Manche Schule entschied sich vor Jahren bewusst gegen die Bundeswehr im Unterricht – und will die Diskussion nun neu führen.
Werbung verbotenWarum immer mehr Kölner Schulen Bundeswehr-Offiziere in den Unterricht einladen
Für Jean-Pascal Östreich ist die Zeitenwende deutlich spürbar – auch in seiner Arbeit an den Schulen. Der 29-jährige Hauptmann ist einer von 15 Jugendoffizieren der Bundeswehr in Nordrhein-Westfalen und für die Kölner Schulen zuständig. Seine Aufgabe ist es, dort als Referent und Experte über sicherheitspolitische Themen zu informieren und auch über die Aufgabe der Bundeswehr aufzuklären. „Seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine hat das Interesse der Schulen massiv zugenommen“, berichtet er. „Ich bin immer wieder überrascht, mit welchem Interesse die Schülerinnen und Schüler den Themen begegnen und welche spannenden Debatten sich daraus ergeben.“
Bundeswehr in Kölner Schulen: Aufklärung über Fake News
Erst letzte Woche war er in einem Sozialwissenschaftskurs der Oberstufe im Ehrenfelder Albertus-Magnus-Gymnasium (AMG) zu Besuch und hat dort über die sicherheitspolitische Lage Taiwans im Konflikt mit China referiert. Quasi eine Fortsetzungsveranstaltung seines sicherheitspolitischen Vortrags zu China ein paar Wochen zuvor. Anschließend konnten die Schülerinnen und Schüler Fragen stellen. „Da war natürlich auch die Debatte um die Taurus-Lieferungen ein Thema.“ Er versuche seine Vorträge immer interaktiv aufzubauen und etwa auch Tiktok-Videos einzubeziehen – etwa um Fake News zu entkräften. Alle Jugendoffiziere sind nach Auskunft des Landeskommandos NRW fundiert ausgebildet. Meist hätten sie ein Politikstudium oder ähnliches hinter sich und seien für die Bundeswehr im Auslandseinsatz gewesen.
In über 30 Schulen in Köln und Umgebung hat Östreich allein im letzten Jahr teilweise mehrere Vorträge gehalten, ohne dass die Öffentlichkeit groß Notiz davon genommen hätte. Doch nun katapultiert ihn der Vorstoß von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in den Mittelpunkt einer politischen Debatte: Junge Menschen müssten die Bedrohungen der Freiheit kennen. Deshalb müssten die Schulen ein „unverkrampftes Verhältnis zur Bundeswehr“ entwickeln, hatte die Ministerin am Wochenende in einem Interview der Funke-Mediengruppe gesagt. „Ich halte es für wichtig, dass Jugendoffiziere in die Schulen kommen und berichten, was die Bundeswehr für unsere Sicherheit tut.“
Gewerkschaft will Einfluss der Bundeswehr zurückdrängen
Stark-Watzinger trat damit eine kontroverse Debatte los: Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) äußerte sich kritisch und rief auf ihrer Internetseite dazu auf, den „Einfluss der Bundeswehr an Schulen zurückzudrängen“ Politische Bildung gehöre in die Hand von Lehrkräften und nicht in die von Jugendoffizieren. Außerdem seien jegliche „Werbeversuche an Schulen zu verurteilen“.
Der Deutsche Lehrerverband dagegen begrüßte den Vorstoß der Ministerin. „Der Ukraine-Krieg schafft ein neues Bewusstsein für militärische Bedrohung, das auch an den Schulen vermittelt werden muss“, sagt Verbandspräsident Stefan Düll. Seiner Ansicht nach herrschte viel zu lange eine „Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung“ vor. Jugendoffiziere der Bundeswehr seien „vertrauenswürdige Absender, um für die Schüler eine Kriegsbedrohung einzuordnen.“ Sie könnten für „Inhalte für den Politikunterricht und das fächerübergreifende Ziel der Demokratie- und Friedenserziehung“ zum Einsatz kommen.
Keine Werbung für den Dienst bei der Bundeswehr
Jugendoffiziere dürfen in den Schulen nicht für den Beruf an der Waffe werben. Das verbieten die Kooperationsvereinbarungen mit den Schulministerien der Länder ausdrücklich. „Daran halte ich mich unbedingt“, betont Hauptmann Östreich. Natürlich kämen nach seinen Vorträgen immer mal wieder Fragen, etwa dazu, welche Karrieremöglichkeiten man bei der Bundeswehr habe. Die verweist Östreich an die Karriereberatung der Bundeswehr.
