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Alzheimer-MedikamentKölner Ärzte: „Wer jeden Tag eine Walnuss frühstückt, kann sich schützen“

Lesezeit 6 Minuten
Zwei PET-Abbildungen von Gehirnen sind zu sehen - sie zeigen gelbe, rote, orange und blaue Bereiche.

Die mit der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) erstellte Abbildung zeigt die Gegenüberstellung zweier Gehirne: Im gesunden Zustand (l.) und mit Alzheimer-Krankheit. Bereiche mit hohem Stoffwechsel stellen sich – wie in der Skala zu sehen – rot, orange bis gelb dar, während Bereiche mit niedrigem Stoffwechsel sich grün bis blau zeigen.

Die Arzneimittelbehörde hat ein neues Medikament zugelassen, das Hoffnung im Kampf gegen Alzheimer weckt. Kölner Mediziner sagen, wem es helfen kann.

Der Müll häuft sich. Er türmt sich zwischen den Häusern, in denen bald niemand mehr wohnen will. Es stinkt zu sehr, außerdem macht die ganze Gegend einen heruntergekommenen Eindruck. Wenn Özgür Onur seinen Patientinnen und Patienten die Erkrankung Alzheimer erklärt, dann erzählt er gerne vom Müll zwischen den Häusern. Es ist sein bildhafter Vergleich. So stellt er sich das selbst vor.

Nur, dass sich der Müll nicht auf der Straße, sondern im Gehirn befindet. Plaque nennt man ihn da und es handelt sich quasi um krankhafte Ablagerungen in der grauen Hirnsubstanz. Sie bestehen aus überflüssigem Eiweiß, aus Müll also, der sich über Jahrzehnte hinweg zwischen den Nervenzellen ansammelt. Und bei den irgendwann leerstehenden Häusern handelt es sich um Nervenzellen. Sie sterben angesichts der vermüllten Umgebung quasi aus Frust ab. „Irgendwann fehlen ganze Häuserzeilen, Siedlungen, Stadtteile“, sagt Onur. Der Patient weiß im Anfangsstadium nicht mehr, wo er die Schlüssel abgelegt hat, irgendwann erkennt er seine Kinder nicht mehr.

Seit vielen Jahren schon rätseln Forscherinnen und Forscher, wie sich die Krankheit Alzheimer aufhalten oder gar heilen lassen könnte. Nun hat die Europäische Arzneimittelbehörde ein Medikament zur Zulassung empfohlen, das Hoffnungen weckt: Monoklonale Antikörper mit dem pharmazeutischen Namen Lecanemab. Erfolgt die Zulassung durch die Europäische Kommission, könnte das Präparat bis spätestens Mitte des Jahres verfügbar sein. Özgür Onur, leitendem Oberarzt in der Neurologie der Uniklinik Köln, zufolge arbeitet Lecanemab ähnlich einer Müllabfuhr. Es räumt die Ablagerungen weg und sorgt dadurch für eine freundliche Nervenzellen-Nachbarschaft im Gehirn.

Dr. Özgür Onur ist mit Arztkittel und Brille im Porträt zu sehen.

Özgür Onur von der Uniklinik Köln erwartet in diesem oder dem kommenden Jahr einen Blutbiomarker zur Früherkennung von Alzheimer.

Was ist Alzheimer?

Alzheimer ist eine weit verbreitete Zivilisationskrankheit. Der Landesverband der Alzheimer Gesellschaften NRW geht von rund 350.000 Demenzerkrankten in Nordrhein-Westfalen aus, zwischen 60 und 70 Prozent davon leiden an der speziellen Erkrankung Alzheimer. Weil die Bevölkerung immer älter wird, schätzen Forscher, dass sich die Zahl der Demenzerkrankten bis zum Jahr 2050 in ganz Deutschland von derzeit 1,8 Millionen auf rund 2,5 Millionen erhöhen wird.

