Einen Nachholbedarf gibt es nicht nur beim Feiern, sondern auch bei Drogen, sagt ein Kölner Drogenexperte. Die Polizei registriert in Köln zuletzt deutlich mehr Drogentote als früher.
„Benzos“ auf dem VormarschExperten sehen Pandemie als Mitursache für Drogenprobleme in Köln
Der Tod eines unter Einfluss von Drogen und Alkohol stehenden 19-Jährigen in einer Gewahrsamszelle der Polizei wirft ein Schlaglicht auf die sich zuletzt verschärfende Drogenproblematik in Köln. Zwei Jahre in Folge verzeichnete die Polizei in Köln außergewöhnlich hohe Zahlen von Drogentoten – 2021 waren es 73, im vergangenen Jahr 69. Während in den Jahren 2011 bis 2020 (mit Ausnahme des Jahres 2018) deutlich niedrigere Zahlen registriert wurden, zeigen die beiden vergangenen Jahre einen starken Anstieg. Polizeipräsident Falk Schnabel äußerte sich bei der Vorstellung der Kriminalstatistik vor kurzem besorgt.
An einem Freitagabend im Dezember 2021 war ein 19-Jähriger aus Bonn unter Einfluss eines lebensgefährlichen Mixes aus sogenannten „Benzos“, sowie dem Schmerzmittel Tilidin und Alkohol in eine Gewahrsamszelle gebracht worden. Dort erlitt er ohne äußere Gewalteinwirkung tödliche Hirnschäden. Die Beamten hatten den jungen Mann viertelstündlich in seiner Zelle kontrolliert. Sie verzichteten aber darauf, einen Arzt hinzuzuziehen, der darüber entschieden hätte, ob er in Gewahrsam bleiben kann oder ins Krankenhaus kommt. Die Staatsanwaltschaft erkannte keine Anzeichen auf Fremdverschulden und stellte die Ermittlungen im August 2022 ein.
Nachholbedarf bei den Drogen
Expertinnen und Experten sehen auch in der Pandemie eine Ursache für die Verschärfung von Drogenproblemen. „Durch Corona ist bei vielen eine Lücke entstanden, in der Isolation und Niedergeschlagenheit eine Rolle gespielt hat, feste Strukturen weggebrochen sind“, sagt Markus Theis von der Jugendsuchtberatung Köln. „Einige, die vorher vielleicht schon etwas konsumiert haben, haben diese Lücke mit Drogen geschlossen“. Nachholbedarf gebe es nicht nur beim Feiern, sondern auch bei den Drogen. „Die Verlockung, mehr zu konsumieren, ist dann groß“, sagt er.
Auch Henrik Rohner, Oberarzt der Psychiatrie der Uniklinik Bonn, sieht die Pandemie als Beschleuniger einiger Drogenprobleme. „Corona hat zu einer erhöhten Rückfallquote geführt“, sagt er. Viele Hilfsangebote hätten gar nicht oder nur eingeschränkt angeboten werden können. „Suchtmedizin soll ja grundsätzlich niederschwellig sein, aber das war während der Pandemie zum Teil nicht möglich.“ Der eine oder andere Konsument sei da „sicher durchs Raster gefallen.“
Tödliche Wechselwirkung bei Benzos und Tilidin
„Benzos“ sind zuletzt auf dem Vormarsch, stellt die EU in ihrem jährlichen Drogenbericht fest. Die Tabletten seien immer häufiger auch für Drogentote verantwortlich, auch wenn eine genaue Zuweisung schwierig sei. Den Trend zu „Benzos“ bestätigt auch Markus Theis aus dem Kölner Alltag. „Benzos“ und Tilidin würden häufig in Rap-Songs verherrlicht. Beide Mittel zusammen „können in Verbindung mit Alkohol gefährliche Kombinationseffekte auslösen“, warnt Rohner. Die Wirkungen potenzierten sich mitunter gegenseitig so sehr, dass das Atemzentrum lahmgelegt werden könne. „Das kann dann tödlich enden.“
Eine kurze Recherche im Internet zeigt, dass die verschreibungspflichtigen Tabletten online einfach illegal zu bekommen sind. Über Telegram-Kanäle werden die Drogen für wenige Euro pro Pille auch in Köln angeboten. „Ein wichtiges Motiv für Jugendliche und junge Erwachsene ist die Neugier, das Austesten von Grenzen, neue Erfahrungen zu machen, etwas Außergewöhnliches zu erleben. Oft hat das mit dem Gruppenzwang einer Peer Group zu tun, der Suche nach Anerkennung und Aufmerksamkeit“, sagt Theis.