Lilly Rostock ist 99 Jahre alt. Sie soll wegen eines geplanten Neubaus umziehen. Ihre Familie plant rechtliche Schritte gegen den Vermieter.
Kündigung wegen Abriss99 Jahre alte Kölnerin soll nach 56 Jahren aus ihrer Wohnung ausziehen

Lilly und Brigitte Rostock (r.) im Wohnzimmer.
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Wenn man Lilly Rostock ansieht, wie sie mit ihrer frischen Gesichtsfarbe auf der Couch in ihrem Wohnzimmer sitzt, möchte man kaum glauben, dass sie Ende Mai 100 Jahre alt wird. Nach einem Wirbelbruch und einem doppelten Beckenbruch in den vergangenen Jahren kann sie allerdings nicht mehr allein aufstehen oder gehen. Auch das Sprechen fällt ihr schwer, ebenso die Orientierung. „Deshalb bin ich vor drei Jahren eingezogen, um meine Mutter zu pflegen. Nach den Erfahrungen mit meiner Großmutter möchte ich sie nicht in ein Pflegeheim geben“, erzählt Brigitte Rostock.
Die Tochter ist nun Mitmieterin der etwa 95 Quadratmeter großen Wohnung mit Balkon nach Süden in der zweiten Etage der Feltenstraße, in der sie mit ihren beiden Geschwistern aufwuchs. 1969 war die Familie eingezogen. Wie alle neun Mietparteien der drei Häuser der Feltenstraße erhielten die beiden Frauen Ende Dezember ein Schreiben der zuständigen Waro Hausverwaltung, das den Abriss der Gebäude für Anfang November ankündigte. Mitte Februar folgte die offizielle Kündigung der Mietverhältnisse zum 30. November 2025 durch Jacobs & Dr. Blöse Rechtsanwälte im Namen ihrer Mandantin, der Vermieterin WS Immobilien Verwaltungs GmbH & Co KG. Als Termin für den Abriss wurde nun der Dezember genannt.

Die drei Häuser in der Feltenstraße.
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Zur Begründung heißt es, die WS wäre „durch die Fortsetzung des Mietverhältnisses an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Mietsache gehindert und würde dadurch erhebliche Nachteile erleiden.“ Denn die drei Häuser, um 1952/53 für Offiziere der belgischen Streitkräfte errichtet, seien nie grundsaniert worden, sie würden noch mit fossilen Brennstoffen beheizt und insgesamt entspreche ihre „energetische Ausstattung nicht dem aktuellen Stand der Technik“. Barrierefrei seien sie auch nicht. Auf dem Grundstück sollen nun moderne Gebäude mit 29, über eine Wärmepumpe beheizten Wohnungen entstehen. Die Gesamtwohnfläche soll sich von rund 880 auf künftig 1920 Quadratmeter erhöhen, ein Aufzug ist auch eingeplant.
Mieter kämpfen gegen Abrisspläne und steigende Mieten
Höre sich gut an, aber die Miete werde sich wohl auch deutlich erhöhen, sagten Vertreter von fünf Mietparteien kürzlich bei einem Treffen, auch von „Profitdenken“ war die Rede. „Es ist doch nicht so, dass die Häuser baufällig wären“, meinte Karl-Heinz Rostock, der zur Unterstützung von Mutter und Schwester vorbeigekommen war. Vor zwölf, dreizehn Jahren habe man erste Abrisspläne des Vermieters noch abwenden können. Damals war im ehemals großzügigen Garten ein neues Wohngebäude errichtet worden, die Dächer und Balkone wurden saniert. So könne es weitergehen, sagt Karl-Heinz Rostock, den eine große Sorge umtreibt: „Ein Umzug wäre für meine fast 100-jährige Mutter unzumutbar. Ende des Monats habe ich eine Rechtsberatung, wir werden gerichtlich dagegen vorgehen.“
Beinahe wie Hohn klingen da die im Schreiben der Waro aufgeführten Angebote und Vergünstigungen. Demnach müssen die Mieter vor dem Auszug keine Renovierungsarbeiten durchführen, auch eine kurzfristige Rückerstattung der Kaution wird garantiert, und alle dürfen ohne finanzielle Nachteile unabhängig von der Kündigungsfrist ausziehen, sobald sie eine neue Wohnung gefunden haben. Auch sei sichergestellt, dass die Mieter „in dieser Übergangszeit die Unterstützung erhalten, die Sie benötigen.“
Aber wie könnte diese Unterstützung für eine 100-Jährige aussehen? „Ihr Arzt und der Physiotherapeut sind hier in der Nähe, es gibt auch viele Einkaufsmöglichkeiten“, sagt Brigitte Rostock. Vor allem aber: „Der Wohnungsmarkt ist dicht, wo sollen wir jetzt eine angemessene Wohnung finden?“ Das fragen sich auch die übrigen Bewohner der Feltenstraße 2-6 derzeit: „Mit 400 bis 500 Euro zusätzlich müssen wir rechnen“, sagt ein Bewohner, der nicht namentlich genannt werden möchte.
Rechtsanwalt Dr. Jochen Blöse hat Verständnis für diese Sorgen. Er verweist darauf, dass der WS Immobilien Verwaltungs GmbH zahlreiche Wohnungen in Köln gehören, möglicherweise ließen sich passende Ersatzwohnungen finden. Und der Umzug einer 100-Jährigen sei sicherlich ein Problem. Doch wenn man bei solchen Projekten auf jeden Härtefall Rücksicht nähme, würde kaum noch eine Baumaßnahme durchgeführt, meint er: „Das ist für die Bestandsmieter immer ungünstig und unerfreulich. Aber immerhin entstehen hier 20 neue Wohnungen.“