Grundzuversicht und SelbstwirksamkeitWie man Kindern auch in Krisen Hoffnung macht
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Köln – Krisen bestimmen aktuell das Leben unserer Kinder. Klima, Krieg und Corona dominieren große Teile ihres Alltags. Der Sechsjährige hat Angst, dass der Krieg zu uns kommt. „Papa soll nicht noch früher sterben“, sagt er. Dass vornehmlich Frauen und Kinder aus der Ukraine hier ankommen, weil die Männer nicht fliehen dürfen, weil sie ihr Land mit Waffengewalt unter Einsatz ihres Lebens verteidigen sollen, hat er mitbekommen. Das setzt ihm zu.
Corona ist im dritten Jahr der Pandemie so nervig wie zu Beginn, aber irgendwie auch normal geworden. Masken, Tests und Kontaktbeschränkungen, unsere Kinder kennen es kaum noch anders. Gesundheit ist für sie keine Selbstverständlichkeit, sondern ein durch Verzicht zu schützendes Gut. Dazu das Klima, das für sie ganz automatisch mit dem Wort Krise zusammengehört, das es zu retten gilt, weshalb Plastiktüten, Autofahren und hemmungslos Fleisch essen mehr als fragliche Angewohnheiten der Elterngeneration sind. So viel Düsternis in der Welt tut nicht gut.
Junge Menschen sollten mit Hoffnung im Herzen aufwachsen. Wir sollten ihnen die Kraft mitgeben, an Veränderung zu glauben. Und die Überzeugung, sie durch ihr eigenes Tun bewirken zu können. Wir sollten ihnen Resilienz vermitteln, schon dann, wenn sie das Wort weder aussprechen noch verstehen können. Sie also lehren, Probleme und Veränderungen zu bewältigen, indem sie sich anpassen, im positiven Sinne. Damit sie handlungsfähig bleiben, anstatt in Panik zu verfallen und psychisch zu zerbrechen.
Aber wie geht das? Wie können wir der nächsten Generation Kraft mitgeben? Wir haben drei Beispiele gesammelt. Hoffnung zu verbreiten, ist manchmal ganz einfach, manchmal lustig, manchmal herzerwärmend – und immer ganz wunderbar.
Frieden beginnt in einem selbst
Heike Werntgen und Fulgencio Morente Goméz, genannt Fug, gehen seit acht Jahren zusammen als „Frau von Hier und Herr von Dort“ an Schulen. Aber so gefragt wie aktuell, waren sie noch nie. Was erzählen wir unseren Kindern über den Krieg in der Ukraine? Wie erklären wir ihnen, was nicht erklärbar ist? Wie machen wir ihnen Mut? Die beiden Schauspieler, sie ist auch Theaterpädagogin und er Kinderliedermacher, verbreiten in ihren Workshops, die sie für das Forum Ziviler Friedensdienst geben, eine so einfache wie überzeugende Botschaft: „Der Frieden beginnt in uns selbst.“
Zu Beginn kommt die „Frau von Hier“ als Putzfrau ins Klassenzimmer und fordert die Kinder ein bisschen unwirsch auf, die Füße hochzunehmen, damit sie den Boden fegen kann. Dann erscheint der „Herr von Dort“, fröhlich und zugewandt plappert er auf Spanisch drauflos. Werntgen will nichts mit ihm zu tun haben, meint, er wolle ihr das Putztuch klauen. Die beiden Schauspieler überzeichnen ihre Rollen, die Kinder lachen, das Eis ist gebrochen.
Verständigung fängt bei der Körpersprache an
„Was ist da passiert?“, fragen Werntgen und Fug anschließend. Seit Russland der Ukraine einen Krieg aufzwingt, lautet die Antwort oft: „Krieg und Frieden, Russland und Ukraine.“ Das ist neu. Am Ende landen aber alle wie immer bei der Erkenntnis: „Auch die Körpersprache kann Frieden oder nicht Frieden ausdrücken.“ Werntgen erklärt: „Viele Schulen sind gut darin, miteinander zu reden, eine Streitkultur zu etablieren. Dass man aber mit Worten Entschuldigung sagen kann, während der Körper etwas ganz anderes ausdrückt, kommt oft zu kurz.“
Vorlage für „Frau von Hier und Herr von Dort“ ist ein Erlebnis aus Fugs Kindheit. Er war knapp fünf Jahre alt und kam mit seiner Familie aus einem Dorf in Südspanien nach Köln. Er sah Kinder, die mit einer Wasserpistole spielten, ging hin und redete auf Spanisch auf sie ein. „Die sind schreiend davongerannt, die dachten wohl, da kommt jemand, der außerirdisch spricht, und will uns die Wasserpistole klauen“, erzählt Fug: „Das Erlebnis hat mich immer und ewig begleitet. Und Heike hat daraus einen Workshop gebastelt.“
Ein Song für den Frieden
Fug, der bei Kindersendungen wie „Wissen macht Ah!“ oder „Die Sendung mit der Maus“ mitwirkt und zusammen mit seiner Frau Janina Burgmer Kinderlieder produziert, hat den passenden Song dazu geschrieben: „Es beginnt in dir“. Im Refrain heißt es unter anderem: „Wir sind alle Menschen dieser Erde. Wenn wir Frieden in uns tragen, hört die Welt auf sich zu schlagen. Das beginnt, wenn ich in mir friedlich werde.“