Stefan Hörstemeier lädt als Lehrer am Ursulinengymnasium schon seit mehreren Jahren für die Oberstufenkurse Jugendoffiziere ein. „Dass es werblich wurde, habe ich noch nicht erlebt“. Und bei Nachfragen in Richtung Werdegang werde tatsächlich immer auf die Karriereberatung verwiesen. Der Vortrag von Jugendoffizier Östreich zu Putins Angriffskrieg in der Ukraine sei bei der Schülerschaft auf großes Interesse gestoßen und habe lebhafte Diskussionen ausgelöst, erzählt er. Dass bei den Jugendlichen Ängste vor Krieg geweckt werden könnten durch solche Vorträge, die vorher nicht da waren, das sieht er nicht: Die Jugendlichen beschäftigen die Themen Sicherheit und Krieg derzeit ohnehin sehr. Da sei es doch sinnvoll, diese auch mit Experten aufzugreifen und zu bearbeiten.
Auch an ihrer Schule sei das Thema Werbung bei den Vorträgen noch nie aufgetaucht, sagt Antje Schmidt, Schulleitung des AMG, wo die Jugendoffiziere seit vielen Jahren eingeladen werden. „In der Art, wie das stattfindet, ist das eine bereichernde Ergänzung des Unterrichts und ein Beitrag zur Multiperspektivität.“ Die Vorträge seien sehr informativ und die Rückmeldungen der Schülerinnen und Schüler sehr positiv.
Es gab Bedenken wegen der Neutralität
Dabei bemüht sich Östreich darum, den Schulen Themen anzubieten, die – wie etwa der Ukrainekrieg und der Nahostkonflikt – für die Schülerschaft einen aktuellen Bezug haben. Monika Böhm ist Lehrerin für Wirtschaft und Politik am Berufskolleg Kartäuserwall. Zuletzt habe sie das Vortragsthema „KI und Deep Fake“ ausgewählt – also täuschend echt wirkende, jedoch künstlich hergestellte oder veränderte Foto-, Video- oder Sprachaufzeichnungen. Auch die Einheit zu „Piraterie am Horn von Afrika“ sei sehr gut angekommen. Spätestens seit den aktuellen Attacken auf die Schifffahrt im Roten Meer und im Suezkanal und der damit verbundenen Unterbrechung von Lieferketten für hier benötigte Produkte, sei das auch in den Köpfen der Schülerschaft ein relevantes Thema. „Ich arbeite sehr gerne mit Experten von außen, die dann von den Schülerinnen und Schülern befragt werden. Da sind die Auszubildenden immer sehr engagiert dabei.“
Böhm kennt genau wie alle anderen befragten Pädagogen die Vorbehalte, auf die man durchaus auch im eigenen Kollegenumfeld erst mal stößt, weil es eben Bedenken wegen der Neutralität gibt. Auch am AMG sei das so gewesen, berichtet Schmidt. Aber nachdem eine junge Kollegin das mal ausprobiert habe und sehr begeistert gewesen sei von den Einblicken in Themen der internationalen Sicherheit, hätten sich inzwischen verschiedene Fachlehrer angeschlossen und laden regelmäßig ein. Angesichts der veränderten sicherheitspolitischen Lage verändere sich da vielleicht gerade der Blick, ergänzt Böhm. Nach dem Mauerfall und der vermeintlichen Auflösung des Ost-West-Konflikts hatte man irgendwie gedacht, dass militärische Auseinandersetzung und Krieg in Europa der Vergangenheit angehören.
„Wir haben gedacht, wir leben in einer Epoche des ewigen Friedens“, ergänzt Georg Scheferhoff, der Leiter des Schiller-Gymnasiums in Sülz. Vor Jahren sei etwa an seiner Schule beschlossen worden, dass Einladungen von Jugendoffizieren der Bundeswehr nicht gewünscht seien. Die Schülervertretung hatte seinerzeit darauf gedrungen, das so festzuhalten. „Aber vielleicht müssen wir die Diskussion an der Schule jetzt noch mal neu führen.“