Es gab Vorfälle an sechs Kölner Schulen. Die Nachfrage nach Antisemitismus-Workshops hat sich verdoppelt.
Tätlicher Angriff und Sticker auf SchulklosAntisemitismus an Kölner Schulen deutlich gestiegen
An Kölner Schulen hat Antisemitismus deutlich zugenommen. Allein seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober verzeichnet die nordrhein-westfälische Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (RIAS) sechs Kölner Schulen, die Vorfälle gemeldet haben.
Ein Oberstufenschüler wurde aus antisemitischen Motiven in der Schule so massiv körperlich angegriffen, dass er mit Verletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Vorher war der Junge wochenlang gemobbt worden. In einem Kölner Gymnasium wurden im Gebäude verteilt Aufkleber angebracht, die eine Israel-Fahne zeigen, auf der ein Kothaufen statt des Davidsterns abgebildet ist. Ein Aufkleber wurde mitten auf dem Toilettensitz des Schulklos platziert. 15 Vorfälle in Bildungseinrichtungen hat das NS-Dokumentationszentrum als Kölner Meldestelle für antisemitische Vorfälle für 2023 dokumentiert. Das bedeutet gegenüber 2021 eine Verdopplung.
Verbale Gewalt alles größtes Problem
Viel öfter und alltäglicher werden jüdische Schülerinnen und Schüler allerdings mit verbaler Gewalt konfrontiert: Da ist der jüdische Schüler, dem ausgerechnet am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus auf dem Nachhauseweg von der Schule „Ab nach Auschwitz!“ zugerufen wird. In einer anderen Kölner Schule begründet ein Schüler seinen Israel-Hass damit, die Schoa sei passiert, „weil die Juden so viele Probleme machen“ und „hinter den meisten Kriegen stehen“. Die betroffenen Schulen dürfen aus Gründen des Betroffenenschutzes nicht genannt werden.
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„Wir bekommen von Lehrerinnen und Lehrern die Rückmeldung, dass es vielerorts Probleme mit Antisemitismus gibt“, bestätigt Marcus Meier, Geschäftsführer der Kölnischen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Das, was in den Informationsstellen für Antisemitismus gemeldet wird, ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Massivität und Aggressivität hätten nach Rückmeldung von vielen Lehrkräften seit dem Angriff der Hamas im Oktober stark zugenommen. Das sei eine riesige Herausforderung für die Lehrkräfte, die sich dafür vielfach nicht ausreichend gerüstet fühlten.
Viele Kölner Schulen engagieren sich in der Erinnerungsarbeit
Dabei gibt es viele Kölner Schulen, die sich stark in der Erinnerungs- und Antidiskriminierungsarbeit engagieren. Beispiele sind etwa die Königin-Luise-Schule und das Gymnasium Kreuzgasse, die sich bei der Verlegung von Stolpersteinen einbringen und regelmäßig Projekte zur Erinnerungsarbeit etwa mit Holocaust-Zeitzeugen oder zu den Biografien ehemaliger jüdischer Schüler organisieren.
Besonders wertvoll sind für die Schulen in der Antidiskrimierungsarbeit Workshop-Formate, wie sie etwa die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit anbietet – zu Themen wie „Nur ein Witz? – Antisemitismus im Schulalltag“. Schulen wie das Dreikönigsgymnasium nutzen diese seit Jahren und bewerten sie als äußerst hilfreich. Dabei arbeiten die Workshops nicht wie im Geschichts- und Projektunterricht vor allem auf der Sachebene, sondern beziehen mit niedrigschwelligen Angeboten die Emotionsebene ein – etwa mit Rollenspielen zu Diskriminierungserfahrungen. Mit dem Schaurte-Gymnasium Deutz und der Helios-Gesamtschule gehören sogar zwei Kölner Schulen zu dem langfristigen NRW-Modellprojekt „Step by Step auf dem Weg in die demokratische Schulkultur“. Gefördert durch die Antisemitismusbeauftragte des Landes NRW soll das Programm mit mehrstufigen Workshops für alle Altersgruppen die Schulzeit durchziehen.
