Viel Schlechtes passierte 2024 in der Welt – aber nicht nur. Ein Blick auf neue Medikamente, Wissenschaft und Virenaktivität zeigt: Es gab auch Fortschritte und gute Nachrichten.
Trotz Krisen und SorgenFünf Durchbrüche in der Medizin aus dem Jahr 2024, die hoffnungsvoll stimmen
Man könnte meinen, 2024 war nur Krise. Schlechte Nachrichten dominierten die Schlagzeilen: Kriege in der Ukraine und Nahost, (partei)politisches Chaos, klimawandelbedingte Extremwetterereignisse. Da sind neue Ausbrüche unter Tieren und Menschen, mit Erregern wie Mpox und dem Vogelgrippevirus H5N1. Forschenden zufolge hätten sie unter bestimmten Umständen sogar das Potenzial, erneut eine Pandemie auszulösen.
Nicht zu vergessen die Psyche: Da ist eine zunehmende Einsamkeit, die vielen Menschen zu schaffen machen. Da ist mehr Stress – die Zahl der Krankentage nimmt entsprechend zu. Auch das Level an Atemwegserkrankungen wie Erkältung, Grippe, Corona bleibt phasenweise hoch. Es wurden aber auch Probleme gelöst oder zumindest Fortschritte erzielt – gerade im medizinischen Bereich. 2024 war durchaus ein Jahr hoffnungsvoll stimmender Nachrichten. Eine Auswahl.
HIV-Prophylaxe per Spritze
Weltweit leben rund 40 Millionen Menschen mit der Immunschwächekrankheit HIV, davon ein großer Teil in Afrika, südlich der Sahara. Um eine Infektion präventiv zu verhindern, gibt es die Präexpositionsprophylaxe (PrEP). Dabei können Menschen ihr HIV-Risiko senken, indem sie entsprechende schützende Medikamente einnehmen. Und ein neuer Wirkstoff könnte künftig einfacher Menschen schützen. Die Rede ist vom Medikament Lenacapavir. Das Fachmagazin „Science“ würdigte die Entwicklung des Mittels als wichtigsten Forschungsdurchbruch des Jahres.
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Statt täglich eine Tablette einzunehmen, wie es etwa beim Standardmedikament Truvada der Fall ist, braucht es bei Lenacapavir eine Spritze, die nur zweimal jährlich verabreicht wird. Auch auf diesem Wege ist man Studiendaten zufolge sehr gut geschützt vor einer Infektion mit dem HI‑Virus. Der Hersteller Gilead hat angekündigt, die Zulassung als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern zu beantragen. Gezielt werde an einer Versorgung auch in ärmeren Ländern gearbeitet. Das Mittel soll dann prophylaktisch Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko angeboten werden.
Heilen können die Medikamente von heute HIV-Patienten und ‑Patientinnen nicht. Forschende sind aber hoffnungsvoll, dass auch das eines Tages gelingen könnte. „Ich würde schon sagen, dass eine Heilung grundsätzlich möglich ist“, erklärte der an der Berliner Charité zur HIV-Heilung forschende Infektiologe Christian Gaebler Anfang Dezember. Gezeigt hätten das weltweit bislang sieben Einzelfälle. Das seien aber sehr aufwendige und spezialisierte Therapien gewesen. „Wir müssen jetzt Wege finden, um solche Ansätze breit anwendbar und für möglichst viele Menschen mit HIV verträglich zu machen.“
Corona bleibt – ohne Rückkehr zur Pandemie
Das Coronavirus zirkuliert noch, es gibt immer wieder Verbreitungswellen mit zahlreichen Infizierten, auch Erkrankten. Das Ex‑Pandemie-Virus mutiert fleißig weiter, entwickelt immer wieder neue Varianten, um trotz wachsenden Immunschutzes unter uns Menschen zu überleben. Aber: Die Pandemie ist vorbei. 2024 leben wir das zweite Jahr in Folge in der Endemie. Es sei unwahrscheinlich, dass das Virus wieder als Pandemieerreger auftritt, erklärt das Robert Koch-Institut (RKI). Eine Rückkehr zur ursprünglichen Krankheitslast könne „als ausgeschlossen gelten“ – dank der soliden Bevölkerungsimmunität, insbesondere durch Impfungen.
Es gibt trotz zirkulierenden Virus auch deutlich seltener schwer an Covid‑19 Erkrankte. Immungesunde Menschen brauchen keine jährliche Auffrischungsimpfung mehr. Nur über 60‑Jährigen und Menschen mit bestimmten Vorerkrankungen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) eine jährliche Schutzimpfung im Herbst. Es braucht auch keinen großen Maßnahmenkatalog mehr. Wer sich angesteckt hat, sollte drei bis fünf Tage zu Hause bleiben, bis Symptome abgeklungen sind – so, wie es sich bei anderen Atemwegsinfekten auch empfiehlt.
Alzheimer stoppen im Frühstadium
Rund 1,8 Millionen Menschen sind hierzulande von Alzheimer betroffen. Mit einer zunehmend alternden Gesellschaft dürften es künftig noch weit mehr werden. Heilbar ist die Krankheit bis heute nicht. Forschende sind seit Jahrzehnten auf der Suche nach Therapien, um den langsam fortschreitenden Untergang der Nervenzellen irgendwie aufzuhalten. Ein Wundermittel, welches die Alzheimer-Krankheit per se stoppen oder gar heilen könnte, gibt es bislang nicht. Aber: Die Europäische Arzneimittelagentur Ema hat Mitte November dieses Jahres erstmals ein Medikament zur Zulassung empfohlen, das zumindest etwas helfen kann.
