Rechtsruck, Krieg und Klima: Warum es keine Option ist zu resignieren und warum sie die Vorurteile gegen die Generation Z unfair finden.
Von wegen „Generation Krise“Was Kölner Abiturientinnen über ihre Zukunft denken
Mehr als 81.000 Abiturientinnen und Abiturienten sind in NRW auf der Zielgrade ihrer Prüfungen. Dann beginnt die große Freiheit und die Frage, wie es weitergeht angesichts einer schier unüberblickbaren Fülle von 20.000 Studiengängen. Generation Krise nennen Soziologen die jungen Erwachsenen dieser Generation. Ihre heile Welt ist ins Wanken geraten durch Pandemie, Klimakrise, Krieg und Social Media. Sechs befreundete Kölner Abiturientinnen sprechen darüber, wie sie ihre Zukunft sehen und wie sie schaffen möchten, optimistisch zu bleiben.
Noch eine letzte Prüfung, dann habt ihr das Abi geschafft. Wie fühlt Ihr euch am Ende von zwölf Jahren Schule und auf dem Sprung ins Leben?
Rosalie: Es ist erst mal ein befreiendes Gefühl. Ich bin froh, dass der Druck vorbei ist, den man die ganze Zeit hatte. Die Schule hat einen so geprägt und so viel Raum eingenommen. Jetzt brauche ich erst mal Zeit zum Durchatmen, um herauszufinden, was mir wirklich wichtig ist und was mich interessiert. In der Schule ging es zwölf Jahre immer nur um gelenkte Wissensaufnahme.
Sanja: Für mich ist es sehr wichtig und beruhigend, dass ich mir jetzt erst mal Zeit nehmen kann, mich zu orientieren. Dafür bin ich dankbar. Gerade weil man ja so unglaublich viele Möglichkeiten hat, wie man die neue Freiheit jetzt füllt.
Das heißt, Ihr nehmt euch jetzt erst mal eine Pause…
Mia: Ja, ich kenne fast niemanden, der jetzt direkt anfängt zu studieren. Fast alle machen erst mal eine Pause, um sich zu finden. Egal ob sie ein Freiwilliges soziales Jahr machen, Jobben, Praktika oder Reisen.
Katharina: Die wenigsten wissen schon, was sie werden möchten. Durch die Schule bekommt man allenfalls eine Grundidee aufgrund der Fächer, die einen interessieren. Aber es gibt so viele Studienmöglichkeiten und es ist eine große Sache, jetzt das zu finden, auf das man sich dann komplett fokussiert. Deshalb finde ich eine Pause wichtig.
Vor einigen Wochen ist die neue Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ erschienen. Ein zentrales Ergebnis war, dass die junge Generation so pessimistisch ist wie nie. Wie ist das bei euch?
Greta: Ich finde mich darin wieder. Den Klimawandel bekommen wir nicht aufgehalten, der Krieg ist in Europa zurück und jetzt auch noch der Rechtsruck. Irgendwo sieht man zumindest gesellschaftlich nirgendwo ein Feld, wo was besser wird. Immer nur Krise.
Liva: Ich würde da differenzieren zwischen meiner privaten Zukunft, die ich eher optimistisch sehe, und der globalen. Ich fühle mich sehr privilegiert, der Klimawandel wird mich nicht so direkt treffen wie viele andere auf der Welt. Gleichzeitig bin ich sehr pessimistisch, weil jetzt klar ist, dass wir das mit der Klimakatastrophe nicht mehr aufhalten können.
Katharina: Wir sind ja groß geworden mit den „Fridays for Future“-Demos. Als das anfing, waren wir in der 7. Klasse, von da an hat einen das Thema beim Aufwachsen begleitet. Da waren von Anfang an die negativen Themen. Noch bevor dann die Pandemie dazu kam.
Sanja: Der Pessimismus wird ja noch dadurch verstärkt, dass wir so viele Jahre demonstriert haben. Wir haben uns eingesetzt und versucht, was zu ändern. Aber wir haben eben die Erfahrung gemacht, dass die ganzen Bemühungen gar nichts verändern.
