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„Manche erleben 11.11 Uhr nicht“Streetworker betreuen zum Karnevals-Auftakt jugendliche Feiernde

Lesezeit 7 Minuten
Streetworker Uwe Schärpf (links) und Markus Theis

Streetworker Uwe Schärpf (l.) und Markus Theis von der Jugendsuchtberatung

Streetworker Uwe Schärpf und Markus Theis von der Jugendsuchtberatung sind am 11.11. im Kwartier Latäng im Einsatz, um betrunkene Jugendliche zu betreuen. Im Interview sprechen sie über Alkoholkonsum von Minderjährigen in der Karnevalszeit.

Seit ihrer Gründung 2008 kümmert sich die Streetwork-Einheit der Stadt Köln an Karneval auch um die Zülpicher Straße. 13 Streetworkerinnen und Streetworker werden am Freitag dort im Einsatz sein und für alle Belange der Jugendlichen – von Liebeskummer über Alkoholexzesse bis zu Übergriffen - ansprechbar sein. Die Streetworkerinnen und -worker sind an ihren grünen Jacken mit der Aufschrift „Streetwork Köln“ zu erkennen.

Herr Schärpf, was ist die Aufgabe der Streetwork am 11.11.?

Schärpf: Unsere Hauptaufgabe ist die Kontaktaufnahme mit Jugendlichen. Wir haben eine enge Kooperation mit den Hilfsdiensten, mit den Maltesern, dem Roten Kreuz und den Johannitern. Manche junge Menschen haben schon gegen 12 Uhr zu viel Alkohol getrunken, dann fängt unsere Arbeit an. Gegen 16, 17 Uhr müssen einige auch medizinisch versorgt werden. Wenn es Jugendliche unter 18 sind, werden wir von den Hilfsdiensten gerufen. Ist die oder der Jugendliche ansprechbar, bitten wir um das Handy und versuchen, zu den Erziehungsberechtigten Kontakt aufzunehmen.

Mit welchen Erwartungen gehen Sie dieses Jahr in den 11.11.?

Schärpf: Auf den 11.11. als solchen freue ich mich. Er wird aber auch viel Arbeit bringen, denn ich schätze, dass es recht voll wird. Das Wetter wird gut, wir haben Freitag, das Wochenende steht bevor. Eine interessante Entwicklung ist, dass der Alkoholmissbrauch von Minderjährigen, die behandelt werden müssen, wider Erwarten zurückgegangen ist. Ich hoffe, dass sich diese Entwicklung fortsetzt.

Herr Theis, wie erklären Sie sich, dass dieser Konsum bei Unter-18-Jährigen zurückgegangen ist? Wirkt die Präventionsarbeit?

Markus Theis: Seit Beginn der Pandemie haben sich Jugendliche durchaus sehr verantwortungsbewusst und solidarisch verhalten. Das hat mir nochmal gezeigt, dass es ein kleiner Teil ist, der da eskaliert. Das wird dieses Jahr auch wieder so sein. An vielen Stellen ist Prävention als gesamtgesellschaftliche, langfristige Aufgabe stärker in den Fokus gerückt und konnte deshalb auch eine gute Wirkung erzielen. Das verhindert aber nicht, dass Jugendliche an Karneval missbräuchlich konsumieren.

Warum kommt es immer wieder, gerade zu Karneval, zu Alkoholexzessen bei jungen Leuten?

Theis: Es hat viel damit zu tun, dass sie sich Vorbilder nehmen. Karneval feiern ist nicht nur in Köln geprägt davon, dass nicht ausschließlich die jungen Menschen ein Problem mit ihrem Alkoholkonsum haben. Da will ich gar nicht mit dem moralischen Zeigefinger drauf zeigen, aber wenn man sich fragt „Was kann man denn dagegen tun?“, dann ist es gut, sich selbst zu reflektieren. Jugendliche brauchen vor allem Vorbilder. Natürlich trinken sie etwas, um in Stimmung zu kommen, aber sie wollen sich eigentlich nicht abschießen.

Schärpf: Manche erleben allerdings schon 11.11 Uhr nicht.

Muss man also auch bei Minderjährigen einen gewissen Konsum akzeptieren, weil sie es ja sowieso tun werden?

Theis: Auf jeden Fall. Immer auf der Verbotsschiene zu arbeiten, bringt nichts. Man muss nicht alles erlauben, aber aus präventiver Sicht geht es auch darum, den Umgang mit Substanzen zu erlernen.

Schärpf: Aber das ist so nicht akzeptabel. Es gibt das Kinder- und Jugendschutzgesetz. Da geht es darum, Kinder und Jugendliche zu schützen. Alkoholkonsum ist in einem gewissen Alter schlichtweg nicht akzeptabel.

Theis: Es kommt immer auf das Alter an. Ich spreche da eher von 16- und 17-Jährigen – auch zum Thema illegale Substanzen. Die rechtliche Situation ist da für uns nicht das Wesentliche, sondern die Realität. Und da konsumieren Jugendliche.

Wenn der Konsum an Karneval nicht zu verhindern ist, was tut die Streetwork an Karneval, um den Jugendlichen zu helfen?

