„Es geht um viel Geld”Warum zwei Kölner Rauchen als Krankheit definieren wollen
- Therapien können Patienten helfen, mit dem Rauchen aufzuhören. Doch die Krankenkassen dürfen hierfür nicht zahlen. Dagegen kämpfen nun zwei Kölner an. Sie wollen, dass Rauchen als Krankheit anerkannt wird.
- Was treibt sie an und welche Gründe führen sie ins Feld? Vor allem aber: Welche Erfolgsaussichten haben sie?
- Lesen Sie hier die ganze Geschichte.
Köln – Weltweit rauchen 1,1 Milliarden Menschen, im Jahr macht das 5,7 Billionen Zigaretten; für die fünf größten Konzerne kamen im Jahr 2017 etwa 27 Milliarden Dollar zusammen; Gewinn wohlgemerkt, nicht Umsatz. Andererseits rauchen in den Industrieländern immer weniger Menschen. Jugendliche wollen heute gesund leben und vor allem gesund aussehen, das unterscheidet sie von der Generation ihrer Eltern. Die Raucherquote ist seit 1997 kontinuierlich gesunken – von 36,8 auf 25,8 Prozent im Jahr 2015. Dumm nur, dass trotzdem noch so viele Menschen abhängig von der Zigarette sind – auch wenn sie gerne aufhören würden. Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Nikotin- und Tabakforschung, sterben in Deutschland jedes Jahr 120.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums.
Hendrikje ter Balk (35) ist Suchttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie in Köln. Gemeinsam mit dem Lungenarzt Dr. Matthias Leonhard ist es ihr Ziel, „ein umfassendes Angebot für nikotinabhängige Menschen zu schaffen, die abstinent werden und an körperlicher und psychischer Lebensqualität gewinnen möchten“. Aber ausgerechnet die deutsche Rechtssprechung legt ihnen hierbei Steine in den Weg.
Massive Steigerung
Während in Ländern wie Schweden oder Großbritannien medikamentöse Therapiekosten wie Nikotinpflaster und Tabletten erstattet werden, dürfen die Krankenkassen hierzulande dafür keine Kosten übernehmen. „Dabei wird die Erfolgsquote massiv gesteigert, wenn man Leuten Rückfall und Enttäuschung ersparen könnte“, sagt Leonhard.Oft schafften es Raucher nicht, von der Zigarette loszukommen, „weil die körperliche Abhängigkeit zu groß ist“, sagt er. Doch Medikamente zur Rauchentwöhnung sind gesetzlich vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. Eine Packung Medikamente kostet im Monat 100 Euro. Besonders für finanziell schlechter gestellte wäre es eine Hilfe, wenn die Kassen die Leistung übernehmen.
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Geklagt hatte eine 71-jährige Frau aus Schleswig-Holstein, die seit ihrem 18. Lebensjahr rauchte. Mittlerweile leidet sie an einer chronischen Erkrankung ihrer Lunge und der Atemwege. Zahlreiche Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, blieben erfolglos. Sie forderte von ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für eine Rauchentwöhnungstherapie. Eine Kombination aus verhaltenstherapeutischem Ansatz und der Verabreichung von Nikotinersatzmedikamenten. Die Gesetzgebung ordnete jedoch Nikotinersatzmedikamente als Mittel ein, dessen Wirkung – wie auch bei Appetitzüglern oder Potenzmitteln – vorrangig einer Steigerung der Lebensqualität diene.
Gegen diesen Paragrafen wollen ter Balk und Leonhard nun ankämpfen. Sie wollen Rauchen als Krankheit anerkennen lassen. „Der Ansatz von uns ist, eine Gesetzesänderung zu erreichen, damit Medikamente zur Rauchentwöhnung nicht mehr unter diesem Paragrafen fallen und erstattet werden können, um dann auch die psychotherapeutische Versorgung neu in den Diskurs bringen zu können“, sagt ter Balk. Nur so sei es möglich, dass die Kassen die Kosten übernehmen und Patienten damit geholfen werden könnten. „Es gibt einige Lücken im System, die wir nutzen wollen“, sagt sie. Daher haben sie Kontakt zum Bundesgesundheitsministerium und der Drogenbeauftragten Daniela Ludwig aufgenommen.
