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Premiere in der ComediaWilfried Schmickler mit dem Seziermesserschärfer am Lagerfeuer

Lesezeit 4 Minuten
Wilfried Schmickler gastiert im COMEDIA Theater. Premiere "Herr Schmickler bitte".

Wilfried Schmickler bei der Premiere seines neuen Programms in der Comedia.

Der Kabarettist verbeugt sich in seinem neuen Programm auch vor den kürzlich verstorbenen Künstlerkollegen und Freunden Richard Rogler und Frank Hocker.

Mein Gott, wie haben wir ihn vermisst, nie war er so wertvoll wie heute. In diesen Zeiten, wo die ganz normalen Leute mit den Rücken an der Brandmauer stehen, bittet Wilfried Schmickler in der Kölner Comedia die Seinen endlich wieder ans Lagerfeuer des politischen Kabaretts, eines der letzten seiner Art. Und gekommen sind jene, die den „Willy wählen“-Button in der Schreibtisch-Schublade hüten, bei der Hofgarten-Demo gegen den Nato-Doppelbeschluss und bei „Arsch huh“ auf dem Chlodwigplatz zusammenstanden.

Was sie erwarten, ist die Einordnung der Welt, ein wenig Trost und Wärme und die Bestätigung, nicht zu den ewig Gestrigen zu gehören, bloß weil sie mit Insta und TikTok nicht klarkommen. Herr Schmickler, bitte!

Wilfried Schmickler will trotz beängstigender Weltlage „Vergnügen bereiten“

„Ich bin auf jeden Fall wie immer fest entschlossen trotz all der niederschmetternden Nachrichten vom beängstigenden Zustand der Welt die nächsten zwei Stunden zumindest ein wenig Vergnügen zu bereiten“, verspricht dieser und bittet all die „Steinzeitmenschen“, die kein Smartphone bei sich tragen, im Anschluss ins Foyer. Dort werde er jemanden bitten, „ein Bild von uns zu malen.“

Im Übrigen sei es ihm besonders wichtig, dass man ihn gut verstehe. „Meine Sorgen und Nöte, meine Zweifel und Ängste. Es tut so gut, mal mit jemandem darüber zu reden.“

Natürlich redet den ganzen Abend nur einer. Schmickler. Wer sonst? „Über Thüringen, den Lindner im Haushaltsloch, über die Stationierung von Mittelstreckenraketen mit atomaren Sprengköpfen auf deutschem Boden, über meine schmerzhaften Verspannungen im hinteren Nackenbereich.“

Was für eine erbärmliche Kakophonie des politischen Grauens
Wilfried Schmickler zum Zustand der Ampelkoalition

Und macht sich Sorgen, dass er sein Publikum nicht enttäuscht. „Da haben Sie sich gedacht, jetzt gehe ich in die Comedia, da kommt dann der Weltenerklärer, der Seziermesserschärfer, der Charaktermasken-Runterreißer, der mit Witz und Grips all die Fragen beantwortet, auf die ich seit Ewigkeiten keine Antwort suche – oder finde.“

Natürlich findet er sie. Zum Zustand der Ampelkoalition beispielsweise. „Was für eine erbärmliche Kakophonie des politischen Grauens“, findet Schmickler. Die „Schrumpfpartei Deutschlands“ verfluche den Tag, an dem sie sich darauf eingelassen habe. Die Ursache für dieses Elend habe einen Namen. „Christian Bambi Lindner aus Wermelskirchen.“ Der habe, so Schmickler, vor ein paar Jahren mal gesagt, es sei besser, gar nicht als schlecht zu regieren. „Heute macht er beides.“ Bei einer funktionierenden Ampel sei oben Rot, in der Mitte Gelb und unten Grün. „Doch wenn das Gelb in der Mitte fehlt, ist die ganze Straße blockiert. Und genau das macht die FDP. Blockieren.“

Auch zu Wahlerfolgen der AfD in Thüringen und Sachsen hat Schmickler etwas zu sagen

Auch zu den Wahlerfolgen der AfD in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. „Viele Experten behaupten, dass es für die explosionsartige Vermehrung der Protest-Wählerei zwei Gründe gäbe“, sagt Schmickler. „Erstens die Angst, zweitens die Wut. Angst, aber wovor? Was soll den in diesem Land in naher Zukunft Schreckliches passieren? Flächenbombardierungen? Hungersnöte? Ausrufung des Kalifats Deutschland? Das ist wie mit der Angst vor den dunklen Kellern. Da hilft nur eins. Lampen an! Und was sehen wir dann? Riesige Warenhäuser, bis zum Bersten gefüllt mit Lebensmitteln aller Art. Straßen, auf denen gewaltige Karossen ihren spottbilligen Treibstoff in den Äther blasen, ohne sich auch nur einen Meter zu bewegen. Und an jeder Straßenecke eine Apotheke mit rezeptfreien Mitteln gegen Wehwehchen jeder Art. Wovor sollen wir Angst haben? Kein Grund für Angst, nirgends.“

Und was ist mit der Wut? Da läuft Schmickler zur Hochform auf. „Da gibt es Menschen, bei denen klingelt morgens der Wecker und schon haben die eine Scheiß-Wut. Auf den Scheiß-Wecker, die Scheiß-Etablierten, die Scheiß-Politiker und die Scheiß-Flüchtlinge. Und so geht das den ganzen Tag weiter. Die Bahn hat Verspätung, der Geldautomat ist kaputt, vorm Aldi hockt schon wieder dieser Penner und bettelt, die Stammkneipe hat Ruhetag, der Mülleimer quillt über, der Handyakku ist leer und die Ampelkoalitionäre wollen die Heizung, das Auto und die Kinderschokolade verbieten. Die Wut als Grundgefühl der verbitterten Kreatur, die abgehängt und aussortiert durch die feindliche Welt irrt. Immer auf der Suche nach jemandem, der schuld ist an dem ganzen Elend.“

Es ist ein Drama. Die Stimmung in der „Unverträglichkeitsgesellschaft Deutschland“ droht zu kippen. Wo bekomme ich künftig die Ersatzdeckel für meine Tupperdosen her? Aber bitte, Herr Schmickler. Das können Sie doch nicht einfach so stehen lassen. Wie sollen wir so zu unserer Gelassenheit zurückfinden? Wie Trost und Wärme finden? Am besten draußen, im Foyer. Beim Kölsch nach einem großartigen Abend.