Rosalie: Stattdessen mussten wir uns auf Social Media noch anhören, dass wir nur junge verwöhnte Menschen sind, die keine Ahnung vom Leben haben. Es ist extrem frustrierend, sich das von einer Generation sagen zu lassen, die nicht wie wir noch 60 Jahre zu leben hat und die Folgen nicht so voll mitbekommen wird.
In der aktuellen Jugendstudie ist der Klimawandel auf der Rangliste der Sorgen eurer Generation allerdings weiter nach hinten gerutscht. Weiter vorne landen wirtschaftliche Ängste und auch die Sorge vor der Zunahme von Flüchtlingsströmen. Wie seht Ihr das?
Mia: Man kann doch gar nicht Angst vor zu vielen Flüchtlingen haben, ohne Angst vor dem Klimawandel zu haben. Das gehört doch zusammen. Ich frage mich, wo ist da der Bildungsauftrag von Schule, wenn man nicht lernt, das zusammen zu denken. Stattdessen wächst jetzt überall der Rechtspopulismus und wir haben das nächste Problem.
Ihr alle nutzt Social Media. Wie seht Ihr den Zusammenhang zwischen den sozialen Medien und dem Rechtsruck. Fühlt Ihr Euch in Sachen Medienkompetenz und Fake News von Schule ausreichend vorbereitet?
Rosalie: Für mich hängt das klar zusammen. Da gibt es meines Erachtens Riesenversäumnisse. Ich habe Social Media schon mit 14 Jahren benutzt. Und erst im Deutsch-LK in der Oberstufe habe ich mich zum ersten Mal tiefer mit dem Thema Quellenüberprüfung und Fake News befasst. Das ist viel zu spät. Da wird nicht genug geschult, das zu hinterfragen, was da auf einen einprasselt. Dabei trifft so viel unhinterfragtes Zeug auf die jugendlichen Gehirne. Das muss spätestens in der achten Klasse vermittelt werden: Das, was ihr da konsumiert, hat extremen Einfluss auf eure politische Haltung.
Mia: Social Media verändert sich ständig und so schnell. Das ist eben auch ein Problem. Gleichzeitig sind die Lehrkräfte, die vielleicht 40 oder 50 Jahre alt sind, nicht mit Social Media aufgewachsen. Die können gar nicht greifen, wie viel Raum das im Alltag einnimmt. Da müsste viel mehr Wissen vermittelt werden, weil es so wichtig ist. Aber Fake News sind ja auch ein relativ neues Thema. Als wir noch in der Unter- und Mittelstufe waren, ging es bei Medienerziehung noch hauptsächlich um Datenschutz.
Katharina: Das ist ja auch nicht so leicht und die Quellen sind nicht immer gut erkennbar – wenn es nicht gerade die Tagesschau ist. Das ist komplex. Aber irgendwie wird davon ausgegangen, dass wir da schon selber ein Verständnis für entwickeln.
Greta: Medienerziehung müsste sich wie ein roter Faden durch die ganze Schulzeit ziehen.
Liva: Oft ist das ja auch so subtil. Selbst wenn man auf Instagram seriöse Quellen nimmt wie Tagesschau. Die Kommentare sind voll von rechtspopulistischem Hass. Wer da eine Meldung anschaut, dem wird darunter eine Gegenstimme präsentiert, die sagt, dass das nicht stimmt. Von wegen Lügenpresse. Das verunsichert und das sickert dann halt irgendwie ein.
Vor zwei Jahren waren in derselben Jugendstudie noch Grüne und FDP in der Wählergunst eurer Generation vorne. Jetzt ist die AfD mit 22 Prozent in eurer Altersgruppe die stärkste Kraft.
Sanja: Ich finde das richtig erschreckend. Wir sind doch alle eine Krisengeneration und frustriert über die politische Lage. Aber dass nun ein großer Teil die Frustration in die falsche Richtung lenkt, besorgt mich total.
