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Rechtsruck bei Kölner SchülernAn welchen Kölner Schulen die AfD stärkste Kraft wurde – und was Experten nun fordern

Lesezeit 7 Minuten
Die Haupt-Informationsquelle für Jugendliche ist TikTok. (Symbolbild)

Die Haupt-Informationsquelle für Jugendliche ist TikTok. (Symbolbild)

Bei den Juniorwahlen zur Europawahl hat die AfD an einigen Kölner Schulen sehr stark abgeschnitten. Wie soll man der Entwicklung begegnen?

Eine Erkenntnis hat die Europawahl gebracht: Auch die Jugendlichen und jungen Erwachsenen sind deutlich nach rechts gerückt. Bei der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen kam die AfD mit 16 Prozent auf den zweiten Platz hinter der CDU (17 Prozent). Die Trendumkehr war dabei noch deutlich markanter als in allen anderen Altersgruppen. Schließlich hatte bei der Bundestagswahl noch die klare Mehrheit der Erstwähler ihr Kreuz bei Grünen oder FDP gemacht.

Erstmals durften 16- und 17-Jährige wählen

Von den Wahlforschern wurde die Altersgruppe der 16- und 17-Jährigen, die erstmals bei einer bundesweiten Wahl wählen durften, nicht gesondert ausgewertet. Um die Stimmung auf den Schulhöfen einzuschätzen, war man an den Kölner Schulen daher besonders gespannt, wie die sogenannten Juniorwahlen ausgehen.

Die Juniorwahl ist ein Projekt zur politischen Bildung in Schulen. Dabei setzen sich die teilnehmenden Schulen einen Monat intensiv mit dem Thema Demokratie und Wahlen auseinander. Höhepunkt des Projekts ist dann ein realitätsgetreuer Wahlakt in den Schulen inklusive Wahlurnen und Wählerverzeichnis und Original-Stimmzetteln. An bundesweit 5600 Schulen nahmen die Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse freiwillig daran teil.

In Nordrhein-Westfalen wurde bei der Juniorwahl an den Schulen die AfD mit 13,1 Prozent drittstärkste Partei. Dabei war das Ergebnis sehr heterogen. Während in den meisten Kölner Schulen entweder Grüne oder CDU vorne lagen, gab es auch Schulen, an denen die AfD stärkste Kraft wurde: So etwa am Kaiserin-Theophanu-Gymnasium in Kalk, wo die AfD vor der CDU landete. Auch am Werner-von-Siemens-Berufskolleg in Deutz wurde in der Schülerschaft die AfD mit 20,3 Prozent deutlich stärkste Kraft.

An einigen Kölner Schulen ist die AfD bei der Juniorwahl stärkste Partei

Selbst an Schulen, an denen – wie am Dreikönigsgymnasium (DKG) in Bilderstöckchen – die Grünen die Juniorwahl gewannen, sorgte das Ergebnis für Aufhorchen: Denn bei der Analyse der Wahlergebnisse nach Jahrgangsstufen fiel auf, dass in der Q1 – also dem Jahrgang vor dem Abitur – die AfD mit 23,4 Prozent mit Abstand stärkste Kraft geworden war. Gefolgt von der Erdogan und der AKP nahestehenden Partei Dava, die in Deutschland antreten durfte.

Wie umgehen mit dem Rechtsruck bei den Jungen? Woher kommt er und vor allem: Wie kann man dem an den Schulen begegnen?

Für DKG-Schulleiterin Barbara Wachten sind die Ergebnisse der Juniorwahl ein Auftrag: Sie wandte sich offensiv in einem Brief an die Eltern: „Wir werden die Ergebnisse im Unterricht aufgreifen, um zu klären, warum für Schülerinnen und Schüler Parteien, die als rechts-nationalistisch gelten, attraktiv sind“, erklärt Wachten. Dabei ist ihr vor allem eines wichtig: Mit den Schülern im Gespräch zu bleiben und zuzuhören. „Stigmatisieren bringt nur Gegenwehr. Wir dürfen diese Jugendlichen nicht verlieren“, weiß sie. Die Befindlichkeit dahinter verstehen, das ist das Ziel.

