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„Druck und Stress“Schüler des Montessori-Gymnasiums fühlen sich von Ganztag oft überfordert

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Die Neuntklässler konfrontierten Lehrer und Politiker sehr selbstbewusst mit ihren Problemen.

Die Neuntklässler konfrontierten Lehrer und Politiker sehr selbstbewusst mit ihren Problemen.

Ganztagskoordinatorin Eva Vieth stellte sich gemeinsam mit Politikern einer Debatte zu Problemen des Ganztagsunterrichts am Montessori-Gymnasium.

Um die Diskussion mit harten Fakten zu unterfüttern, trägt eine Schülerin die Ergebnisse einer Umfrage unter Achtklässlern vor. Zwölf von 16 hätten angegeben, sie könnten sich in der „Lernzeit“ des Ganztags-Unterrichts nicht konzentrieren, deshalb müssten sie Hausaufgaben häufig abends zu Hause erledigen. Für Hobbys oder Treffen mit Freunden bleibe danach meist keine Zeit mehr, das bestätigen auch die Neuntklässler auf dem Podium. „Mir wird gerade schlecht“, kommentiert Eva Vieth, Ganztags-Koordinatorin am Montessori-Gymnasium diese Schilderungen. „So soll es nicht sein.“

Vieth stellt sich gemeinsam mit Kollegen, aber auch namhaften Politikern wie der früheren Landesministerin für Schule und Bildung, Yvonne Gebauer (FDP), dem Fraktionsvorsitzenden der SPD im Landtag, Jochen Ott, sowie der schulpolitischen Sprecherin der NRW-Grünen, Lena Zingsheim-Zobel, in der Aula des „Monte“ einer Debatte zum Thema „Was fehlt uns noch zum wahren Ganztag?“. Eingeladen hatten die 13 Neuntklässler des Wahlpflichtfachs Philosophie, Rhetorik und Politik und zur Vorbereitung des Abends recherchiert, Fragen und Statements vorbereitet, Mitschüler befragt.

Schüler bringen Themen vor Politikern zur Sprache

„Das Thema brennt den Schülern hier auf der Seele, aber auch andere Schulen haben ihre Probleme mit dem Ganztag“, erklärt ihre Lehrerin Franziska Ebel in der ersten Sitzreihe. In die knapp zweieinhalbstündige Veranstaltung greift sie nicht einmal ein: „Die Schüler sind sehr engagiert und sie sollen lernen, ihre Angelegenheiten auch vor hochrangigen Politikern zur Sprache zu bringen, selbstbewusst, mit der richtigen Körperhaltung und Präsenz“, sagt sie.

In dieser Hinsicht muss sich Ebel keine Sorgen machen, auch eine gestandene Ex-Ministerin wie Yvonne Gebauer wird, als sie einmal allzu weit ausholt, von einer 14-jährigen Moderatorin zurückgepfiffen: „Kommen Sie bitte zum Ende.“ Gebauer darf immerhin erklären, dass mit der Einführung des Ganztags vor etwa 20 Jahren zwar eine Entlastung von berufstätigen oder alleinerziehenden Eltern beabsichtigt war. Daneben sollte aber auch dem „Bio-Rhythmus“ der Kinder und Jugendlichen Rechnung getragen werden.

In der Realität sieht es offensichtlich so aus, dass der Rhythmus von Klausuren und Prüfungen die pädagogischen Ziele untergräbt. Am „Monte“ etwa, wo der Ganztag verpflichtend ist, sei vor allem die „Lernzeit“ ein Problem, berichten viele Schüler. Zweimal pro Woche soll dabei der eigentliche Unterricht nachbereitet werden, individuell, aber gern mit Hilfe „gemeinschaftlicher Lernerlebnisse“. Die Lehrer, so die Idee, stehen beratend zur Seite und haben Zeit für die Förderung einzelner Schüler.

Ganztag sollte Chancengleichheit fördern

Tatsächlich aber werde „Lernzeit“ oft zur Vorbereitung von Prüfungen oder für organisatorische Fragen genutzt, erzählen Schüler, für die Nachbereitung des Unterrichts bleibe nicht genug Zeit: „Das erzeugt Druck und Stress, viele fühlen sich überfordert und erkranken sogar“, so die Jugendlichen.

Für Zingsheim-Zobel ist dies auch problematisch, weil der Bildungshintergrund der Eltern bei echten „Haus“-Aufgaben wieder eine stärkere Rolle spiele – Chancengleichheit sehe anders aus. Auch da sollte der Ganztag Abhilfe schaffen. Nicht wenige „Monte“-Schüler müssen auf ihre AG, die einmal pro Woche stattfindet und in der sie eigentlich ihren Neigungen nachgehen sollen, gar zugunsten eines zusätzlichen Arbeits-Nachmittags („MAiS“) verzichten.

„Zu laut, zu eng“, sei es im Ganztag überdies, klagen einige Schüler, den unterschiedlichen Lerntypen müsse ein größeres Raumangebot entsprechen, auch eine gezielte Förderung von Kompetenzen der Schüler wäre sinnvoll.

Doch Lehrer und Politiker haben keine schnellen Lösungen zur Hand: Benötigt würden mehr Personal, mehr Geld, mehr Räume – doch derzeit fehle es an allen Ecken. Lehrerin Sandra Meyer erklärt, die Lehrpläne seien so vollgepackt, dass man Probleme habe, den Stoff unterzubringen. Individuelles Lernen komme zu kurz und Maßnahmen wie die Einführung der Zentralen Prüfung für Zehntklässler 2024 hätten sogar eine weitere Vereinheitlichung zur Folge.

„Wir brauchen mehr Freiheiten“, lautet daher die zentrale Forderung des Abends, sie kommt auch bei den Bildungspolitikern an. Jochen Ott etwa möchte die Schulkonferenzen gegenüber Ministerium und Bezirksregierung stärken, wenn es um Lehrinhalte geht. Er fordert auf, „von einer Schule der Zukunft zu träumen“, in der nicht Stoffvermittlung zählt, sondern Persönlichkeitsentwicklung. Durch Projektarbeit oder Lernen an außerschulischen Orten.

Mit Franziska Ebel ist das okay, statt zu träumen, möchte sie mit den Schülern aber lieber „an der Realität basteln“. Über eine Neustrukturierung des Ganztags am „Monte“ wird nachgedacht, und dann steht irgendwann die Sanierung der Gebäude an: An der Raumplanung sollen sich die Schüler beteiligen.