Schärpf: Wir haben einen Großeinkauf gemacht und Schokoriegel, Wasser und Säfte eingekauft, denn manchmal vergessen die Jugendlichen zu essen oder zu trinken. Die Streetworker haben Rucksäcke dabei und versorgen sie dann, damit kommen sie wieder so ein bisschen auf die Beine. Von der Aids-Hilfe in Köln haben wir 2000 Kondome geschenkt bekommen. Das sind unsere Catcher, um ins Gespräch zu kommen.

Wieso ist die Zülpicher Straße so ein Exzesse-Hotspot für junge Leute an Karneval?

Schärpf: Ich glaube, das hat sich so herumgesprochen. Früher waren wir mehr am Fischmarkt, im Zülpicher Viertel war nur studentisches Publikum und unsere Zielgruppe war da weniger vertreten.

Theis: Das Kwartier Latäng war immer schönes Karnevalsviertel, wo Stimmung ist und wo die Studenten sind. Die sind auch Vorbilder für viele Jüngere, die dann auch gerne da hingehen. Irgendwann war es sehr „in“ und hat sich einen Namen über die Stadtgrenzen hinaus gemacht.

Die Initiative „Keine Kurzen für Kurze“ soll verhindern, dass harter Alkohol an junge Menschen ausgegeben wird. Stehen denn auch Wirte und Kiosk-Besitzer in der Pflicht, noch genauer hinzusehen?

Schärpf: Bei den Präventionsansprachen von Ordnungsdienst und Jugendamt sind die Kiosk-Besitzer daran erinnert worden, dass sie keinen Alkohol an Minderjährige verkaufen dürfen. Alle beteuern, dass sie sich die Ausweise zeigen lassen. Aber es ist oftmals gar nicht mehr kontrollierbar. Dann werden Ältere vorgeschickt, die noch einigermaßen nüchtern sind und dann den Alkohol kaufen.

Theis: Die Kampagne „Keine Kurzen für Kurze“ ist inzwischen schon mehr als 20 Jahre alt. Es gibt ja Schulungen für Kioske, Kneipiers, Getränkemärkte, in denen es um Sensibilisierung geht. Letztlich ist ja jeder, der sich nicht an die Gesetze hält, zu belangen.

Schärpf: Problematisch ist auch der Schwarzverkauf, gegen den das Ordnungsamt vorgeht. Leute, die vom Bollerwagen aus an Betrunkene Flaschen verkaufen.

Theis: Wenn Jugendliche sich Alkohol besorgen wollen, dann tun sie das auch.

Wer kann denn den Missbrauch verhindern – die Eltern? Und wenn ja, wie?

Theis: Nein. Das wäre ein utopisches Ziel. Man muss da realistisch sein. In so einer Situation ist eher erste Hilfe gefordert. Wenn das Kind nach Hause kommt, dann sollten Eltern erstmal den Eimer parat haben und sich kümmern. Langfristig können sie natürlich sehr viel tun. Es geht nicht darum, den Konsum zu verhindern, sondern darum, zu verhindern, dass ihre Kinder in eine Lage kommen, in denen sie den Konsum nicht mehr im Griff haben. Es geht um Fragen wie: Wie gut stehe ich mit meinem Kind in Kontakt, wie sehr kann ich ein offenes Gespräch führen, was lebe ich vor? Das ist sehr entscheidend.

Was können Eltern kurzfristig konkret tun?

Theis: Es macht schon auch Sinn, vorher mit seinen Kindern zu sprechen und zu klären, was sind denn wichtige Regeln? Ihr seid in einer Gruppe unterwegs: Achtet aufeinander. Es geht jemandem schlecht: Kümmert euch um den. Da kann man mit dem Kind überlegen, was habt ihr denn geplant, was werdet ihr trinken? Auch wenn diese Frage sicher nicht immer ganz ehrlich beantwortet wird.

Ist es auch dem Image des Karnevals in Köln geschuldet, dass sich der 11.11. als legitimer Grund, sich zu betrinken, entwickelt hat? Lässt sich das Image noch retten?

Schärpf: Das Image kann man auch herbeireden. Es sind sehr viele Jugendliche aus dem Umland da, aber nicht nur Karneval, sondern das ganze Jahr über.

Theis: Das Image zu verändern, ist ja das Ziel der Respekt-Kampagne, die gerade wieder läuft. Es gibt auch von Karnevalsgesellschaften die Initiative, zu zeigen, dass man auch anders feiern kann. Das Image des Karneval hat auch eine unglaubliche Faszination.

Laura Schmidl

Laura Schmidl

Redakteurin in der Lokalredaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“. Geboren 1994 in Köln und seitdem auch dort Zuhause. Nachdem sie als Studentin im Newsteam arbeitete, ist sie nun im „Stadtleben“-Team. Si...

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Schärpf: Es hat etwas Verruchtes.

Theis: Es ist ja nicht nur ein Gerücht, dass an Karneval viele Grenzen fallen. Oder, besser gesagt, sie werden verrückt. Ich glaube auch im Kern daran, dass die meisten Jugendlichen nicht auf die Zülpicher Straße gehen und sich völlig abschießen wollen. Ja, die wollen trinken und ausgelassen feiern und sexuelle Kontakte haben. Das gehört zum jugendlichen Dasein dazu. Es muss uns vor allem darum gehen, dass sie am Ende des Tages sagen können: Es war eine tolle Party, wir haben friedlich gefeiert und ich habe keine gesundheitlichen Schäden davongetragen.