Kölner Mediziner über drohende Triage„Müssten entscheiden, welche Patienten sterben“
Köln – Herr Fätkenheuer, führen Sie ein Corona-Kontakttagebuch?Prof. Gerd Fätkenheuer: Nein. Ich denke auch nicht, dass ein Kontakttagebuch entscheidend hilft. Den Vorschlag von Herr Drosten finde ich grundsätzlich nicht schlecht, es schadet nicht. Aber ich denke, dass das nur von einer relativ kleinen Gruppe von Menschen wirklich konsequent durchgeführt würde, Ich persönlich bewege mich fast nur für die Arbeit aus meiner Wohnung, fahre Fahrrad, nutze keine öffentlichen Verkehrsmittel und trage konsequent eine Maske. Es ist weiterhin am wichtigsten, sich so zu verhalten, dass das Infektionsrisiko minimal ist.
Gibt es andere Gewohnheiten, die wir brauchen werden, um mittelfristig einen dritten Lockdown zu verhindern?
Zunächst einmal würde ich die aktuellen Maßnahmen nicht als Lockdown bezeichnen. Insbesondere die Kultur leidet derzeit schrecklich, aber für den überwiegenden Teil der Bevölkerung haben sich seit Oktober die Dinge nicht entscheidend verändert. Wir sollten nun schauen, wie stark sich die Maßnahmen auf die Pandemieentwicklung in Deutschland auswirken. Um deutlich niedrigere Zahlen zu haben, müssen wir – so fürchte ich – länger als bis Ende November unter den neuen Bedingungen leben. Ich gehe aber davon aus, dass die Maßnahmen wirksam sind und es uns gelingen wird, eine ständige Nachverfolgung der Fälle durch die Gesundheitsämter wieder zu ermöglichen und damit wieder eine Kontrolle über die Entwicklung der Pandemie zu erlangen.
Und dann?
Dann müssen wir uns bemühen, dass die Zahlen weiter sinken, zumindest aber auf einem Plateau bleiben. Das niedrige Niveau, wie wir es im Sommer hatten, werden wir aber im Winter nicht erreichen. Es klingt inzwischen für viele schon trivial, bleibt aber nach wie vor entscheidend: Der Schlüssel für eine Kontrolle sind die AHA-Regeln. So wenig Kontakte wie möglich – diese Devise werden wir so schnell nicht los. Das Virus ist da und im Winter eben deutlich präsenter. Daran können wir nichts grundsätzlich ändern, wir können uns aber mit unserem Verhalten darauf einstellen.
Was muss die Politik strategisch besser machen als vor November?
Darauf kann ich leider nur ansatzweise antworten. Meines Erachtens muss man vor allem in die Daten blicken und so genau wie möglich feststellen, woher die massiven Anstiege im Herbst bislang kamen – und entsprechend reagieren. Im Sommer waren Reisen ein großer Faktor, das wissen wir. Große Zusammenkünfte im Privaten waren zuletzt eine wichtige Ursache. Wir müssen weitere solcher möglichen Cluster-Konstellationen identifizieren und unser Verhalten entsprechend anpassen.
Von der Bundesregierung wurde eine deutschlandweite Inzidenz von unter 50 als Ziel ausgegeben. Wie sinnvoll ist dieser Zielwert?
Der Wert ist sportlich und ich gehe nicht davon aus, dass wir ihn schon in diesem Monat erreichen. Richtig ist natürlich, dass man eine Grenze braucht, um eine Richtschnur zu haben und um handlungsfähig zu sein. Sonst argumentiert man ständig im luftleeren Raum. Auf der anderen Seite hat diese Zahl aber etwas Willkürliches – eine Inzidenz von 45 ist nicht einfach gut.
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Die Krise ist inzwischen zurück in den Kliniken. In Köln sind derzeit noch 35 Intensivbetten frei. Wie groß ist der Spielraum bis zur Überlastung?
Die Lage ist kritisch. Wir haben derzeit über 260 Covid-Patienten in Kölner Kliniken – nahezu doppelt so viele wie zum Höchststand im Frühjahr. Auch die Zahl der freien Intensivbetten ist kein Grund zur Beruhigung, es sind nur noch wenige. Viel fehlt also nicht dazu, dass die Kliniken wirklich an ihre Grenzen kommen. Umso wichtiger ist es deshalb, dass die eingeleiteten Maßnahmen rasch greifen und die Infektionszahlen sinken.
Bei einer Überlastung droht eine Triage-Situation. Wie würde diese aussehen?
Es könnten nicht mehr alle Patienten ausreichend behandelt werden können und Ärzte müssen dann entscheiden, welche Patienten sie zuerst versorgen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, dass Sie nicht mehr ausreichend Luft bekommen, aber nur noch ein Gerät zur künstlichen Beatmung und auch nur ein freies Bett auf einer Intensivstation da sind. Außer Ihnen sind aber gerade zwei weitere Patienten in derselben Lage. In dieser Situation müssten wir Ärzte entscheiden, ob wir Sie oder einen der beiden anderen Patienten behandeln. Das bedeutet aber auch, dass wir darüber entscheiden müssten, welche Patienten sterben. Diese Entscheidung darf Menschen nicht aufgebürdet werden.