Als er das Lied erfand, habe er sich gefragt, wo der Frieden anfängt, erzählt Fug: „Bei denen da oben, die Frieden schließen sollen? Kann man so sehen. Das bringt aber nichts.“ Mit seiner Musik wolle er dem Gefühl der Ohnmacht etwas entgegensetzen und den Kindern mitgeben: „Du bist relevant. Du bist ein Teil dieser Welt. Wenn du Frieden in dich reinbringst und mit deinem Körper Frieden ausdrückst, dann sind wir einen Schritt weiter.“
Als Obst oder Gemüse beschimpfen
In den Workshops, an deren Anschluss viele der Klassen an einem Friedenslauf der Organisation teilnehmen, spielen Werntgen und Fug oft noch „Obst-und-Gemüse-Schimpfen“: Die Kinder stehen sich in zwei Reihen gegenüber, nehmen die grummelige „Frau von Hier“-Körperhaltung ein und beschimpfen sich gegenseitig als Gurke oder Erdbeere. Anschließend sollen sie das wiederholen, aber mit der neutral-freundlichen Haltung des „Herrn von Dort“. Das fällt vielen deutlich schwerer. Warum? Ein Schüler erklärte das mal so: „Schimpfen ist einfacher, weil wir das viel häufiger machen.“
Regina Jauch ist selbstständige Arbeitspsychologin in Aachen und bei den „Psychologist for Future“ engagiert. Warum? Weil ihre 21 Jahre alte Tochter, Klimaaktivstin und Psychologiestudentin, sie mitgenommen hat. Uns erzählt die 54-Jährige von den psychologischen Tücken des Klimaschutzes und warum es so wichtig ist, dass unsere Kinder eine Grundzuversicht mit auf den Weg bekommen:
In Krisen, und damit auch in der Klimakrise, geht es darum, sich nicht von den eigenen Ängsten mitnehmen zu lassen. Ich muss überlegen: Was tut mir gut, obwohl so viel Krise drum herum ist? Wie bleibe ich stark, damit ich weiter etwas tun kann? Viele meinen, sie allein könnten ohnehin nichts bewirken. Aber es ist ja in den seltensten Fällen so, dass wir wirklich allein sind. Warum wird Plastik in den Geschäften gerade immer weniger? Weil ganz viele dafür sind. Da ist es wichtig, sich selbst in einer Menge wahrzunehmen.
Oft meinen Menschen, Klimaschutz bedeute nur Verzicht. Ich habe entschieden, dass ich kein Argument dafür habe zu fliegen. Ich sehe das nicht als Verzicht, sondern erlebe, was für tolle andere Urlaube ich machen kann. Wie fantastische es ist, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein und dadurch etwas Neues zu gewinnen. Dazu ist nicht jeder im gleichen Maße bereit. Aber es kann große Freude bereiten, nach der Freude zu suchen, die in alternativem Verhalten steckt. Das kann man auch Kindern vermitteln.
Eine Generation, die sich nicht aufhalten lässt
Viele Eltern sind bereit für Veränderungen, aber natürlich nicht alle. Für größere Kinder ist es dann manchmal schwer auszuhalten, dass ihre Eltern etwas anderes wollen als sie selbst. Das war aber schon immer so zwischen den Generationen. Die Jugendlichen von „Fridays for Future“ gehen an manchen Stellen sehr bewusst gegen die Einstellung ihrer Eltern auf die Straße. Dass sich diese Generation nicht aufhalten lässt, finde ich wirklich grandios.
Damit junge Menschen so stark sein können, müssen sie als Kinder eine Grundzuversicht vermittelt bekommen und Selbstwirksamkeit erfahren haben. Die Grundhoffnung ist familiär geprägt, da braucht es ein sicheres Umfeld. Kinder müssen Zuversicht erlebt haben, vielleicht nicht bei allen Menschen, aber zumindest bei einigen.
Kinder müssen sich als selbstwirksam erleben
Da sind wir beim großen Thema Resilienz. Die Grundvoraussetzungen sind, dass Kinder lernen, ihre Emotionen zu steuern und ihre Impulse zu kontrollieren. Sie müssen sich als selbstwirksam erleben und eine Problemanalyse erstellen können. Da hilft es, sie mit Fragen zu begleiten und nicht mit Ansagen. Mit „Wie könntest du?“ und nicht mit „Mach das so!“.
Kinder brauchen Bindungspersonen, die ihnen erstmal grundsätzlich Zuversicht vermitteln. Das ist nicht themenspezifisch. Am Ende können sie in anderen Themenbereichen engagiert sein als ihre Eltern. Es ist nur einfacher, wenn wir an den gleichen Themen dran sind. Dann müssen sie nicht noch zusätzlich gegen uns kämpfen. Wichtig ist auch: Wenn die Werte, die ich vermittele, bei den Kindern ankommen sollen, muss ich sie auch leben. Wenn ich nicht nach dem lebe, was ich predige, werden sie mich irgendwann nicht mehr ernst nehmen.
