Kabarettist Jürgen Becker und Klaus Mittendorfer sprechen im Interview über ihr Motorradprojekt zwischen Patina und Hightech.
Alte Liebe rostet nichtWie zwei Kölner ein Motorradschätzchen aufpimpten
- Fahrzeugtyp: Minsk RT 125 (DKW)
- Baujahr: 1955/ 2023
- Leistung: 5 Kilowatt
- Max. km/h: 80
- Verbrauch: 3,4 Kilowattstunden
- Gebaute Exemplare: 1
Eigentlich wollte Kabarettist Jürgen Becker die alte 125er Minsk M1A aus Weißrussland nur ein bisschen aufpimpen. Aus der verrosteten Kopie der RT 125 von DKW sollte ein cooles Custombike nach seinen Vorstellungen werden. Der ehemalige „Mitternachtsspitzen“-Moderator und Mitbegründer der Stunksitzung ist seit seinem 16. Lebensjahr dem Freiheitsgefühl auf zwei Rädern verfallen. Auf seinem Mokick ließ er in den 1970er Jahren das beschauliche Widdersdorf hinter sich, um spontan bis nach Venlo zu knattern.
Doch so ganz gefiel ihm die fast 70 Jahre alte Minsk auch nach dem Umbau nicht. Deshalb fährt sie jetzt mit Strom, macht kaum noch Geräusche und sieht trotzdem nach klassischer Technik aus. Zusammen mit Klaus Mittendorfer und drei weiteren Schrauberfreunden vom Motorrad- und Oldtimertreffen in Burscheid-Hilgen hat der 64-Jährige ein Motorradkonzept kreiert, bei dem Patina auf Hightech trifft. Und bei dem der Benzintank nur noch als Träger für die Akku-Anzeige gebraucht wird.
Deshalb haben wir sie:
Jürgen Becker: Das Motorrad stand verrostet im Regen vor einer Motorradwerkstatt, die meinen Freunden gehört, und das Schild trug: „offen“. Es war also ein Schildständer. Dass so ein altehrwürdiges Fahrzeug vor sich hin rostet, fand ich ein bisschen schade. Ich habe es gekauft, um ein Custombike daraus zu machen, also alles ein bisschen sportlicher.
Die Minsk sah danach auch cool aus, aber sie fuhr nicht gut, ich fand den Motor anstrengend und laut. Da ich mit dem Auto schon 300.000 Kilometer elektrisch gefahren bin, weiß ich, wie schön das ist. Also hatte ich die Idee, die Minsk in ein Elektro-Motorrad zu verwandeln. Zum Glück war der Klaus gerade in Rente gegangen und sagte: „Machen wir.“ Ich wusste, dass er als ehemaliger Kraftwerksingenieur elektrisch unterwegs war. Ich alleine hätte das nie gekonnt.
Klaus Mittendorfer: Wir wollen zeigen, dass alte Maschinen nicht weggeschmissen werden müssen, wenn fossile Brennstoffe eines Tages nicht mehr eingesetzt werden dürfen.
Jürgen Becker: Allerdings würde ich die Klimakomponente in diesem Fall außer Acht lassen. Bei den geringen Kilometerleistungen im Oldtimer-Bereich ist dieser Aspekt nicht ausschlaggebend. Ich wollte einfach ein altes Motorrad, das sich besser fährt. Und ich wollte dort, wo ich damit hinkomme, willkommen sein. „Muss das so laut sein?“, ist schließlich eine der häufigsten Fragen, die Motorradfahrer von Anwohnern zu hören bekommen. Die Lautstärke nervt viele, aber ich will die Leute nicht nerven.
Das kann sie:
Jürgen Becker: Sie hat die Wucht des Watts. In Kurven entwickelt sie einen viel besseren Flow als vorher. Weil man nicht kuppeln muss, nicht schalten, man ist auch nicht abgelenkt von irgendeinem Lärm. Man hört die Vögel zwitschern, das ist einfach toll.
Klaus Mittendorfer: Sie ist wunderbau zum Cruisen.
