Köln – Die gute Nachricht wurde noch am selben Abend im Gebäude 9 verkündet – und tosend von den Besuchern der Balkan Express Party gefeiert. Der Szene-Club an der Deutz-Mülheimer Straße ist gerettet. Vorerst. Der designierte Investor, Frey Immobilien, will den Clubbetreibern Jan van Weegen und Pablo Geller auch für das kommende Jahr einen Mietvertrag geben. Nach dem politischen Beschluss, das Gelände neu zu bebauen, hatten viele befürchtet, dass der Club Ende des Jahres schließen muss. Entsprechend ekstatisch waren die Reaktionen auf die unverhoffte Rettung. Im Internet brach ein virtueller Jubelsturm los – als bekannt wurde, dass das Gebäude 9 schließen soll, hatten sich binnen Tagen 16.000 Menschen für den Erhalt ausgesprochen.
Das Ergebnis des ersten Gesprächs zwischen Investor und Gebäude 9 ist lediglich eine Absichtserklärung. Der Bebauungsplan muss wohl nachgebessert, ein Lärmschutzgutachten erstellt werden. Unklar ist auch, wie die anvisierten 250 bis 300 Wohnungen auf dem Areal mit dem Club zusammengebracht werden können. Van Weegen ist erstmal erleichtert, dass „die letzte Klappe für das Gebäude 9 nicht gefallen ist“.
Dass Investor und Kreative überhaupt miteinander sprechen, ist ein Erfolg für die kreative Stadtgesellschaft. Musiker wie Thees Uhlmann und Stephen Malkmus warben öffentlich für das Gebäude 9. „Wohnraum ist wichtig“, schrieb Uhlmann auf Facebook. Wichtig seien aber auch „Sachen, die diesen Wohnraum begehrt, lebens- und liebenswert machen“.
Mehr als 50 Clubs und Konzerträume
Das Engagement für die Kultur- und Musikszene hat in Köln eine lange Tradition. 1980 besetzten bis zu 600 Menschen die frühere Schokoladenfabrik Stollwerck, die ebenfalls Wohnungen weichen sollte. Zwar räumte die Polizei nach 49 Tagen die Fabrik, die Maschinenhalle und der Annosaal immerhin blieben sieben Jahre als Kulturraum erhalten. Und aus dem alten Stollwerck gingen schließlich Bürgerhaus Stollwerck und Rhenania hervor – das Rhenania galt lange Zeit als Geheimtipp für alternative Konzerte mitten im charmant heruntergekommenen Rheinauhafen.
Weniger erfolgreich waren die Besetzung von leerstehenden Häusern an der Weißhausstraße und am Mauritiuswall Ende der 1980er Jahren beziehungsweise Anfang der 1990er Jahre. Nach wenigen Jahren wurden die Häuser wieder geräumt.Heute sind sich fast alle Beteiligten darin einig, dass Köln eine alternative Clubszene braucht, die es laut Manfred Post, von 1989 bis 2013 Kölns Referent für Rock- und Popkultur, „locker mit denen in Hamburg und Berlin aufnehmen kann“. Mehr als 50 Clubs und Konzerträume, in denen regelmäßig gespielt wird, zählt Post. Dass die Infrastruktur für Popmusik gut ist, beweist auch die Tatsache, dass die von Köln nach Berlin gezogene Musikmesse Popkomm in der Hauptstadt nicht gut funktioniert hat, die 2004 in Köln ins Leben gerufene c/o pop aber sehr wohl.
Andererseits ist bezahlbarer Wohnraum in Köln knapp, sagt Stadtentwicklungsdezernent Franz-Josef Höing. Prognosen der Kommune zufolge werde Köln in den kommenden Jahren um 50 000 Einwohner wachsen. Investoren, die Bauland erwerben, können und wollen in der Regel eine möglichst hohe Rendite erwirtschaften. „Eine Ursache für die Misere ist, dass die Stadt Köln wie viele andere Städte vor Jahren ihre hoheitliche Aufgabe, Bebauungspläne selbst zu erstellen, aus der Hand gegeben hat“, sagt Architekt Peter Busmann. Wenn Investoren die Planung überlassen werde, sei das Ergebnis oft: „Quantität vor Qualität. Die Kultur zieht den Kürzeren.“
Kunst und Kommerz - ein Widerspruch?
Für Wohnungen weichen musste nicht nur die Ehrenfelder Papierfabrik, sondern auch das Bel Air. Auf dem Nippeser Clouth-Gelände wurden den Kreativen hohe Auflagen gemacht – ihr Verbleib könnte ähnlich wie in der Ehrenfelder Kolbhalle am Geld scheitern, das die Künstler nicht aufbringen können.
Dass Kunst und Kommerz nicht im Widerspruch stehen müssen, zeigt das Beispiel Helios-Gelände in Ehrenfeld. Vom ursprünglichen Plan, auf dem Areal ein Einkaufszentrum zu errichten und unter anderem den Szene-Club Underground zu verdrängen, ist die Firma Bauwens im Rahmen eines moderierten Bürgerverfahrens abgerückt – nach massiven Protesten aus Bevölkerung und Politik. „Wir waren von den Reaktionen der Menschen überrascht“, sagt Bauwens-Gesellschafter Paul Bauwens-Adenauer. Nach monatelangen Diskussionen einigten sich die Beteiligten, auf dem Gelände eine Universitätsschule zu bauen, das Underground darf bleiben. „Für den Unternehmer ist das ein Schlag ins Kontor“, sagt Bauwens-Adenauer. Andererseits wolle man das Projekt nicht gegen den Willen der Bevölkerung durchsetzen.
Auf dem Areal des Gebäude 9 in Mülheim könnte der Spagat zwischen Wohnen und Kultur ebenfalls funktionieren, glaubt Boris Sieverts, der sein Büro für Städtereisen in der Alten Gas- und Motorenfabrik neben dem Gebäude 9 hat. Sieverts zeigt auf die plane Fläche im Norden des Fabrikgeländes und sagt: „Wenn die Investoren vor allem dort bauen, ist für uns alle genug Platz auf dem Gelände.“