Katharina: Es ist einfach nur krass erschreckend. Ich merke da, wie sehr man in seiner eigenen Blase lebt. Ich hätte von meinem Bauchgefühl gesagt, dass es zumindest in meiner Generation da kein großes Problem gibt, weil die Leute, mit denen ich mich umgebe, anders drauf sind. Ich finde es krass, wie es durch Tiktok normal geworden ist, rechte Gedanken zu verbreiten. Gerade weil da auch viel lustiger Alltagscontent veröffentlicht wird und die AfD-Leute sich da ganz normal und sympathisch geben, wird das auch subtil verbreitet.
Greta: In der Oberstufe nimmt man ja intensiv die NS-Zeit durch. Daher kommt einem gerade die Parallele sofort in den Sinn und man denkt: Das passiert womöglich alles nochmal. Ich finde das gruselig, dass wir da vielleicht doch nichts gelernt haben.
Seid Ihr auch manchmal resigniert und überlegt, Euch einfach ein schönes Leben zu machen und die ganzen Probleme zu ignorieren?
Katharina: Manchmal verspüre ich schon in gewisser Weise Wut, dass sich nichts verändert. Aber gar nichts zu machen, ist keine Alternative. Sich selbst aus der Verantwortung zu nehmen, nur weil ich persönlich als Einzelperson nicht den Unterschied mache. Wenn jeder den Gedanken hat, macht am Ende niemand was. Ich glaube daran, dass es einen Unterschied macht, wenn man sich zusammenschließt. Es ist weniger die Hoffnung, dass sich was ändert, als vielmehr so was wie Verantwortungsgefühl.
Sanja: Gerade jetzt mit dem Rechtsruck finde ich wichtig, dass wir nicht resignieren und das nicht alles einfach passieren lassen. Es ist wichtig, Widerstand zu leisten.
Ihr dürft jetzt alle im Juni bei der Europawahl das erste Mal wählen. Was bedeutet euch das?
Rosalie: Man merkt jetzt angesichts des Rechtsrucks noch mal, dass Wählen das größte Machtmittel ist, das jeder von uns hat. Wir müssen uns beteiligen und mit dafür sorgen, dass es in Deutschland keinen Rückfall nach rechts gibt. Für mich ist das Wichtigste, dass ich und vielleicht mal meine Kinder in einem demokratischen Staat leben. Dass das gefährdet ist, bedrückt und beschäftigt mich sehr.
Liva: Für mich war Demokratie etwas Selbstverständliches, weil wir darin aufgewachsen sind. Und jetzt merkt man, dass wir auch ein bisschen was dafür tun müssen. Ich kann mir nicht vorstellen, das zu verlieren.
Könnt Ihr Euch denn vorstellen, Euch mal in einer Partei zu engagieren?
Liva: Ich habe da schön öfter drüber nachgedacht. Nicht, weil ich politisch besonders interessiert wäre oder da jetzt große Lust zu hätte. Einfach aus so einer Art Pflichtbewusstsein heraus, weil Menschen einfach mal was machen müssen.
Sanja: Ich kann mir das auch vorstellen. So wie wir hier in einer Demokratie leben, das ist voll was Kostbares. Das ist mir erst im letzten Jahr bewusst geworden. Dass die Demokratie an sich als Staatsform gerade von vielen Menschen infrage gestellt wird, finde ich gruselig. Ich spüre gerade, dass Demokratie nichts Statisches ist, sondern dass man dran arbeiten muss und man sich der Aufgabe nicht entziehen kann.
Wenn man Euch so reden hört, spürt man viel Verantwortungsbewusstsein. Die Schlagworte, mit denen man die Generation Z verbindet, sind da ganz andere: Eure Generation sei faul, wenig anstrengungsbereit und vor allem auf Work-Life-Balance bedacht, lauten die Vorwürfe…
Greta: Mir ist eine gute Work-Life-Balance wichtig. Das stimmt. Ich hätte später keine Lust auf eine 50- oder gar 60-Stunden-Woche. Aber nur, weil man sein Privatleben auch wichtig nimmt, ist man noch lange nicht faul oder hat keine Lust sich anzustrengen. Das finde ich unfair unserer Generation gegenüber, weil wir das schöne Leben eben nicht ansatzweise geschenkt kriegen. Freie Zeit zu haben, ist doch ein Bedürfnis von vielen Menschen. Nur weil wir das jetzt offen äußern, heißt das nicht, dass das früher kein Bedürfnis gewesen ist. Dass wir deshalb nicht anstrengungsbereit sind, stimmt nicht.
