Anders als andere Wohnungsunternehmen gehe es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um „sozialorientierte Wohnraumversorgung“.
Kölner Wohnungsgenossenschaft„Die Ehrenfelder“ feiern ihr 125-jähriges Bestehen
Die Lansstraße versteckt sich ein wenig. Der Besucher muss eine Tordurchfahrt passieren, wenn er den kurzen, leicht gekrümmten Straßenzug betreten will, der von einem kompakten Siedlungsblock umschlossen wird wie eine mittelalterliche Stadtmauer. Das Innere des Blocks mutet dörflich-idyllisch an. Niedrige Reihenhäuser mit Fensterläden bilden einen kleinen Platz. Hinter den Gebäuderiegeln erstrecken sich weitläufige Grünflächen. Man kennt sich, man hilft sich. Es ist ein kleines Paradies in der Großstadt.
Die Lansstraße gehört zur Wohnungsgenossenschaft „Die Ehrenfelder“, die in diesem Sommer ihr 125-jähriges Bestehen feiert. 4250 Wohnungen werden verwaltet, sie liegen ausschließlich im Linksrheinischen und vor allem in Ehrenfeld und Neuehrenfeld. Ob Takuplatz, Landmannstraße, Chamissostraße oder Nußbaumerstraße: „Die Ehrenfelder“ prägt den Bezirk an vielen Stellen.
Es war eine der ersten Genossenschaften Kölns, die am 7. März 1899 von 93 Gründungsmitgliedern als „Ehrenfelder Arbeiter-Wohnungsgenossenschaft“ aus der Taufe gehoben wurde. Heute gibt es in Köln 20 Unternehmen dieser Art, die Ehrenfelder ist die mit Abstand größte.
Die Lansstraße, gerade mal 140 Meter lang, zählt zum ältesten Bestand. Barbara Prinz, die mit ihrem Mann im Haus Nummer 19 lebt, schaut von ihrer Küche aus auf einen Apfelbaum. In dem kleinen Garten, der zur Wohnung gehört, ließen sich schon ihre Urgroßeltern fotografieren. Sie gehörten zu den ersten Mietern, als die private Lansstraße 1914 fertig wurde. Fünf Kinder zogen sie hier groß. Später übernahmen die Großmutter und die Großtante von Barbara Prinz die Wohnung. Sie selbst ist nun seit 22 Jahren hier zu Hause: „Es fühlt sich ein bisschen wie ein eigenes Haus an.“
Tatsächlich sind die Genossenschaftsmitglieder Mieter, wenngleich die Miete offiziell „Dauernutzungsgebühr“ heißt. Wer einziehen möchte, muss für 1500 Euro Anteilseigner werden. Im Gründungsjahr lag der Betrag noch bei 100 Mark – im Vergleich weitaus mehr als heute. „Im ersten Jahr waren insgesamt nur zwölf Mitglieder imstande, ihren Anteil von 100 Mark voll einzuzahlen“, berichtet Werner Nußbaum, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Ehrenfelder. Selbst eine Teilzahlung sei vielen schwergefallen. Oft mussten die Arbeitgeber Beihilfe leisten.
Die Ehrenfelder: Gemeinsam sind wir stark als Motto des Wohnens
Werner Nußbaum holt das Protokoll der Gründungsversammlung hervor, das alle Mitglieder der ersten Stunde in säuberlicher Handschrift verzeichnet. Es waren Arbeiter, Industrielle, Handwerker, Architekten und Ärzte, die sich zusammenschlossen, um günstigen Wohnraum zu schaffen in einer Stadt, die in Zeiten der Industrialisierung schnell wuchs. Prägende Figur wurde Schulrektor Franz Peter Schmitz, dessen Schüler oft in Notunterkünften hausen mussten. Schmitz wurde zum ersten Vorsitzenden des Vorstands gewählt und blieb es bis 1947.
„Das Motto lautete: „Gemeinsam sind wir stark““, erklärt Werner Nußbaum das Konzept der Genossenschaft. Die Gemeinschaft hatte mehr zu bieten als der Einzelne. Da Eigenkapital vorhanden war, konnte mit Banken besser verhandelt werden. Einige Mitglieder brachten zudem Grundstücke mit, was ebenfalls hilfreich war. Und beim Bau galt es damals noch Eigenleistungen zu erbringen.
Gewinnmaximierung steht hinten an
Wohnungsgenossenschaften sind demokratisch organisiert und selbstverwaltet. Die Mitglieder der Ehrenfelder wählen alle fünf Jahre Delegierte, die den Aufsichtsrat bestimmen, der wiederum den Vorstand bestellt. Der Vorstand besteht ebenfalls aus Genossenschaftsmitgliedern, Werner Nußbaum wohnt selbst in einer der Wohnungen der Ehrenfelder. Er sei Angestellter der Mitglieder, sagt der 65-Jährige: „Das Wichtigste ist, dass die Interessen der Mitglieder gewahrt werden.“
Anders als andere Wohnungsunternehmen gehe es nicht um Gewinnmaximierung, sondern um „sozialorientierte Wohnraumversorgung“. Die Mieten beziehungsweise Nutzungsgebühren seien so gering wie möglich und so hoch wie nötig. Die Durchschnittsmiete liege aktuell bei 7,70 Euro pro Quadratmeter kalt, etwa die Hälfte des durchschnittlichen Quadratmeterpreises für Wohnungen in Köln. Die besondere Infrastruktur reicht vom Nachbarschaftshaus für gemeinschaftliche Aktivitäten über Wohngemeinschaften für Senioren und Pflegebedürftige bis zu Studenten-WGs und Kindertagesstätten – für alle Generationen soll es das passende Angebot geben.