Jürgen Becker: Dazu kommt das Design. Die modernen Elektromotorräder haben als Akku immer so einen langweiligen Klotz, das wirkt oft sehr steril. Bei uns sollte es geil aussehen, einen technischen Sex haben. Zum Vorbild habe ich mir historische Industrieanlagen und Motorräder genommen.
Die Akku-Verkleidung sollte an Vierzylindermaschinen aus den 1920-er Jahren erinnern und an alte Transformatoren mit aufrechtstehenden Rippen und Isolatoren obendrauf. Der Elektromotor ist im Stil der 1950er Jahre verkleidet. Wir wollten die Ästhetik historischer Elektrotechnik. Auf diese Idee ist übrigens vorher noch niemand gekommen.
Klaus Mittendorfer: Aus der Rückwand eines alten Kleiderschranks haben wir ein Modell gebaut. Der Dirk hat uns die Teile dann aus Metall zurechtgeschweißt. Wobei der alte Rahmen nicht angepackt werden durfte. Hätten wir am Rahmen rumgeschweißt oder geschnitten – beim TÜV hätten wir keine Chance gehabt.
Jürgen Becker: Bei der Einzelabnahme hat uns der Prüfer vom TÜV in Heppenheim sogar gratuliert.
Das kann sie nicht:
Jürgen Becker: Die Bremsen sind zeitgenössisch. Das Motorrad wird also langsamer, wenn man bremst. Nur zusammen sind Rücktrittbremse, Vorderbremse und Motorbremse stark. Reichweite und Ladezeit sind auch keine Pluspunkte. Die Reichweite liegt bei 100 Kilometern, das Aufladen dauert drei Stunden.
Klaus Mittendorfer: Das wird sich aber in jedem Fall noch ändern. Es gibt Akkus, die für Motorräder viel besser geeignet sind. Da werden wir noch einiges an Grips investieren.
Das haben wir für sie getan:
Klaus Mittendorfer: Der Motor kommt aus Israel. Der Akku aus China. Den nach Deutschland zu bekommen, war mehr als schwierig. Zuerst mussten wir aber herausfinden, welcher Akku überhaupt passt. Wir haben gerechnet, wie viel Strom und Leistung wir brauchen und wie das Batteriemanagement-System ausgelegt sein muss. Dann erst kam der passende Motor dazu und der Controller.
Jürgen Becker: Heute würden wir erst den Motor aussuchen und dann den Akku. Aber wir lernen ja noch.
Das haben wir erlebt:
Klaus Mittendorfer: Wir haben einen Film gedreht, der auf dem Youtube-Kanal „Achtsam-Rasen“ zu sehen ist, wir waren damit beim Oldtimertreffen und im Fotostudio. Ich habe noch nie so sehr über den Tellerrand geguckt wie bei diesem Projekt.
Jürgen Becker: Das Teil ist begehrt. Man lernt darüber Leute kennen und muss dauernd Fragen beantworten. Die Bikerszene erkennt an, dass das Ding gut aussieht. Wenn Elektromotorräder so sind, würden sie darüber nachdenken.
Klaus Mittendorfer: Das Design spricht an. Dass das Motorrad so leise ist, finden viele aber nicht so gut. Allerdings: In Hilgen standen neulich zwei Rocker mit Kutten daneben und haben anerkennend genickt.
Das haben wir vor:
Jürgen Becker: Maschinenbaustudent Lando Schlesinger will seine Masterarbeit über unser Projekt schreiben. Mit ihm zusammen wollen wir einen Umbausatz für die Yamaha SR 500 und die XT 500 aus den 1970er und 1980er Jahren entwickeln. Beide Modelle haben keinen Anlasser, man muss sie antreten. Da viele Motorradfahrer schon etwas älter sind, mit künstlichen Hüften oder Knieproblemen zu kämpfen haben, sind sie vielleicht gar nicht so traurig, dass der alte Motor gegen E-Technik ausgetauscht werden kann.
Wir verknüpfen das Beste aus zwei Welten: Die des alten Motorraddesigns mit der des komfortablen Elektromotors, der darüber hinaus langlebiger und effizienter ist als der Verbrenner. Älter ist er auch noch. Im New York der 1920er Jahre waren übrigens 40 Prozent Elektroautos unterwegs. Aber dann kam Rockefeller und wollte sein Öl verkaufen.