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„Das sind Intensivpatienten“Mähroboter verletzen immer mehr Igel im Kölner Raum

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Heike Bergmann, Leiterin des Tierheims Bergheim, mit einem schwerverletzten Igel.

Köln/Düsseldorf – Ob sie sich schwer trennen könne? „Ach, nein“, sagt Heike Bergmann. Und bleibt dann doch stehen.

Es ist später Nachmittag. Bergmann, Leiterin des Tierheimes in Bergheim, schaut ins Unterholz auf dem Kölner Ostfriedhof. „Vor einigen Wochen habe ich hier einen Igel wieder ausgewildert, der ist sofort losgelaufen“, sagt sie. Der Artgenosse, den sie vor einigen Minuten ins Dickicht gesetzt hat, peilt jetzt aber erst einmal die Lage.

Monatelange Behandlung

Der weitläufige Friedhof jedenfalls wäre ein optimales Jagdgebiet für ihn. Das zahlreiche Dickicht bietet Schutz. „Und durch die Gräber wird viel angepflanzt, der Igel findet deshalb auch jede Menge Insekten, Raupen oder Käfer“, weiß Bergmann. Am 23. Mai war das Tier ins Heim gebracht worden. Mit Verkrustungen im Gesicht, der Stirn und auf dem Rücken.

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„Schwerste Verletzungen waren das“, so Bergmann. Haut und Stacheln waren regelrecht weggeflext worden, von einem Mähroboter. Der Igel sei nach dem Eintreffen sofort in Narkose versetzt worden. Die Wunden wurden gereinigt und versorgt. Danach wurde dem Igel einmal am Tag Antibiotika gespritzt, manchmal zweimal. Und er bekam Schmerzmittel.

Tierheime schlagen Alarm

„Die Tiere halten schon eine Menge aus“, sagt Bergmann. Aber derartige Verletzungen. „Das sind Intensivpatienten, manchmal für Monate, da muss man sich nichts vormachen.“ 14 Igel mit solchen Wunden werden derzeit in Bergheim behandelt. Damit die Nieren die Medikamentengabe besser vertragen, gibt es eine Zeit lang auch tägliche Infusionen.

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Die Stacheln auf der Stirn wurden von einem Mährobotter „wegrasiert“

Immer mehr durch Mähroboter malträtierte Igel landen in Tierheimen und Auffangstationen im Großraum Köln, Bonn und Aachen, wie eine Recherche des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ergeben hat. Durch die scharfen Klingen werden Schnauzen, Füße, Stacheln, Hautschichten oder Gliedmaßen zerschnitten oder sogar abgetrennt. Auch sogenannte Rasentrimmer oder Freischneider, die unter Hecken und Büschen eingesetzt werden, verursachen extremste Verstümmelungen.

Immer mehr Mähroboter-Opfer in der Region

Die Zahl der Mähroboter-Opfer würde seit etwa drei Jahren sukzessive ansteigen, berichten zahlreiche Tierschützer. Karin Oehl von der Auffangstation in Pulheim hat sich in den vergangenen zwölf Monaten um 56 Tiere gekümmert. Die Station Kirchwald in der Eifel hat 27 Igel aufgelistet. Bernd Schinzel vom Tierheim in Köln-Dellbrück kann keine genaue Zahl nennen. „Dafür sind es einfach zu viele.“

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Sechs Igelbabys, die zwar verwaist, aber nicht verletzt sind.

In Bonn würden die schwer verletzten Tiere meistens direkt in Kliniken oder zum Arzt „umgeleitet“, berichtet Tierheim-Sprecherin Julia Zerwas: „Manchmal bekommen wir zwei bis drei Anrufe täglich, manchmal zwei bis drei in der Woche.“ Claudia Bauer vom Tierheim Köln-Zollstock spricht von „sieben Tieren alleine in den vergangenen knapp drei Wochen“. Gestern sei ein weiterer Igel gekommen. „Mit einer heftigen Kopfverletzung“, so Bauer. „Ob wir den durchkriegen, ist fraglich.“

Tierheime sind voll, können keine Igel mehr aufnehmen

Auch Lutz Vierthaler vom Tierheim Aachen schlägt Alarm: „Wir sind voll, können keinen verletzten Igel mehr aufnehmen.“ So gehe es fast allen Heimen und Pflegestellen im näheren Umkreis. Im Bereich Aachen, Düren und Jülich würden derzeit etwa 70 Tiere gepflegt. „Aber das sind nur die Verletzten, die gefunden und zu uns gebracht werden“, so Vierthaler: „Die Dunkelziffer ist wesentlich höher.“

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Der genesene Igel wird auf dem Kölner Ostfriedhof wieder ausgewildert.

Wenn die Tiere die meist sehr leisen Mähroboter nicht hören, würde ihnen die Kopfhaut abgeschält. Der Igel sei zudem kein Fluchttier. „Die rollen sich zusammen, wenn Gefahr droht.“ Preiswertere Mähroboter, die keine Ultraschallsensoren oder Bewegungsmelder über Kamerasysteme hätten, würden vor allem die jüngeren Igel nicht als Hindernis erkennen, die unter einem Kilo wiegen. „Die werden dann überrollt. Oder die Stacheln drücken sich in den Rasenboden, die Tiere werden auf den Rücken gedreht und dann grausamst von unten verstümmelt“, berichtet Vierthaler.

Ministerin: „Hersteller sind in der Pflicht“

Die Landestierschutzbeauftragte stehe in Kontakt mit Herstellern der Mähroboter, um durch verbesserte Informationen die Käuferinnen und Käufer für die Probleme zu sensibilisieren, sagte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Langfristig müsse eine Gefährdung der Tiere durch verbesserte Technik verhindert werden – beispielsweise durch sensiblerer Detektoren.

„Hier sind die herstellenden Firmen in der besonderen Pflicht“, betonte die Ministerin. Die Mähroboter könnten zwar eine nützliche Alltagshilfe sein. „Sobald sie aber unbeaufsichtigt betrieben werden, können sie zu todbringenden Maschinen für Igel und viele andere Tiere wie Amphibien, Spinnen und weitere kleine Säugetiere werden.“

Roboter sollten nachts nicht laufen

Vor allem sollten die Geräte nicht nachts oder in den Dämmerung laufen, wenn ganze Igelfamilien unterwegs seien. Der meiste Nachwuchs kommt in der Zeit von Juni bis Ende August zur Welt. Die ersten Ausflüge mit dem Muttertier werden dann in der Dunkelheit unternommen. Aber auch tagsüber sollte kontrolliert werden, ob Wildtiere auf dem Gelände sind, bevor die Roboter angeschaltet werden, sagte die Ministerin.

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Zurück in der Freiheit tastet sich das Tier erstmal vorsichtig vorwärts.

Der Igel jedenfalls stehe unter Naturschutz. „Für das Fangen, Verletzen oder Töten kann ein Bußgeld von bis zu 50.000 Euro verhängt werden“, weiß Heike Bergmann. Das genesene Tier aus dem Tierheim Bergheim schnuppert hektisch, bevor seine „Krankenpflegerin“ ihn auf dem Kölner Ostfriedhof ins Unterholz setzt.

Auswilderung auf dem Kölner Ostfriedhof

„Der weiß schon irgendwie, es passiert was in seinem Leben“, sagt Bergmann. Ob das auch für sie ein besonderer Moment ist? Den Igel nach wochenlangen Überlebenskampf wieder laufen zu lassen, sei „ein Glücksgefühl, das nicht jedem vergönnt ist“, sagt die Tierschützerin: „Daran gewöhnt man sich auch nicht, das ist immer wieder neu.“