Sinus-Studie sieht sinkendes Interesse der Jugend an Politik

Genau diese Befindlichkeit hat die Jugendstudie Sinus untersucht, die in der vergangenen Woche veröffentlicht wurde. Anders als bei anderen Jugendstudien ging es nicht um eine Statistik-Auswertung, sondern um Tiefen-Interviews in sieben verschiedenen Milieus. Dabei konstatiert die Studie bei den 14- bis 17-Jährigen eine sehr große Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Geborgenheit. Gleichzeitig ermittelte sie ein sinkendes Interesse an Politik. Angesichts der Krisen von Klimawandel, Inflation und Krieg reagierten besonders die weniger gebildeten Jugendlichen mit „Verdrängung, Abwehr und Desinteresse“ im Hinblick auf Politik, schreiben die Autoren der Studie.

Als Hauptgründe für ihr Desinteresse nennen die Jugendlichen „die gefühlte Einflusslosigkeit und ihr geringes politisches Wissen“. Sie schätzen ihre eigene politische Kompetenz als zu gering ein, um sich einbringen zu können. Ein ähnliches Spannungsverhältnis zeigt sich auch beim Thema Wahlen: Zwar befürwortet ein Großteil das Wahlrecht ab 16, fühlt sich aber gleichzeitig nicht ausreichend darauf vorbereitet.

TikTok ist laut dem Ergebnis der Sinus-Studie die Nachrichtenquelle Nummer eins bei den 14- bis 17-Jährigen. Dabei nutzten die meisten Jugendlichen TikTok unreflektiert, ließen sich von einem Video zum nächsten treiben. Politik findet eher beiläufig statt – zwischen Katzenvideo und Tanz-Choreografie. Nach dem Installieren von TikTok dauert es laut einer Studie aber durchschnittlich nur 40 Minuten, bis das erste Mal Fake News mit russischer Propaganda auf dem Smartphone auftauchen.

Es greift zu kurz, einfach zu konstatieren, es gibt einen Rechtsruck und daran ist jetzt TikTok schuld
Marcus Bösch, Politologe und TikTok-Experte

„Es greift aber zu kurz, einfach zu konstatieren, es gibt einen Rechtsruck und daran ist jetzt TikTok schuld“, sagt der Politologe und TikTok-Experte Marcus Bösch. Dahinter lägen gesellschaftliche Konflikte, die deutlich größer seien als eine App. Trotzdem sei TikTok ein wichtiger Faktor. Vor einigen Wochen sei eine Studie mit 3000 Jugendlichen erschienen, die erstmals einen Zusammenhang zwischen TikTok-Nutzung und AfD-Präferenz belege.

Bösch findet, dass an der Schule mehr Wissensvermittlung über TikTok stattfinden muss. „Natürlich wäre gut, wenn Lehrerinnen und Lehrer sich die App auch selbst mal anschauen würden. In einer Klasse mit 98 Prozent TikTok-Abdeckung, bei denen jeder täglich mindestens eine Stunde auf der Plattform unterwegs ist, ist besser, wenn ich als Lehrkraft weiß, was da los ist.“

Aber im Grunde brauche man nicht selber TikTok, um dazu eine Unterrichtseinheit dazu zu machen: „Die Jugendlichen bringen nach der Wahl die Videos mit, die sie anschauen. Dann schaut man sich das gemeinsam an und redet darüber“, so Bösch. „Man analysiert dann gemeinsam, was stimmt und was nicht. Und die Lehrkräfte leiten an, wie man die Quelle überprüft.“ Quellenkunde müsste eigentlich schon in der Grundschule vermittelt werden, sobald mit Tablets recherchiert wird, so der Wissenschaftler.