Die geringen Wohnkosten sind auch der Grund für das riesige Interesse. „Die Nachfrage war noch nie so groß wie jetzt“, so Werner Nußbaum. Doch in die Ehrenfelder-Familie aufgenommen zu werden, ist nicht einfach: „Wir nehmen nur Mitglieder auf, wenn wir ihnen auch eine Wohnung vermieten“, sagt der Jurist. Allerdings ist die Fluktuation gering und Nachfolger für eine Wohnung können meist aus den Reihen der Bestandsmitglieder gefunden werden. Sie müssten laut Satzung bevorzugt behandelt werden, erklärt Werner Nußbaum.
Gemeinschaftliche Wohnprojekte kommen nicht gegen Investoren an
Dazu kommt, dass kaum neue Bauprojekte realisiert werden. Mit den „Ossendorfer Gartenhöfen“ entstanden zuletzt zwar 435 neue Wohnungen. Dafür wurden jedoch bestehende Gebäude abgebrochen. Schon lange habe die Genossenschaft kein neues Grundstück mehr erworben, so Werner Nußbaum: „Auf dem Grundstücksmarkt kommen wir nicht zum Zuge“. Er appelliert deshalb an die Stadt, Genossenschaften bevorzugt zu behandeln und ihnen Bauland kostengünstig zur Verfügung zu stellen, um auf diese Weise preiswerten Wohnraum zu ermöglichen. Doch damit tue sie sich schwer.
Dieses Problem sieht auch Almut Skriver, Leiterin der „MitStadtZentrale“, die gemeinschaftliche Wohnformen berät: „Für alle gemeinschaftlichen Wohnprojekte ist es schwierig, an Grundstücke zu kommen.“ Gegen normale Investoren könnten sie finanziell nicht konkurrieren und Ausschreibungen gebe es für sie aktuell in Köln kaum. Die Architektin geht aber davon aus, dass in den großen Kölner Entwicklungsgebieten wie dem Deutzer Hafen künftig auch gemeinschaftliche Wohnprojekte zum Zuge kommen.
Gemeinschaftliche Aktivitäten im Vordergrund
Der genossenschaftliche Gedanke habe in den vergangenen Jahren eine „Riesen-Renaissance“ erlebt. Immer mehr Menschen würden sich zusammenschließen, um Wohnprojekte zu entwickeln, in denen nicht nebeneinander her gelebt wird, sondern gemeinsam. Oft entstehen Räume für gemeinschaftliche Aktivitäten - Repair-Cafés etwa oder Treffpunkte für Yogastunden. Das sei zum einen Folge des Trends zum Single-Dasein. Zum anderen „gibt es keinen, der Mieterhöhungen vorschreiben kann“, so Almut Skriver. Als Miteigentümer seien Genossenschaftsmitglieder weniger dem Marktgeschehen ausgeliefert, das sich in den letzten Jahrzehnten immer bedrohlicher entwickelt habe. Wegen der hohen Bau- und Grundstückspreise sei die Finanzierung solcher Projekte in der Gründungsphase allerdings nicht einfach.
Barbara Prinz und ihr Mann Eric Bruneau können sich ein Leben ohne Lansstraße nicht mehr vorstellen. 2012 wurden zwar sieben Gebäude, darunter das von Barbara Prinz, durch ein Feuer unbewohnbar. Doch davon ist nichts mehr zu spüren. „Es ist hier super ruhig“, sagt die 57-Jährige. Und die Miete nicht vergleichbar mit den sonst üblichen Preisen. Heute engagiert sie sich für das „Wohncafé“ der Genossenschaft an der Vastersstraße, ein Nachbarschaftstreff für ältere Bewohner. In Sachen ehrenamtlichem Engagement sei insgesamt noch viel Luft nach oben. Da ist sich Barbara Prinz sicher: „Viele verlassen sich darauf, dass alles gemacht wird.“
Das sieht auch Werner Nußbaum kritisch. „Selbsthilfe ist eine der tragenden Säulen der Genossenschaft, aber das geht immer weiter verloren.“ Die Anspruchshaltung sei groß, die Verwaltung werde oft selbst bei Kleinigkeiten gerufen. Doch eine Genossenschaft sei mehr als nur günstige Mieten. Das genossenschaftliche Denken betreffe auch die Bereitschaft, in eine kleinere Wohnung umzuziehen, wenn zum Beispiel die Kinder ausgezogen seien. Diese Bereitschaft sei nicht immer vorhanden. Die „alten Prinzipien“ zu predigen, koste zuweilen viel Mühe.