50 Cent pro Ei vom Biohof„Wir haben Hühner und keine Maschinen, die Eier legen“
Burscheid – Der Nieselregen stört weder die Hühner noch Bio-Landwirtin Lena Jörgens. Die 444 Damen und sechs Herren tun, was Hühner und Hähne eben so tun: Gackern, krähen, picken, scharren und auf der großen Wiese herumstolzieren. „Artgerechtes Verhalten ausüben“, so heißt das im Fachjargon. Man umschreibt das so, weil hierzulande kaum noch wirklich glückliche Hühner leben. Wird ihnen eine vorgeschriebene Portion artgerechtes Verhalten ermöglicht, sind sie Bio-Hühner. Ihre Eier kosten dann 50 Cent statt unter 20. Aber macht das die Tiere gesünder?
Lena Jörgens und zwei ihrer Schwestern haben am Hof der Familie in Burscheid die Bio-Rinder-Zucht vor vier Jahren um die Haltung von Bio-Legehennen erweitert. Wilfried Jörgens, der Vater, ist Tierarzt. Er bewirtschaftet den Betrieb im Nebenerwerb. „Das Ziel von uns Mädels ist es, dass der Hof wieder ein Haupterwerbs-Betrieb wird“, sagt die Tochter. Aktuell ist es noch so: Wenn die 28-Jährige sich nicht um Hühner und Hof kümmert, arbeitet sie als Krankenschwester – teils in einem Krankenhaus, teils in der Praxis ihres Vaters.
Stets frische Wiese unter den Krallen
Jetzt steht sie in Gummistiefeln, dunklen Jeans und Regenjacke neben einem ihrer beiden Hühnermobile. Das sind Ställe auf Rädern, die auf der fünf Hektar großen Weide an der Ausfahrt Burscheid der A1 immer mal wieder umgestellt werden. So haben die Hühner stets frische Wiese unter ihren Krallen. Automatisch per Fließband wird in den mobilen Ställen nur der Kot unter den Sitzstangen abtransportiert, alles andere müssen die Landwirtinnen händisch erledigen.
Zweimal am Tag kommen sie her. Zum Füttern, frisches Wasser auffüllen, ausmisten und Eier einsammeln. Das ist gewollt. „So haben wir einen guten Kontakt zu den Tieren und merken direkt, wenn etwas nicht stimmt“, sagt Jörgens. Bei vollautomatisierten Ställen in so manchem Massenbetrieb sei das nicht der Fall.
Das Bio-Ei im Discounter kommt nur in seltenen Fällen von kleinen, regionalen Vorzeige-Betrieben. Zwar sind laut EU-Bio-Verordnung maximal 3000 Hühner pro Stall erlaubt, aber es kann durchaus ein Stall neben dem anderen Stehen. Macht in Summe: Massentierhaltung.
Massenkonsum als Grundlage für Massentierhaltung
„Es gibt ganz sicher Landwirtinnen und Landwirte, die etwas anders machen wollen und tolle Sachen auf die Beine stellen in ihren Nischen“, sagt Andreas Winkler von Foodwatch. Der Verein engagiert sich in Sachen Qualität von Lebensmitteln und Verbraucherrechten. „Aber das ist nichts für den Massenmarkt und wird die Probleme insgesamt nicht lösen.“ Also jene Umwelt- und Welternährungs-Probleme, an denen auch unser Massenkonsum nicht ganz unschuldig ist.
Die Hühner der Jörgens werden nach den Bio-Standards des Siegels „Grüner Kreis“ gehalten. Die sind in einigen Punkten strenger als die Bio-Vorgaben der EU. Ihre Eier kosten 50 Cent das Stück und sind damit für Großhändler uninteressant. Die Familie vermarktet sie direkt über den eigenen „Regiomaten“, einen Automaten gegenüber der Hühnerwiese. In Burscheid geht man nicht mal eben zum Zigaretten-Automaten um die Ecke, man hält am Bio-Automaten für Eier und Fleisch.
Automat innerhalb von zehn Minuten leergekauft
Während des ersten Corona-Lockdowns seien die Eier manchmal innerhalb von zehn Minuten ausverkauft gewesen, erzählt Jörgens: „400 Eier, und tschüss.“ Die Menschen waren damals zu Hause, nutzten die eigene Küche wie sonst selten und erinnerten sich ihres biologischen Gewissens. Einige waren sauer, wenn sie keine Eier mehr bekamen und riefen entrüstet bei den Jörgens an.
„Wir haben Hühner und keine Maschinen, die Eier legen“, sagt die Landwirtin. Ihr Vater fügt an: „Die Bevölkerung muss wieder mehr Einblick in die landwirtschaftliche Produktion bekommen.“ Die Idee der Familie ist daher nicht in erster Linie Bio – sondern Transparenz. Die Leute sollen gucken kommen und wissen, woher ihre Eier und ihr Fleisch stammen. „Das ist die beste Kontrolle“, sagt Wilfried Jörgens.
13 Milliarden Eier im Jahr
Im Jahr 2021 haben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland Unternehmen mit mindestens 3000 Hennenhaltungsplätzen – so kleine Betriebe wie der der Jörgens werden in der Statistik gar nicht erfasst – 13 Milliarden Eier produziert. Die Erzeugung biologischer Eier stieg im Vergleich zu 2020 um 10,4 Prozent auf 1,7 Milliarden Eier. Damit kamen 13 Prozent der Eier aus ökologischer Erzeugung. Heißt: Etwa jedes achte Ei in Deutschland ist Bio.
