Stadtbezirk ohne KrankenhausPolitiker wollen Ärztemangel in Köln-Chorweiler bekämpfen
Chorweiler – Aus medizinischer Sicht hat wohl kaum jemand die Entwicklung des Bezirks Chorweiler besser verfolgen können als Dr. Detlev Geiß. 1983 eröffnete der Kinderarzt seine Praxis in der sechsten Etage eines der Hochhäuser in der Florenzer Straße. 35 Jahre lang hat er hier Kinder aus vielen verschiedenen Kulturen behandelt und gut drei Generationen beim Aufwachsen begleitet. Ende 2017 ging er schließlich in den Ruhestand, dennoch ist er vielen noch in warmer Erinnerung. „Wenn ich mal schlechte Laune habe, muss ich nur ins City-Center gehen. Da treffe ich unter Garantie auf eine Familie, die mich aus Dankbarkeit in den Arm nimmt und schon geht es mir besser“, schmunzelt er.
Das liegt auch daran, dass Kinderärzte in Chorweiler rar gesät sind: Sechs Kinderärzte, plus eine halbe Stelle, kommen laut einer Aufstellung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO) auf die gut 82.000 Einwohner des Bezirks – sechseinhalb von stadtweit 99. Dies geht aus einer Stellungnahme der Verwaltung zu einem Antrag der CDU-Fraktion in der Bezirksvertretung Chorweiler hervor, die sich darin nach dem aktuellen Stand und den Aussichten für die Zukunft der ärztlichen Versorgung des Bezirks erkundigt hatte.
Vehemente Proteste in Köln-Chorweiler
Schon seit geraumer Zeit beklagen Bezirkspolitiker eine unzureichende Infrastruktur medizinischer Einrichtungen. So ist Chorweiler etwa der einzige Bezirk Kölns ohne Krankenhaus – auch deswegen hatte die Schließung der hausärztlichen Notfallpraxis in der Florenzer Straße durch die KVNO Ende 2019 vehemente Proteste ausgelöst.
Die Stellungnahme gibt den Bezirksvertretern nun Zahlen an die Hand: So werden aktuell im Bezirk 41 Hausärzte und 43,5 Fachärzte gezählt – unter letzteren sind etwa Frauen- und Hautärzte, Fachrichtungen wie Fachinternisten und Jugendpsychiater fehlen. Noch sind 61 Prozent von ihnen unter 60 Jahre alt, allerdings beträgt das Durchschnittsalter 55,6 Jahre. Zum Vergleich: Auf dem gesamten Stadtgebiet sind 682,2 Hausärzte tätig, mit einem Durchschnittsalter von 54,9 Jahren.Aus Sicht der Bezirksvertreter belegen die Zahlen den Handlungsbedarf. Rainer Stuhlweißenburg, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, bedauert, dass die Zahlen der übrigen Bezirke nicht zum Vergleich mitgeliefert wurden. „Man würde sehen, dass wir um Faktoren zurückliegen“, meint er.
Zurzeit sind im Bezirk Chorweiler 84,5 Ärzte tätig – sieben mehr als 2013. Neben den 41 Allgemeinmedizinern/Hausärzten sind Frauenärzte mit sieben Stellen und Kinder-/Jugendärzte mit sechseinhalb Stellen am häufigsten vertreten. Chirurgen/Orthopäden, Hautärzte, HNO-Ärzte und Urologen finden sich jeweils drei, Anästhesisten und Augenärzte jeweils zwei. Hinzu kommen vier Radiologen und 7,5 Psychotherapeuten, außerdem 2,5 Neurologen. Zum Vergleich: Im gesamten Stadtgebiet sind 682,2 Hausärzte tätig, 180,5 Frauenärzte, 99 Kinderärzte, 152,8 Chirurgen und Orthopäden, 58 Hautärzte, 68,5 HNO-Ärzte und 44 Urologen. Das mit 66 Jahren höchste Durchschnittsalter teilen sich Anästhesisten und Urologen, jüngste Gruppe mit 44 Jahren sind die Chirurgen und Orthopäden. Nicht im Bezirk vertreten sind laut KVNO Fachärzte wie Kinder- und Jugendpsychiater, Laborärzte oder Strahlentherapeuten. Insgesamt liegt der Anteil der Ärzte, die über 60 Jahre alt sind, im Bezirk bei 39,1 Prozent – 8,1 Prozentpunkte über dem gesamtstädtischen Wert von 31 Prozent.
Ein Allgemeinmediziner für 4100 Einwohner
Eine Grafik im statistischen Jahrbuch Kölns, die auf Zahlen von 2017 basiert, weist durchaus in diese Richtung: Nach dieser kommen in Chorweiler auf jede Allgemeinarztpraxis etwa 4100 Einwohner, der erkennbar schlechteste Wert der neun Bezirke. „Zudem wird sich dieses Ungleichgewicht durch das hohe Durchschnittsalter der Ärzte in den kommenden Jahren noch verstärken“, so Inan Gökpinar, Vorsitzender der SPD-Fraktion in der BV. Die KVNO sieht zwar einen positiven Trend und dass Arztsitze im Bezirk „grundsätzlich“ nachbesetzt würden – doch Geiß etwa musste lange suchen, bis er einen Nachfolger für seine Praxis gefunden hatte. Über die Jahre hat er viele Kollegen abwandern sehen. „Es gibt hier inzwischen eben kaum noch Privatpatienten“, weiß er. „In Lindenthal sind die Verdienstmöglichkeiten einfach höher.“
Mobile Arztpraxis für Köln-Chorweiler
Darum müssten Anreize für Ärzte geschaffen werden sich niederzulassen, folgert Stuhlweißenburg. „Das kann man nicht dem Markt überlassen, gerade angesichts des Bevölkerungszuwachses, den wir durch Kreuzfeld und die diversen Neubaugebiete bekommen werden.“ Die CDU sei darum mit der KVNO im Gespräch, um zu veranlassen, dass anderswo geschlossene Arztpraxen in Chorweiler angesiedelt würden.
Die SPD hingegen hatte zuletzt gemeinsam mit dem FDP-Vertreter Joshua Schlimgen per Antrag eine Übergangslösung vorgeschlagen: Einen „Medibus“, eine mobile Arztpraxis, die regelmäßig die Viertel des Bezirks anfahren könnte. Auch wenn der Antrag letztlich mehrheitlich beschlossen wurde: Sowohl SPD als auch CDU streben eine dauerhafte Lösung an, nämlich ein Facharzt-, bzw. Gesundheitszentrum im Bezirk. Laut Stuhlweißenburg hätte die Stiftung der Cellitinnen zur hl. Maria bereits positive Signale gesendet, den Betrieb übernehmen zu können. Was fehlt, ist eine Liegenschaft. „Es könnte zum Beispiel im sogenannten «Grünen Hochhaus» angesiedelt werden, das in Chorweiler entstehen soll“, so Stuhlweißenburg.
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Die SPD richtet derweil den Blick auf Kreuzfeld. „Das ist für uns von großer Bedeutung für den Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur. Wir wollen einen Gesundheitscampus in Kreuzfeld“, sagt Mattis Dieterich, der Vorsitzende des SPD-Ortsverbandes. Geiß jedenfalls würde sein ehemaliges Wirkungsfeld trotz der geringeren Verdienstaussichten auch jungen Kollegen ans Herz legen. „Man muss sich Zeit nehmen und Interesse für die Leute mitbringen. Aber man genießt als Arzt hohen Respekt. Einem Kollegen sagte ich: Du gondelst in der ganzen Welt herum – zu mir kommt die ganze Welt.“