Es gebe bislang kein echtes Angebot, Rauchern bei der Entwöhnung medizinisch zu helfen. „Bei einer Alkoholabhängigkeit oder Drogenabhängigkeit stehen stationäre und mitunter auch ambulante Versorgungsangebote zur Verfügung, nur bei Rauchern ist das nicht der Fall. Dabei gibt es viele Menschen, die aufhören wollen“, sagt Leonhard. Sie schaffen es aber nicht alleine. „Das Suchtpotenzial der Zigaretten ist extrem hoch. Manchmal reicht eine Zigarette und man ist süchtig, das gibt es bei kaum einer anderen Droge.“
Psychotherapie und Nikotinersatzprodukte können Patienten helfen. Ob die Kosten die Kasse tragen darf, würde im Gemeinsamen Bundesausschuss entschieden, aber nur wenn es zuvor eine Gesetzesänderung gibt. Das höchste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen ist allerdings durch die höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden. „Die Medikamente zur Rauchentwöhnung müssen aus dem § 34 SGB V gestrichen werden. Die Nikotinabhängigkeit muss als Krankheit definiert werden“, fordern die beiden Kölner.
Doch bislang ist das nur ein Wunsch. Und das, obwohl dem Gesundheitssystem durch die Folgen von Rauchererkrankungen hohe Kosten entstehen. Durch Medikamente unterstützt könnte man die Quote von Menschen, die auf das Rauchen verzichten wollen, auf über 50 Prozent erhöhen, sagt Leonhard.
Man könne also den Erfolg der Verhaltenstherapie verdoppeln. Andererseits zeigt diese Zahl, wie hoch die körperliche Abhängigkeit von Zigaretten ist. „Eine Zigarette ist ein Designerdroge“, sagt Leonhard. Neben dem Tabak sind nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums rund 1000 andere Stoffe in den Glimmstängeln enthalten, damit der Rauch weiß ist und er tief in den Lungen inhaliert werden kann.
Irgendwann trifft es jeden Raucher
Der Kampf gegen Zigaretten ist jahrzehntealt. Noch 1994 schworen sieben Zigarettenmanager bei einer Kongressanhörung in den USA, wider besseres Wissen, dass Nikotin nicht abhängig mache. Auch in Deutschland gibt es eine starke Tabaklobby. Während in anderen EU-Ländern längst ein Tabakwerbeverbot aufgrund einer EU-Richtlinie gilt, darf hierzulande noch fleißig für das Rauchen geworben werden. „Es geht um wahnsinnig viel Geld“, weiß auch Leonhard, wie schwer die Aufgabe für ihn und ter Balk ist.
Dennoch lohne sich der Einsatz für die, die aufhören wollten.Inzwischen weiß zwar jeder, dass Rauchen das Leben verkürzen kann, es steht auf jeder Packung, auf jedem Plakat. Dennoch tun es im Verhältnis sehr wenige. Und dass, obwohl man viel Geld spart und schon am nächsten Tag nach dem Rauchstopp „das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen deutlich senkt“, sagt Leonhard. „Die gesamten körperlichen Funktionen zeigen eine sehr schnelle Verbesserung durch den Rauchstopp.“
Jeden dritten Raucher erwarte hingegen eine schwere Lungenerkrankung. Die Lungenbläschen platzen, das Organ löst sich auf. „95 Prozent der Menschen mit Lungenkrebs sind oder waren Raucher.“ Zudem sterben Raucher im Schnitt zehn Jahre vor einem Nichtraucher. „Lungenkrebs, Raucherbein, Herzinfarkt: Irgendwas davon trifft irgendwann jeden Raucher“, sagt Leonhard.