Kölner Mediziner70-prozentige Wirksamkeit bei Astrazeneca-Impfstoff „ist irreführend“
Köln – Der Impfstoff des schwedisch-britischen Herstellers Astrazeneca sorgt weiterhin für Diskussionen. Studien schreiben ihm eine Wirksamkeit von 70 Prozent zu. Das klingt nach wenig, wenn man die 95-prozentige Wirksamkeit des Vakzins von Biontech gegenüberstellt. Astrazeneca als „Impfstoff zweiter Klasse“? So sehen es viele Menschen, die ihren Termin im Impfzentrum absagen. Doch die Sorge sei unbegründet, sagen Experten. Die Wirksamkeit unterscheide sich kaum von der anderer Mittel, wie die von Biontech und Moderna. Ein Überblick
Ist der Impfstoff von Astrazeneca mit einer Wirksamkeit von 70 Prozent weniger wirksam als der von Biontech?
Diesen Rückschluss lassen die vorliegenden Daten nicht zu. Bei beiden Impfstoffen wurden Studien durchgeführt, um die jeweilige Wirksamkeit zu bestimmen. Doch die Studien-Konzepte unterscheiden sich. Astrazeneca erprobte das eigene Vakzin gemeinsam mit der Universität Oxford. Durch den akademischen Hintergrund „werden viel mehr zusätzliche Daten erhoben, die nicht unmittelbar relevant sind“, sagt Prof. Oliver Cornely, Leiter des Zentrums für klinische Studien in Köln. So wurde nicht nur erforscht, ob das Mittel bei einer Infektion vor schweren oder gar tödlichen Verläufen schützt – „sondern zusätzlich auch, wie er sich bei leichten und asymptomatischen Verläufen verhält“, so Cornely.
Das sei bei den Studien von Biontech und auch Moderna nicht der Fall gewesen, was die Werte über 90 Prozent erklärt. Wären bei allen drei Impfstoffen dieselben Studien durchgeführt worden, würden sich die Prozentzahlen für die Wirksamkeit laut Cornely kaum unterscheiden. „Die 70 Prozent für Astrazeneca sind irreführend“, sagt er. „Aus meiner Sicht ist es das wichtigste Ziel eines Impfstoffes, sehr schwere und tödliche Erkrankungen zu verhindern.“ Hier seien alle zugelassenen Impfstoffe mit Blick auf die Daten „ziemlich auf Augenhöhe – bei fast 100 Prozent“.
Was sagt die offizielle Wirksamkeit von 70 Prozent aus?
Die Wirksamkeit von 70 Prozent bedeutet im Fall von Astrazeneca nicht, dass 70 Prozent aller Geimpften voll umfänglich geschützt sind und 30 Prozent an Covid-19 erkranken könnten. Vielmehr bezieht sich die Wirksamkeit auf die Zahl der Infizierten – so wurde es zum Zeitpunkt der dazugehörigen Studie ermittelt. Würden also beispielsweise im Normalfall 100 Personen erkranken, weil sie nicht geimpft sind, wären es mit Impfung nur 30 Personen. 70 von diesen 100 Personen hätten hingegen einen voll entwickelten Impfschutz.
Dies bedeute – so der Konsens unter Medizinern – aber nicht, dass diejenigen, die in diesem Fall zu den 30 Prozent der Erkrankten gehören, gar keinen Impfschutz haben. Zwar sei das Risiko, sich trotz Impfung anzustecken, wohl etwas größer. Doch „die Ansteckung verläuft harmloser. Ohne schweren oder tödlichen Verlauf“, sagt Jürgen Zastrow, von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein.
Vermehrt klagen Personen über Nebenwirkungen nach der ersten Impfung mit Astrazeneca. Grund zur Sorge?
Nein. „Alle zugelassenen Impfstoffe täuschen dem Immunsystem eine Infektion vor – auf unterschiedliche Weisen“, sagt Oliver Cornely. Jedes Immunsystem reagiere darauf individuell. „Die Nebenwirkungen, die wir bislang beobachten, sind in keiner Hinsicht besorgniserregend. Sie entsprechen meiner Erfahrung mit anderen Vakzinen“, so Cornely weiter. Zudem sei „in Vektor-Impfstoffen wie Astrazeneca mehr körperfremdes Material als in mRNA-Impfstoffen“. Nebenwirkungen kämen hier „häufiger vor, das ist völlig selbstverständlich. Sie machen den Impfstoff aber kein bisschen schlechter“, sagt Cornely.
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Welche Auswirkungen haben die Terminabsagen im Kölner Impfzentrum?
Im Kölner Impfzentrum können täglich 500 Personen mit dem Vakzin von Astrazeneca geimpft werden. Doch immer mehr Leute sagen ihren Termin ab. Mittlerweile haben sich 5400 dieser für Köln bestimmten Impfdosen angesammelt, die bisher nicht verimpft werden konnten. Und es werden täglich mehr. „Wir bauen durch die abgelehnten Impfungen sukzessive Überkapazitäten auf, die wir mit der Zeit immer schwieriger abarbeiten können“, sagt Christian Miller, Leiter der Kölner Berufsfeuerwehr.
Was passiert mit den Impfdosen, die durch die Terminabsagen zunächst übrig bleiben?
Sie werden derzeit an andere Personen aus der ersten Prioritätsgruppe verimpft. Zudem sorgt die in Köln eingerichtete Ethikkommission dafür, „dass auch Menschen Impfstoff erhalten, die unter einem hohen persönlichen Erkrankungsrisiko stehen“, so Miller. Geht es nach Thomas Preis, Vorsitzender der Kölner Apotheken, müsste die Verteilung „pragmatischer“ ablaufen – etwa mit Impfangeboten für Begleitpersonen und die möglichst schnelle Einbeziehung von Hausärzten. Sonst drohe mit mehr Impfstoff auch mehr Chaos: „Wenn wir jetzt schon einen Stau haben: Was wird dann in den kommenden Monaten passieren?“