Das Mittel Lecanemab richtet sich gegen manche Mechanismen und Ursachen der Alzheimer-Krankheit selbst – und lindert nicht nur Symptome im Verlauf. Es ist ein Antikörper, der Proteine im Gehirn, sogenannte Beta-Amyloid-Plaques, zunichtemacht. Vereinfacht gesagt bewahrt er bestimmte Nervenzellen davor, durch diese Proteine zerstört zu werden. Das Fortschreiten kognitiver und funktioneller Defizite bei Erkrankten könne mithilfe der Therapie verringert werden, heißt es in der Ema-Stellungnahme.
Fachleute aus der medizinischen Praxis rechnen damit, dass hierzulande rund 10 Prozent aller 250.000 jährlich an Alzheimer Erkrankten für eine Therapie mit Lecanemab infrage kämen. Vor allem das Stadium der Erkrankung ist dabei entscheidend: Für eine Behandlung in Betracht kommen nur erwachsene Patienten mit der klinischen Diagnose „einer leichten kognitiven Beeinträchtigung und einer leichten Demenz“, hält die Ema fest.
„Lecanemab ist kein Wundermittel“, sagte dazu Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, wenige Tage nach der Zulassung. Für einen begrenzten Personenkreis könne es aber durchaus ein Gewinn sein: Die Studiendaten legten nahe, dass Betroffene in einem frühen Erkrankungsstadium mithilfe von Lecanemab rund ein halbes Jahr Lebenszeit gewinnen könnten, wo sie in einem ganz frühen Stadium der Demenz verbleiben. „Das an sich ist schon ein Wert“, sagt Berlit.
Therapiedurchbruch bei Schizophrenie
Schizophrenie ist eine psychische Erkrankung, die zu Lebzeiten nur bei einem Prozent der Menschen auftritt und damit relativ selten ist. Für Betroffene ist sie allerdings besonders einschränkend. Das Krankheitsbild kann sehr unterschiedlich aussehen. Betroffene können eine stärkere psychische Aktivität aufweisen, die sich beispielsweise durch Halluzinationen und Wahnvorstellungen auszeichnet. Bei manchen Erkrankten zeigt sich hingegen ein Mangel an psychischer Aktivität, die das Denken, Fühlen und Handeln vermindert oder einschränkt.
Gerade aufgrund dieser vielseitigen Symptomatik ist es wichtig, dass Behandelnde über unterschiedliche Psychopharmaka verfügen. Bisherige Antipsychotika zielen mit ihrer Wirkung direkt auf den Botenstoff Dopamin ab, der im Körper etwa für das Belohnungssystem oder auch Bewegung zuständig ist. Die Medikamente haben jedoch nicht unerhebliche Nebenwirkungen: So kann es zu Muskelkrämpfen, unwillkürlichen Bewegungen oder einer allgemeinen Verlangsamung der Motorik kommen. Ein neuartiger Wirkmechanismus bietet nun die erste Therapiealternative seit Jahrzehnten – in Form des Medikaments KarXT.
Das Mittel kombiniert zwei Stoffe: Xanomelin und Trospium. Xanomelin aktiviert die Muskarinrezeptoren im gesamten Nervensystem, die die Freisetzung von Dopamin dämpfen. Denn Dopamin ist entscheidend für Symptome der Schizophrenie – wie Halluzinationen und Wahnvorstellungen. Trospium wiederum verhindert die Wirkung von Xanomelin im peripheren Nervensystem, sodass dort keine unangenehmen Nebenwirkungen auftreten.
Unabhängige Forschende sehen den Wirkmechanismus als Durchbruch. Vorteilhaft sei insbesondere das sehr geringe bis nicht vorhandene Risiko für motorische Nebenwirkungen. „Auch scheint die Substanz wenig zu sedieren“, sagte Alkomiet Hasan, Psychiater an der Universität Augsburg. „Dies bedeutet, dass dieses Medikament eine bessere Verträglichkeit als vorhandene Antipsychotika bei guter Wirksamkeit zeigt.“ Die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA hat KarXT Ende September 2024 bereits zugelassen. Wann es in Europa auf den Markt kommt, ist noch nicht klar.
mRNA-Studien für die Zukunft
Nur dank der mRNA-Technologie konnte in der Corona-Pandemie so schnell so viel Impfstoff entwickelt und produziert werden, um weltweit sehr viele Menschen vor dem Virus zu schützen. Kein Wunder also, dass seit diesem Erfolg Pharmaunternehmen wie Moderna, Biontech und Sanofi auch bei anderen Krankheiten auf diesen Zweig setzen. Künftig könnte also mit neuen mRNA-Impfungen und ‑Medikamenten zu rechnen sein.
Mehr als 250 klinische Versuche laufen momentan weltweit. Das heißt, neue Vakzine und Arzneien werden bereits am Menschen getestet. Auch wenn konkrete Empfehlungen noch nicht ausgesprochen wurden: Das lässt künftig auf neue Impfungen und Therapeutika hoffen, etwa bei RSV, HIV, Influenza, Mpox, Borreliose, Tuberkulose – und auch zu den großen Volksleiden wie Krebs und Herzkrankheiten, so erklärte es Katalin Karikó im Oktober dieses Jahres. Die Biochemikerin und Nobelpreisträgerin legte den Grundstein für mRNA-Impfstoffe.
„mRNA-Therapien können auf sehr viele Krankheiten angewandt werden“, erklärte die Wissenschaftlerin die Vorteile der Schlüsseltechnologie. Es gebe Ansätze, bei denen Patientinnen und Patienten sofort nach einer Operation eine speziell auf sie zugeschnittene Behandlung bekommen. In der Herstellung seien auf mRNA basierende Mittel viel billiger als Proteinprodukte. „Man kann damit auch multivalente Impfstoffe herstellen, die gegen verschiedene Erreger gleichzeitig wirken.“