Hurra, die Kennzeichnung der Haltungsform bei Eiern zeigt also Wirkung, möchte man meinen. Von Jahr zu Jahr entscheiden sich mehr Menschen im Sinne der Hühner für die teureren Bio-Eier. So will der neue Landwirtschafts-Minister Cem Özdemir von den Grünen das vermeintliche Erfolgsmodell nun auch für andere Tiere zum Standard machen: „Wir beginnen beim Schweinefleisch. Schritt für Schritt wird es dann auf die anderen Nutztierarten ausgeweitet“, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft auf Anfrage. Insgesamt wolle man erreichen, dass der Ökolandbau bis zum Jahr 2030 in Deutschland 30 Prozent ausmacht. „Und zwar nicht nur auf der Fläche, sondern auch im Supermarktregal.“
Zweifel daran, ob allein die Kennzeichnung der Haltungsbedingungen ausreichend ist für mehr Tierwohl, hat man inzwischen allerdings bei Foodwatch. Im Fall der Hühner zeigt eine aktuelle Studie aus der Schweiz: Hochgezüchtete Legehennen leiden sehr häufig an Knochenbrüchen. Wissenschaftler der Universität Bern untersuchten über zehn Monate 150 Hennen und entdeckten bei 97 Prozent ein gebrochenes Brustbein – quer durch alle Haltungsformen. Manches Huhn hatte bis zu elf gebrochene Knochen im Körper.
Zurück zum Zweinutzungshuhn
Auch Bio-Hühner müssen Eier im Akkord legen – und das scheint bei den nur dafür hochgezüchteten Rassen zu einem Calciummangel zu führen. „Ihr Knochengerüst ist so ausgelaugt, dass den Hühnern die Knochen brechen“, sagt Andreas Winkler von Foodwatch: „Das Ausmaß des Leidens ist enorm.“ Seine Organisation fordere daher: „Wir müssen weg von der einseitigen Hochleistungszüchtung und wieder hin zum Zweinutzungshuhn.“ Zu eierlegenden Hühnern, deren Fleisch am Ende auf den Grill kommt. Nur so seien robustere, weniger krankheitsanfällige Rassen möglich. Eier und Hühnerfleisch würden dann teurer. „Aber das ist ein Preis, den wir zahlen müssen“, sagt Winkler. „Die günstigen Preise gehen ganz klar auf Kosten der Tiergesundheit.“
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Lena Jörgens hat noch keine Hühner mit gebrochenen Knochen in ihrem Bestand bemerkt. Ihre Ställe seien aber auch wesentlich kleiner als jene aus der Studie. Dort wurden nur Legehennen aus Beständen ab 3000 Hühnern untersucht. Jörgens erklärt: „Wir gleichen mögliche Mängel mit hochwertigem Futter aus, und unsere Hühner haben ausreichend Fressmöglichkeiten.“ Sie und ihre Schwestern nennen ihre 450 Hühner nicht beim Namen, aber Jörgens ist überzeugt, dass sie es bemerken würden, ginge es den Hühnern nicht gut: „Dann wäre Unruhe im Stall.“
Sind die Kontrollen streng genug?
Unabhängig überprüft wird die Gesundheit von Legehennen nicht. Bei Bio-Hühnern gibt es regelmäßige Öko-Kontrollen, aber die beziehen sich rein auf die Haltungsbedingungen. „Wir können hier keinen Schmu machen“, betont Jörgens. Sie zeigt Aktenordner voller Listen. Hier wird alles genau verzeichnet: Anzahl der Hühner, Anzahl der Eier, Futterart und -menge, Anzahl der Tiere, die von Habicht, Fuchs oder Marder geholt wurden und Nachweise über die Aufzucht der vorschriftsmäßig mitfinanzierten Bruderhähne. Ob die Kontrollen insgesamt streng genug sind, stellte im vergangenen November die „Zeit“ infrage. Man hatte viele Auffälligkeiten in den Protokollen der Kontrollstellen gefunden, die keinerlei Strafen nach sich gezogen hatten.
In NRW ist im vergangenen Jahr nach Angaben des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz gegenüber einem Öko-Legehennen-Betrieb ein Bußgeld verhängt worden. In sechs Fällen hätten die Öko-Kontrollstellen eigene Maßnahmen veranlasst. „Die Umsetzung der angeordneten Maßnahmen wird in jedem Fall so lange überprüft, bis der rechtskonforme Zustand hergestellt ist“, teilte das NRW-Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz mit.
Sensible Tiere, aber auch schlau
Über ihre Hühner sagt Lena Jörgens, dass sie „keine einfachen Tiere“ seien, „total sensibel“, aber auch „sehr schlau“. Und: „Wenn ihnen langweilig wird, werden sie zu Kannibalen, dann machen sie sich gegenseitig kaputt.“ Dann picken sie den anderen die Federn vom Leib und sehen furchtbar entstellt aus. Tierschützer verbreiten solche Bilder. Meist wurden sie heimlich aufgenommen in Ställen, in denen Legehennen in Massen gehalten werden. Bei den Jörgens darf eine Henne, die von den Kolleginnen besonders aggressiv angepickt wird, schon mal umziehen in ein Hühner-Luxusleben. Sie kommt mit auf den Hof, in den kleinen Hühnerstall für den Privatgebrauch der Großfamilie.