Der Bedarf an Antisemitismus-Workshops sei riesig und wachse stetig. Man könne von einer Verdopplung der Anfragen sprechen, so Geschäftsführer Meier. Das Problem: Es gibt schon jetzt so viele Anfragen, dass die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit diese mit ihrer Personalausstattung nicht mehr alle bedienen kann. Selbst aus dem Ruhrgebiet und Aachen melden sich interessierte Schulen.
Statt eines Ausbaus des Angebotes gibt es derzeit allerdings große Sorge, wie und ob das Angebot von Bundeszentrale und Landeszentrale für politische Bildung weiterfinanziert wird. „Die Finanzierung ist nur bis einschließlich 2024 gesichert. Alle Anfragen von Schulen für 2025 müssen wir derzeit absagen“, beklagt der Geschäftsführer. Das Langzeitprojekt „Step by Step“ musste bereits ausgesetzt werden.
Viele Lehrkräfte haben zu wenig Wissen über den Nahostkonflikt
Der Nachteil der Workshops liege darin, dass sie in der jeweiligen Klasse immer nur einen punktuellen Impuls setzen. Viel wichtiger ist nach Ansicht von Meier, dass sich strukturell etwas ändert. Man habe schon lange festgestellt, dass das Wissen über Antisemitismus und Nahostkonflikt bei vielen angehenden Lehrerinnen und Lehrern sehr gering ist und viele sich unsicher fühlen. Daher kämpfe die Kölnische Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit schon seit mehr als fünf Jahren dafür, die Themen Antisemitismus und Diskriminierung im Rahmen einer Fortbildung zum Teil der Lehrerausbildung zu machen. Entsprechende Konzepte mit einem konkret ausgearbeiteten Modul seien bereits der ehemaligen Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) übermittelt worden. „Aber wir wurden immer wieder vertröstet“, so Meier.
Das nordrhein-westfälische Schulministerium betonte dagegen auf Nachfrage, dass Antisemitismus ausdrücklich Teil des Kernlehrplans für die Lehrerausbildung sei. Nach dem Überfall der Hamas auf Israel und den kontroversen Diskussionen über den Nahostkonflikt an Schulen hatte das Ministerium den Schulen Unterrichtsmaterial und Webinare zur Verfügung gestellt. Derzeit erarbeitet das Schulministerium darüber hinaus Leitlinien für den Umgang mit Antisemitismus. Die „Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit – Beratung bei Rassismus und Antisemitismus“ (SABRA) lasse derzeit mit finanzieller Unterstützung des Schulministeriums digitale Lernmodule entwickeln, um Lehrkräfte im Umgang mit israel-bezogenem Antisemitismus zu schulen. Schulministerin Dorothee Feller (CDU) wird sich zudem in Kürze mit den christlich-jüdischen Gesellschaften treffen, um zu erörtern, wo es weiteren Unterstützungsbedarf gibt.
Holocaust-Education an neuer Kölner Gesamtschule
Bereits seit vielen Jahren bietet das Land NRW jährlich die Fortbildung „Erziehung nach Auschwitz“ für Lehrende in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Israel an. Aufsetzend darauf wird im kommenden Schuljahr mit der neu gegründeten Gesamtschule Weidenpesch die erste Kölner Schule an den Start gehen, die „Holocaust-Education“ durchgehend von Klasse 5 an in ihr Schulprogramm aufgenommen hat.
Schulleiter Patrick Werneburg ist Geschichtslehrer. Er hat diese Ausbildung in Israel gemacht und möchte an der neuen Schule Demokratie-Erziehung durchgängig und fächerübergreifend behandeln. Nicht nur mit konkreter Begegnung durch Gedenkstätten-Fahrten und einem Israel-Austausch, sondern auch fächerübergreifend durch Projekte etwa im Kunst- oder Musikunterricht. „Menschenrechte und Vielfalt sollen unsere Schülerinnen und Schüler während ihrer Zeit bei uns ganz tief verinnerlichen.“