Um Covid-19 besser kennenzulernen, braucht es Obduktionen von verstorbenen Patienten. Seit Ende April werden diese auch an der Kölner Uniklinik durchgeführt.
Die Pathologin Heike Göbel hat einige Corona-Patienten obduziert und ist über ihre eigenen Entdeckungen einigermaßen schockiert. Sie sagt: „Wer durch Covid intensivpflichtig wird, der stirbt immer an Covid, nie mit Covid.“
Was konnten sie und ihre Kollegen noch über das Virus herausfinden? Ein Artikel aus dem November 2020, aufgrund hoher Fallzahlen aktueller denn je.
Köln – Im Labor stehen drei volle weiße Eimer, gefüllt mit den leblosen Organen dreier Corona-Patienten. Heike Göbel wird den Inhalt dieser Eimer in den kommenden Tagen und Wochen restlos untersuchen, das macht sie so seit Ende April. Göbel leitet den Sektionsbereich der Kölner Uniklinik, die Abteilung also, in der Leichen gelagert, aufgeschnitten und erforscht werden. Die ganze Welt wartet gerade auch auf ihre Obduktionsergebnisse, denn sie könnten etwas über die globale Pandemie verraten.
Jeder Blick in einen verstorbenen Corona-Patienten ist für die Forschung unschätzbar wertvoll, Stand jetzt hat die Uniklinik 15 Corona-Tote obduziert. Es bräuchte eigentlich mehr, um „das Ausmaß und die unterschiedlichen Organveränderungen verstehen zu lernen“, sagt Göbel. Dass es aber bislang nicht mehr waren, liegt auch an der Gesetzeslage in NRW: Hier müssen Angehörige die Leiche des Verstorbenen aktiv der Wissenschaft zur Verfügung stellen. Göbel findet das gut. Ihre Arbeit erschwert es trotzdem.
RKI riet zunächst von Obduktionen ab
Im Raum neben den Corona-Eimern liegen ganze Leichen, 20 vielleicht, heruntergekühlt auf vier Grad. Corona-Patienten sind gerade nicht unter ihnen. Die Ärztin öffnet eine der Schubladen, zwei Füße gucken hervor. Weiß bedeckt, nicht so wie im Tatort. Heike Göbel, 50, arbeitet seit mehr als 20 Jahren in der Pathologie. Konzentriert und ohne große Gesten präsentiert sie Darmfetzen voller Coronaviren, die in tassengroßen Gefäßen schwimmen.
Ihre Einwegmaske biegt sich perfekt über Wange, die Hornbrille beschlägt kein bisschen. Viren, Infektionen, Masken, für sie ist das ohnehin alles Alltag. Und trotzdem ist diese Pandemie sehr speziell, so schrecklich wie interessant. „Wir haben hier die Möglichkeit, zu lernen, was die Krankheit an Veränderungen hervorruft, sodass man vielleicht neue Ansätze für eine Therapie gegen dieses Virus finden kann. Es ist schon sehr spannend, dass die ganze Welt jetzt auch auf unsere Arbeit blickt.“
Im Frühjahr hatte das Robert-Koch-Institut noch dazu geraten, Corona-Leichen nicht zu untersuchen. Die Uniklinik hielt sich daran. Das konnte Göbel natürlich nachvollziehen, sagt sie. Die Leichen sind eben oft noch infektiös, es ginge ja auch darum, Angehörige und Bestatter zu schützen. Aber natürlich wollte sie, die Medizinerin, unbedingt wissen, was in diesen Körpern, die dort im Leichenraum lagen, vor sich ging. Heute darf sie obduzieren, aber mit Ganzkörperanzug und nur einem Assistenten. Weniger Menschen, weniger potenzielle Virus-Wirte, so die Rechnung. Jeder Bluttropfen, der ihr bei der Obduktion begegnet, ist ohne perfekten Schutz ein Risiko.
Forschung an Covid-19: „So etwas hat es noch nie gegeben“
Göbels Sektionsbereich im Erdgeschoss ist Teil der Pathologie, einer eigenen dreistöckigen Welt innerhalb der Uniklinik. Lange, enge Flure führen hier in zahllose kleine Labore. Menschen in weißen Kitteln spazieren zielsicher hin und her, sezieren ein Stück Körper, entwässern es, frieren es ein. Dann schleifen sie mit einem Gerät, das an einen Wurstschneider erinnert, Scheiben ab. Drei Mikrometer sind sie flach, das sind 0,003 Millimeter. Bedeutend dünner als beim Metzger.
