder später doch gegen die vegane Lebensweise entscheiden sollten, dann sei das aber eben so, sagt Kunz. „Wir haben alle gegen unsere Eltern rebelliert, aber ich hoffe, dass die Werte, die man in der frühen Kindheit gesät hat, bestehen bleiben.“

Buchtipp: „Vegane Kinderernährung: Gut versorgt in jeder Altersstufe“ von Edith Gätjen und Prof. Markus Keller, Ulmer Eugen Verlag 2020, 256 S., 28 Euro.