Die Krankheit tritt meist nach dem 65. Lebensjahr auf, die Fälle häufen sich bei Menschen, die ihren 80. Geburtstag bereits gefeiert haben. Der Abbau der Nervenzellen im Gehirn führt zu Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, die Sprache kann ebenso betroffen sein wie die Persönlichkeit. Betroffenen fällt es zunehmend schwer, den Alltag zu bewältigen.

Wie wirkt das neue Medikament Lecanemab?

Laut Pantea Pape, Chefärztin für Neurologie am Cellitinnen-Krankenhaus St. Marien, aktiviert das Medikament aus künstlich hergestellten Antikörpern, die alle zwei Wochen über eine Infusion verabreicht werden müssen, einige Immunprozesse. „Der Körper wird dadurch angeregt, schädliche Proteine im Gehirn abzubauen.“ Die Ansammlung dieser Plaques im Gehirn wird also aufgelöst und entsorgt. Ersten Studien zufolge kann die Krankheit so verzögert werden. „Gehirnzellen, die einmal kaputt sind, wachsen allerdings nicht nach“, bremst ihr Kollege Ralf-Joachim Schulz, Leiter des Altersmedizinischen Zentrums und Chefarzt der Geriatrie, die Erwartungen.

„Es ist kein Wundermittel“, sagt auch Onur von der Uniklinik und rekurriert wieder auf seine Stadtbild-Analogie: „Die Häuser werden nicht repariert.“ Betroffenen gehe es 18 Monate nach dem Start mit dem Medikament zwar besser als ohne Therapie zu diesem Zeitpunkt, aber dennoch schlechter als zu Beginn der Therapie. „Es bremst den Abbau etwa um 30 Prozent“, so Onur.

Pape und Schulz von Cellitinnen Krankenhaus St. Marien im Doppelporträt

Pantea Pape und Ralf-Joachim Schulz vom Cellitinnen Krankenhaus St. Marien in Köln räumen auch einer veränderten Lebensweise große Möglichkeiten in der Alzheimer-Demenz ein.

Ist das jetzt der Durchbruch in der Alzheimer-Forschung?

Eher nicht. Dass die ganz große Euphorie unter geriatrischen Fachärztinnen und Fachärzten noch nicht aufgekommen ist, liegt auch daran, dass das Medikament nur für einen kleinen Teil der Patienten überhaupt in Frage kommt. „Wir sprechen von Betroffenen im Anfangsstadium: Die Diagnose ist durch positive Biomarker im Nervenwasser gestellt, verläuft aber bislang mit nur ganz leichten kognitiven Störungen“, so Pape.

Ein Großteil der Betroffenen ist von der Behandlung ausgeschlossen. Das sind zum Beispiel Menschen, die starke Blutverdünner einnehmen oder die über mehr als zwei Kopien des ApoE4-Gens verfügen. Grund ist eine riskante Nebenwirkung des Medikaments: Während der Plaque-Müll aufgelöst und abgeräumt wird, kommt es in einigen Fällen zu teilweise schweren Hirnblutungen und Hirnschwellungen. „Am Ende bleiben etwa fünf bis zehn Prozent, die überhaupt für dieses Medikament in Frage kommen“, so Pape. Hinzu komme, dass es in der Gabe logistisch aufwändig ist. Da es sich bei Antikörpern um Eiweiße handelt, können sie nicht in Tablettenform verabreicht werden. „Der Körper würde diese sonst verdauen“, sagt Schulz. Regelmäßige Infusionen in spezialisierten Kliniken, die zusätzlich durch Bildgebung des Gehirns überwacht werden müssen, sind kompliziert und teuer.

Wo liegen die Hoffnungen in der Alzheimer-Medizin in Zukunft?

Für die Kölner Mediziner ist die Früherkennung der entscheidende Faktor. Als der deutsche Psychiater Alois Alzheimer Anfang des 20. Jahrhunderts die Krankheit entdeckte, ließ sie sich lediglich mikroskopisch im Gehirn nachweisen – nach dem Tod des Patienten. Seither hat sich hier einiges nach vorne verschoben. Schon heute gelingt es Medizinern über die Untersuchung des Nervenwassers Proteinveränderungen zu entdecken und gesicherte Diagnosen zu stellen, Jahre bevor der Betroffene vergisst, dass man einen Herd nach dem Kochen wieder ausstellen muss.