Die Scheiben werden befeuchtet, in Farblösungen gesteckt und unter Mikroskope gehalten. Am Ende stehen da Antworten auf die Frage, was in den Körpern vor sich geht oder ging.
Im Fall von Covid-19 steht die Forschung ein knappes Jahr nach den ersten nachgewiesenen Fällen noch ganz am Anfang – und ist dennoch viel weiter, als es Alexander Quaas, stellvertretender Leiter der Pathologie, für möglich gehalten hätte. Wir treffen ihn in seinem schmucklosen, kammergroßen Büro auf Etage drei. „Mikroskop, Kaffee und Tageslicht. Mehr brauchen wir nicht für unser Glück.“
Die Daten von 130.000 Patienten werden in seinem Bereich ausgewertet. Nur ein Bruchteil von ihnen ist Corona-positiv. Und doch, das wird schnell klar, ist Covid-19 gerade auch sein großes Thema: „Wir können die Krankheit heute therapieren und stehen kurz vor den ersten Impfstoff-Zulassungen. Das haben wir einer konsequenten internationalen Zusammenarbeit zu verdanken, so etwas hat es noch nie gegeben.“ Und auch die Arbeit in der Pathologie sei dafür entscheidend.
Corona-Patient: Fieber, Sepsis und dann tot
Doch die frühen Erkenntnisse stimmen Wissenschaftler nicht ausschließlich euphorisch. „Das Ausmaß der Schäden ist beängstigend“, sagt Göbel über die von ihr untersuchten Covid-Patienten. Sie zeigt ein Bild, auf dem eine Corona-Lunge zu sehen ist, durchsetzt von riesigen schwarzen Thrombosen und eng zusammengezogen. „Gesund würde sie aussehen wie ein Schwamm, doch bei dieser Lunge gibt es keine Löcher mehr, da kam am Ende überhaupt kein Blut mehr rein, hier kann einfach nichts atmen.“ Und das Virus trifft auch andere Organe empfindlich. „Ein relativ großer Teil der Patienten überlebt, spürt die Folgen der Erkrankung aber deutlich“, sagt Göbel: „Dieses Virus ist unfassbar aggressiv.“
Ein Gespräch mit Nicolaus Friedrichs, Oberarzt der Pathologie. Er trägt die Erkenntnisse aus der Pathologie mit Fachvorträgen weiter in den Rest der medizinischen Welt. Friedrichs versucht das, was er sieht – die Thrombosen, die schwarzen Lungen, die kollabierenden Organe – mit dem, was Kollegen woanders über das Virus herausfinden, zu verbinden. Er berichtet von einem Mann, der vor einigen Wochen in die Uniklinik gebracht wurde. Corona-positiv, 56 Jahre alt, Raucher mit chronischer Herzerkrankung. Er habe sich damals mit Husten und Fieber schlapp gefühlt. Zwei Tage später musste er beatmet werden, noch mal zehn Tage später stand die Niere still. Dann: Dialyse, Leberversagen, Sepsis. Tot.
Diese Patienten sterben „immer an Covid, nie mit Covid“
Für Friedrichs untermauert dieser „typische Fall“ die These, dass die größte Gefahr nicht vom Virus selbst, sondern von einer falschen Immunreaktion ausgeht. Zytokinsturm nennen Mediziner dieses Phänomen, das bei Covid-19 besonders häufig auftritt. „Das ist wie ein Flächenbrand. Der Körper aktiviert willkürlich Immuneffekte, die teilweise aggressiv gegeneinander arbeiten.“ Ausgelöst wird diese Überreaktion durch die Krankheit selbst. „Der Mann starb eindeutig an Covid-19“, sagt Heike Göbel, die die Leiche des 56-Jährigen untersucht hat. „Wer durch Covid intensivpflichtig wird, der stirbt immer an Covid, nie mit Covid.“
Liegt ein Covid-Patient einmal auf der Intensivstation, helfe oft nur noch eine künstliche Beatmung, die dem Körper aber massiv schadet. „Eine Beatmung ist das Worst-Case-Szenario“, sagt Alexander Quaas. Zurzeit werden in Köln laut Robert-Koch-Institut 39 Corona-Patienten auf Intensivstationen beatmet. Auf das Leben derer, die dort liegen, wird sich Covid-19 massiv auswirken, so oder so – das weiß man mittlerweile. Gerade sei wieder eine Corona-Leiche reingekommen, sagt Quaas. Die Stadt meldet täglich Todesfälle, das erhöht eben die Wahrscheinlichkeit. Im Labor von Heike Göbel, das ist zu befürchten, stehen bald mehr als drei weiße Eimer.