Mia: Ich finde es wirklich komisch, dass das Bedürfnis, Zeit für sich selbst und seine Freunde zu haben, jetzt so negativ in Richtung Faulheit gedeutet wird. Es ist doch gerade eine sehr gute Eigenschaft unserer Generation, dass wir uns selbst an erste Stelle stellen und nicht nur die Tätigkeit, mit der wir Geld verdienen. Das heißt nicht, dass man fauler wird. Um sich gesellschaftlich zu engagieren und aktiv zu sein, muss man ja auch Kraft haben. Und die hat man nicht, wenn man total ausgelaugt nach Hause kommt und sich mit nichts anderem beschäftigen kann außer der Arbeit.
Rosalie: Wir wollen gerne arbeiten. Wir wollen aber auch gerne leben. Das finde ich total verständlich angesichts der ungewissen Zukunft mit den vielen eben beschriebenen Problemen. Das war vielleicht in der Generation davor anders, als es noch mit der Wirtschaft immer weiter rauf ging und das Bewusstsein für die Endlichkeit der Ressourcen noch nicht da war.
Die Studie hat auch ergeben, dass mentale Gesundheit für viele ein großes Problem geworden ist. Viele leiden unter Stress, Depressionen und Ängsten. Zehn Prozent nehmen professionelle Hilfe in Anspruch. Wie seht Ihr das?
Sanja: Man merkt voll, dass das in unserer Generation ein großes Thema ist. Das hat eben wohl auch mit den Krisen zu tun, die wir erlebt haben und auch mit Social Media. Andererseits sind Depressionen und Angststörungen ja kein neues Phänomen.
Liva: Früher hatte man auch solche Probleme. Man hat es aber einfach nicht gesagt, weil das gesellschaftlich verpönt war. Wir sind die erste Generation, die das aufbricht. Einfach, weil wir es zu einem Thema machen, über das man sprechen kann. Man kann sich Hilfe suchen und das wird auch akzeptiert. Das ist gut und positiv.
Was würdet Ihr Euch für die Zukunft wünschen?
Katharina: Wir haben ja viel über die Frustration gesprochen, dass wir keine Veränderung hinbekommen. Mein Wunsch wäre, dass uns jüngeren Menschen mehr zugehört wird. Dass wir ernst genommen werden mit unseren Gedanken und unseren Wünschen.
Die Soziologen der Studie konstatieren, dass es Eurer Generation an einer motivierenden Zukunftsperspektive fehlt und dass es eine positive Vision im Land bräuchte. Hättet Ihr eine?
Greta: Ich glaube, es wäre wirklich hilfreich, wenn es eine positive Geschichte gäbe. Ein greifbares Ziel, an dem wir alle gemeinsam mitwirken könnten. Weil man dann nicht mehr das Gefühl hätte, alles umsonst zu machen. Wenn man einen Gemeinschaftsgeist entwickelt, dass alle auf die Zähne beißen und zurückschrauben. Und dass alle dabei wissen, wofür.
Sanja: Ich will die positive Vision nicht aufgeben, dass wir auch Fortschritte machen. Wir erkennen ja auch schwierige Strukturen, arbeiten an Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Diversität. Wir haben uns doch schon von vielen Strukturen befreit.
Rosalie: Den Kapitalismus als Ursprung von so vielen Problemen können wir ja leider nicht auflösen. In politischen Diskussionen fixiert man sich aber immer so sehr auf Fakten und Statistiken. Mir hilft die innere Gewissheit, dass wir doch alle immer noch Menschen sind, die die Fähigkeit haben, empathisch zu sein. Die Menschlichkeit, die wir alle haben, die gibt mir ganz viel Hoffnung. Ich kann und will mir nicht vorstellen, so von Hass und Frust erfüllt zu sein, dass ich mir nichts Positives mehr vorstellen kann. Allein dieser Gedanke ist für mich Hoffnung. Und ich hoffe, dass alle Menschen das irgendwie haben.