Bei dem Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen rennt er da offene Türen ein. Pörksen fordert ein eigenes Schulfach Medienerziehung. Angesichts einer solch gravierenden digitalen Medienrevolution und der Gefährdung der Grundlagen der Demokratie reiche es nicht, den Schulen ein paar Medienkompetenzseminare zu ermöglichen, kritisierte Pörsken in der „Sternstunde Philosophie“ im SRF. „Wir brauchen Medienanalyse in den Schulen, die Prüfung von Quellen und die Fähigkeit, Fake News zu erkennen. Und zwar durchgehend.“ Es brauche eine werteorientierte Medienbildung, die auch normativ verbindlich für alle Schulen vorgegeben werde.

Dabei betont das nordrhein-westfälische Schulministerium, dass der sichere Umgang mit digitalen Medien unbedingt zur Demokratiebildung dazugehört. Dies sei auch im Schulgesetz festgelegt. Statt eines eigenen Faches setze man in NRW auf einen fächerübergreifenden Ansatz. Inhaltliche Grundlage sei der Medienkompetenzrahmen NRW. Darin ist unter anderem festgelegt, dass der kritische Umgang mit Informationen und Nachrichten vermittelt wird. Dies sei angesichts von Fake News und KI-generierten Deepfakes unverzichtbar.

Die Realität sieht derzeit von Schule zu Schule sehr unterschiedlich aus. Wer sich unter Kölner Abiturienten umhört, stößt dann auf Statements wie „Ich habe mich erst im Deutsch-Leistungskurs das erste Mal tiefer mit dem Thema Quellenüberprüfung und Fake News befasst.“

Für ein Schulfach Medienkompetenz müssten die Lehrpläne entrümpelt werden

Schulleiterin Wachten fände ein Fach Medienkompetenz grundsätzlich sinnvoll. Aber nicht noch zusätzlich, wo doch die Schulen ohnehin über der Belastungsgrenze arbeiteten und immer neue Anforderungen hinzukommen. Es würde voraussetzen, endlich den Lehrplan zu entrümpeln und klare Prioritäten zu setzen, so Wachten. Auch Martin Süsterhenn, Schulleiter der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg, findet, dass man mehr Zeit bräuchte für das Schulen von Medienkompetenz und kritischem Denken. „Aber statt sich auf das Wichtigste zu konzentrieren, haben unsere Kinder im fünften und sechsten Schuljahr zehn Schulfächer.“

Eigentlich müsse man ganz grundsätzlich beim Politikunterricht und  der Demokratieerziehung ansetzen, gibt Wissenschaftler Bösch zu bedenken. Gerade angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Lage wird Schule der wichtigste Ort für politische Bildung. Weil sie wirklich alle erreicht – und weil die Jugendlichen nirgendwo sonst ihre Argumente in einem geschützten Rahmen überprüfen können. Zumal die Jugendlichen in der Sinus-Studie selbst beklagen, sich nicht genug politisch informiert zu fühlen. Wissenschaftler der Universität Bielefeld haben in ihrer Untersuchung zur Rolle der politischen Bildung herausgefunden, dass die meisten Bundesländer nur maximal drei Prozent der Unterrichtszeit der politischen Bildung widmen.

Dabei liegt Nordrhein-Westfalen im Vergleich noch in der Spitzengruppe, da Politik in Klasse 5 bis 8 durchgängig auf dem Lehrplan steht. In über einem Drittel der Bundesländer gibt es in der Oberstufe überhaupt keine Pflichtstunden in Politik. In sechs Bundesländern wird Politik erst ab Klasse 8 unterrichtet – in Bayern gar erst ab Klasse 10. In NRW wurde das Fach Politik unter Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) allerdings um Wirtschaft erweitert und heißt seither „Wirtschaft-Politik“. An den Gesamtschulen wurde analog das Fach Gesellschaftslehre um Wirtschaft ergänzt. „Da lernen unsere Kinder jetzt, wie sie ihr Geld gut anlegen. Das brauchen wir nicht. Wir brauchen Zeit für Demokratiebildung“, meint Schulleiter Süsterhenn.