Allerdings sind Nervenwasseruntersuchungen einigermaßen aufwändig. „Ohne dass Probleme vorliegen, kommt eine Untersuchung des Nervenwassers nicht in Betracht, was mit einer Punktion im Rücken verbunden wäre“, so Onur. Den Durchbruch bei der Prophylaxe sieht der Experte von der Uniklinik deshalb in der Entdeckung von Blutbiomarkern. „Ich rechne damit, dass wir Blutbiomarker dieses oder kommendes Jahr haben werden. Dann reicht ein Bluttest bei einem zum Beispiel 60-Jährigen, um frühzeitig eine Risikokonstellation zu entdecken und rechtzeitig gegensteuern zu können.“ Zum Beispiel durch ein neues Medikament wie Lecanemab. Aber eben nicht nur pharmazeutisch.

Kann ich auch ohne Medikamente einer drohenden Demenz entgegenwirken?

Frühzeitige Diagnosen sind vor allem deshalb wichtig, weil der Einzelne auch im Alltag etwas gegen die eigene Demenz unternehmen kann. Und zwar ohne sich dafür alle zwei Wochen in der Klinik an die Nadel hängen lassen zu müssen. „Wir wissen heute, dass durch Veränderungen der Lebensweisen etwa jede dritte Alzheimererkrankung verhindert werden könnte“, sagt Schulz vom Marien-Hospital. Die Liste an Maßnahmen ist lang, alle eint ein Schlagwort: Ein guter Stoffwechsel. Wer den auf Trab hält, der vergrößert damit seine Chance, einer Demenz zumindest viele Jahre entscheidende Schritte voraus zu sein.

Wichtig ist beispielsweise ein normaler Blutdruck, ein niedriger Cholesterinwert, ein normalgewichtiger Körper, Bewegung, der Erhalt des Hör- und Sehvermögens, der Verzicht auf Nikotin, dafür der regelmäßige Verzehr von Omega-3-Fettsäuren, wie sie in fettem Fischen oder Nüssen vorkommen. „Wer jeden Tag zum Beispiel eine Walnuss frühstückt, der kann dadurch das Auftreten von Sauerstoffradikalen im Körper zurückdrängen und sich so auch vor Gehirnablagerungen schützen“, sagt Schulz.

Auch die soziale Gesundheit sei ein wichtiger Faktor im Kampf gegen Alzheimer und andere demenzielle Erkrankungen. Denn nicht nur Ernährung und Sport fördern die Durchblutung und damit den Abtransport von Plaques, sondern beispielsweise auch Gespräch. „Eine angeregte Unterhaltung stresst das Gehirn und sorgt so für eine gesteigerte Durchblutung und knackige Gefäße – beides schützt vor Demenz“, erklärt Schulz: „Laden Sie Freunde zum Kartenspielen ein und erzählen sich Dinge, auf die man sich konzentrieren muss.“ Onur empfiehlt neben Gesprächen Lesen, Gedächtnisübungen oder ein Musikinstrument. Aktivität spiele eine zentrale Rolle. „Fernsehen hilft leider nicht. Da schaltet das Gehirn eher ab.“


Im Kölner Alzheimer Präventionszentrum der Uniklinik können sich Patienten über Prävention informieren. Im interdisziplinären Zentrum für Gedächtnisstörungen der Uniklinik wird Frühdiagnostik, Behandlung von Demenzen und klinische Studien zur Alzheimer Krankheit angeboten.

Das Altersmedizinische Zentrum Köln am St. Marien-Hospital bietet Akutgeriatrie und eine Reha, aber auch eine Geriatrische Tagesklinik, in der beispielsweise umfangreiche kognitive Tests durchgeführt werden können.