Studien zufolge fühlen sich bis zu zwanzig Prozent der Menschen in NRW einsam. Wie die Landesregierung Wege aus der Isolation aufzeigen will.
Aktionsplan gegen EinsamkeitSoziale Isolation ist so gesundheitsschädlich wie 15 Zigaretten am Tag
Die zwölf Bänke sind im gesamten Stadtgebiet verteilt. „Setzen Sie sich gerne dazu“, steht auf dem Schriftzug, der an der Rückenlehne befestigt ist. In Düsseldorf laden diese speziellen Sitzgelegenheiten zum Verweilen ein. Die „Zuhör-Bänke“ sind ein Projekt gegen Vereinsamung. Insgesamt 80 Ehrenamtler sind zu bestimmten Zeiten als Zuhörer und Gesprächspartner im Einsatz. Viele Menschen, die niemanden zum Reden haben, sind für das Angebot dankbar.
Henrik Wüst: „Einsamkeit schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt“
Die schwarz-grüne Landesregierung hat die Bekämpfung der Einsamkeit in NRW zu einem Kernanliegen erklärt. Am Dienstag legte das Kabinett einen Aktionsplan mit 100 Punkten vor, der sämtliche Maßnahmen zusammenfasst. „Einsamkeit schadet dem gesellschaftlichen Zusammenhalt“, sagte NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst vor Journalisten in Düsseldorf. Wer sich dauerhaft einsam fühle, stehe der Gesellschaft distanzierter gegenüber. „Das kann auch eine Gefahr für die Demokratie werden“, warnte der CDU-Politiker. Isolierte Menschen würden eher dazu neigen, extremistische Positionen zu übernehmen und an Verschwörungstheorien zu glauben als Personen, die nicht isoliert seien.
Studien zufolge ist die Einsamkeit zu einem Massenphänomen geworden. Nicht nur ältere Menschen sind betroffen. Auch fast jeder fünfte Jugendliche und junge Erwachsene fühlt sich stark einsam. Eine besorgniserregende Entwicklung. Chronisches Alleinsein kann auch krank machen. Im Abschlussbericht einer Enquetekommission des Landtags heißt es, dass Einsamkeit genauso schädlich sein kann wie der Konsum von 15 Zigaretten am Tag.
In dem Aktionsplan der Landesregierung werden die Düsseldorfer Zuhör-Bänke als positives Beispiel für ein Alltagskonzept herausgehoben. Schwarz-Grün prüft jetzt, wie das Programm landesweit ausgerollt werden könnte. Hier drei weitere Maßnahmen aus dem Plan: Kraft der Musik nutzen. Gemeinsam mit den Dachverbänden der Amateurmusik soll ein Konzept entwickelt werden, um die Aufnahme von einsamen Menschen in Chöre zu fördern. Auch offene Musikangebote in Senioren- und Pflegeeinrichtungen sollen finanziell unterstützt werden.
Neue Perspektiven schaffen. Ziel ist es, einsamen älteren Menschen die Aufnahme einer sinnstiftenden Tätigkeit zu ermöglichen. So können sich pensionierte Lehrkräfte an Grundschulen im Bereich Leseförderung engagieren oder Schülern mit Unterstützungsbedarf begleiten.
Hotline für Einsamkeitsseelsorge. Die Landesregierung fördert das „Silbertelefon“, eine Einsamkeitshotline, mit 150.000 Euro. Hier können ältere Menschen anonym und kostenlos anrufen, wenn sie sich einsam fühlen.
Das Aktionsprogramm trägt die Überschrift „Du+Wir=Eins. Nordrhein-Westfalen gegen Einsamkeit“. Alle Ministerien wurden sensibilisiert, diesen besonderen Kampf auf die Agenda zu nehmen. Ein Schwerpunkt liegt im Schulbereich.
Besonders Augenmerk auf Senioren, Schülern und Alleinerziehenden
Dort wird das Landesinstitut für Schule Lehrkräften Unterrichtsmaterial zum Umgang mit dem Thema Einsamkeit zur Verfügung stellen. Im Rahmen von Projektwochen sollen neben diesem auch die Themen Resilienz und Mobbingprävention künftig noch intensiver behandelt werden.
Das Familienministerium fördert eine Landesfachstelle für Alleinerziehende, eine Gruppe, die sich besonders häufig isoliert fühlt. Das Gesundheitsministerium unterstützt die Initiative „Miteinander – Digital“, die Senioren in Pflegeeinrichtungen befähigen soll, über das Internet Kontakt mit Angehörigen, Freunden und Bekannten zu unterhalten. Auch in Jobcentern, Schulen, Universitäten oder bei der Polizei sollen die Mitarbeiter für das Thema Einsamkeit sensibilisiert werden.
Arndt Klocke, Sprecher für mentale Gesundheit bei den Grünen, begrüßte den Aktionsplan. Gefördert würden auch lokale Projekte, die vor Ort den Menschen Angebote zum Zusammenkommen und zur Freizeitgestaltung machten: „So sollen präventive Maßnahmen wirken, die schwere psychische Erkrankungen bis hin zur Suizidalität zu verhindern helfen“, so der Politiker aus Köln.
Vor Erstellung des Aktionsplans hatte die Staatskanzlei ein Online-Beteiligungsverfahren durchgeführt. Knapp 200 Personen, Verbände und Institutionen hatten sich an einem Ideenwettbewerb beteiligt.