Ich kenne junge Menschen, bei denen die Angst überwiegt. Aber ich kenne viel, viel mehr, die voller Hoffnung sind. Das ist gut. Es gibt viel zu tun.
Maske tragen, wenn sie die Kinderonkologie in der Kölner Uniklinik verlassen, das war für krebskranke Kinder und Jugendliche schon vor Corona normal. Nach einer Chemotherapie ist ihr Immunsystem so geschwächt, dass sie sich schützen müssen. Jeder Schnupfen kann verheerend für sie sein. Corona hatte dafür gesorgt, dass sie außerhalb des Krankenhauses nicht mehr sofort als anders auffielen. Denn Maske trug ja jeder.
Drinnen, auf der Kinderkrebs-Station, ist die Welt ohnehin eine andere. So düster, wie viele es sich vorstellen, gehe es aber nicht zu, betont Claudia Mutzenbach, Sozialpädagogin und an der Uniklinik Teamleiterin des Psychosozialen Dienstes in der Kinderonkologie und Hämatologie. Zu ihrer Mannschaft, die Hoffnung und vor allem Spaß verbreiten will unter den schwer kranken Kindern und deren Eltern, gehören Kunsttherapeutin Hiltrud Gauf und Sportwissenschaftlerin Lena Böhlke.
80 Prozent der Patienten werden geheilt
Das Ziel sei, gesund ins Leben zurückzukehren. „80 Prozent unserer Patienten werden geheilt“, sagt Mutzenbach. Doch der Preis dafür ist oft hoch: Langwierige Therapien mit teils schlimmen Nebenwirkungen. Viele Schmerzen. Viel Angst. Wenn auf der Leitstelle der Station eine Kerze brennt, weiß jeder: Ein Kind ist gestorben.
An den anderen Tagen bestimmten Lebendigkeit und Vielfalt das Bild auf der Station, betont Hiltrud Gauf. Sie malt mit den Kindern, bastelt, arbeitet mit Ton oder näht mit ihnen mit der Nähmaschine. Mützen für die kahlen Köpfe, Monster als kleine Begleiter fürs Bett. Solche Sachen. Es gehe ums Spaß haben, sagt Gauf. Und um Fantasie: „Die Kinder und Jugendlichen können zumindest gedanklich der Station und der Krankheit entfliehen. Sie erleben sich als stark und können Gefühle ausdrücken, für die ihnen die Worte fehlen.“
Flitzen und bolzen tun gut
Lena Böhlke sorgt für Leben auf dem Flur. Da wird Fußball gespielt, über einen Parcours geflitzt oder Tennisbälle fliegen durch die Luft, „da muss man sich schon mal ducken“, sagt Mutzenbach. In den Zimmern gibt es Luftballon-Spiele, ein Tischtennis-Turnier ist in Planung und wer sich mal richtig auspowern will, setzt sich aufs Fahrradergometer. „Kinder haben einen stark ausgeprägten natürlichen Bewegungsdrang“, sagt die Sporttherapeutin: „Aber mit der Diagnose fallen ganz viele Angebote für sie weg. Sie können nicht mehr in den Verein gehen, nicht mehr zum Schulsport.“
Mit ihren Angeboten will Böhlke die Kinder daran erinnern, wie gut Bewegung tut: „Mit der Krebsdiagnose verliert man ein bisschen das Vertrauen in seinen Körper, aber beim Sport kann man zeigen: Hey, mein Körper kann trotzdem noch was. Er ist immer noch leistungsfähig.“ So könnten die Kinder Selbstbewusstsein zurückgewinnen und Stress abbauen. Dabei gilt wie bei der Kunsttherapie: Jeder kann, niemand muss.
Nein sagen als Therapie
„In der Krankheit erleben sich die Kinder als wahnsinnig defizitär. Sie müssen viele Dinge machen, bei denen sie nicht entscheiden dürfen“, erklärt Gauf. In der Kunst entscheiden und gestalten sie dagegen selbst. Und manchmal ist allein die Möglichkeit, Nein sagen zu können, schon Therapie genug. Kunst und Sport gehören zu den wenigen Bereichen, in denen die krebskranken Kinder das dürfen.
Schließlich sollen Kunst und Sport für ein bisschen Normalität sorgen in einem durcheinander geratenen Kinderleben. „Unser Grundtenor lautet: Wir treten den Krebs in den Hintern“, sagt Mutzenbach. Deshalb wird auch alles gefeiert, was gefeiert werden kann. Feiertage. Geburtstage. Und ganz besonders die Entlassung geheilter Patienten: „Kinder brauchen Perspektiven. Und Perspektiven entstehen durch Mutmachgeschichten und dadurch, zu erleben, dass andere es vor einem geschafft haben.“