Die Kölnerin Marianne Behechti wanderte 1967 mit ihrem iranisch-stämmigen Mann nach Teheran aus. Zwölf Jahre später kam sie zurück: Die islamische Revolution hatte das Land verändert – vor allem für Frauen.
„Der Moment“Unterdrückung von Frauen – Kölnerin flüchtete nach Demonstration aus dem Iran
Es war ein Tag im Februar 1979, an dem sich Marianne Behechti zur Flucht aus dem Iran entschied. An jenem Tag kam ihre Tochter völlig aufgelöst nach Hause. Ihr Mädchengymnasium hatte gegen die Entrechtung von Frauen vor der Universität Teheran demonstriert, die Veranstaltung war eskaliert.
Beim Protest der Tochter hatte sich herumgesprochen, dass Demonstrierende mit Messern und Rasierklingen angegriffen würden. Es kam zu Unruhen und Panik, Behechtis Tochter rannte los und schaffte es irgendwie nach Hause. Später erfuhr die Familie von Mädchen, die nach der Demonstration mit Verätzungen ins Krankenhaus gebracht werden mussten.
Zu dem Zeitpunkt war im Iran bereits seit Jahren die islamische Revolution im Gange. Ihre Anführer hatten den damaligen Monarchen, den Schah Mohammad Reza Pahlavi, gestürzt und waren nun dabei, den Iran in eine islamische Republik zu verwandeln: einen Gottesstaat, der Frauen stark unterdrückt. Die Demonstration ihrer Tochter hatte Behechti gezeigt, was das bedeutete: „Wenn du flüchten musst, rennen musst um dein Leben, bloß weil du eine Frau bist – das ging nicht mehr.“
Also sagte sich die Familie: "Jetzt ist Schluss.“ Schluss mit dem Leben in Teheran, das sich Behechti mit ihrem iranisch-stämmigen Mann und den vier Kindern aufgebaut hatte. Schluss mit dem Leben in einer Stadt, in der es der Kölnerin und ihrer Tochter bald nicht mehr offen stehen würde, ob sie einen Schleier trugen oder nicht. In der sie nicht mehr sicher waren, sondern bedroht. Es war der Moment der Entscheidung, nach Köln zurückzukehren, in die Heimatstadt von Marianne Behechti.
Ein paar Wochen nach der Demonstration verließen Behechti und ihre Kinder den Iran. Behechtis Mann konnte erst später mit einem Visum nachkommen, weil die Botschaft noch geschlossen hatte, als seine Familie ging.
Mit den Kindern alleine zu sein, war Behechti gewohnt. Im Iran war ihr Mann oft auf Geschäftsreise gewesen. Doch durch die vielen Jahre im Ausland wusste sie auch, dass zuhause überall sein kann. „Ich habe gelernt: Ich gehöre zu mir selbst. Mich selbst kann ich überall mit hin nehmen. Ich muss nur Sprache und Kommunikation und Gesten lernen.“
Wegen der Wirtschaftsflaute in den Iran ausgewandert
Zwölf Jahre lang hatte die Kölnerin mit ihrem Mann und ihren Kindern in der iranischen Hauptstadt gewohnt, seit die Familie aus Köln ausgewandert war wegen der damaligen Wirtschaftsflaute in Deutschland.
Ihren Mann lernte Behechti noch während des Lehramtstudiums in Köln kennen. Der Nachname Behechti, erklärt sie, bedeute„ aus dem Paradies“. „Und sein Vorname ‚Djahan‘ heißt 'Der Welterhalter'. Wenn also der Welterhalter aus dem Paradies Sie heiraten möchte, auf wen warten Sie dann noch?“
Die beiden gründeten eine Familie. Doch Djahan Behechti bekam nach seinem Fotografie-Studium keinen Job in Köln. Im Iran gab es indes einen wirtschaftlichen Aufschwung. Und so entschied sich das Ehepaar, nach Teheran auszuwandern. Mit den Kindern auf der Rückbank, einer Stereoanlage für den Schwager und der Fotoausrüstung im Gepäck fuhren sie los zur Schwiegermutter, in die Hitze des Teheraner Spätsommers.
Die Behechtis fanden beide Arbeit beim Ministerium für Tourismus. Djahan Behechti fotografierte für einen Bildband Motive aus dem ganzen Land, um den Tourismus zu fördern. Marianne Behechti schrieb unter anderem Reiseführer.
Trotzdem wohnte die Familie in ärmeren Vierteln, denn Behechti wollte „dort leben, wo das Volk lebt, und nicht in irgendeiner deutschen Kolonie, die sich ihr Schwarzbrot einfliegen lässt“.
Kölnerin Marianne Behechti lernte Farsi in Teheran übers Radio
Wer Marianne Behechti trifft, merkt sofort: Sie ist schlagfertig. Kennenlernen tut man die Kölnerin am besten dort, wo sie seit 37 Jahren wohnt: in ihrem Haus in Köln-Mülheim.
Dort hängen überall selbst gemalte Bilder, auf Leinwänden und in bunten Bilderrahmen. Dazwischen stehen Bücherregale, am liebsten liest Behechti Sciene Fiction. Malen, Lesen und Schreiben sind ihre Leidenschaften, für die sie jetzt im Rentenalter Zeit hat. Die 82-Jährige probiert künstlerisch „alles Mögliche“ aus: „Die leere Leinwand sagt am Morgen: Was machen wir heute? Und dann wird es das.“
Im Flur hängen Fotos von den Kindern. „Das ist ‚The Family‘“, sagt Behechti, zwischendurch nutzt sie immer wieder englische Begriffe. Ein Relikt aus der Anfangszeit im Iran, als sich die Kölnerin mit der Familie ihres Mannes teils auf Englisch verständigte. Farsi lernte Behechti schnell übers Radio. „Das Schicksal oder wer auch immer hat mir geschenkt, dass ich nie Vokabeln gelernt habe, weder in der Schule noch sonst wo. Ich habe immer nur gehört und gelesen.“
„Aufstand ist Risiko“
Wenn Marianne Behechti an ihre Zeit im Iran denkt, erinnert sie sich an ein selbstbestimmtes, zufriedenes Leben. Doch viele Iranerinnern und Iraner sahen und sehen die Diktatur des Schah in einem anderen Licht.
Der Schah hatte den Iran ab den frühen 1960er Jahren modernisieren wollen, unter anderem durch das Frauenwahlrecht. Daraufhin mobilisierten religiöse Gruppen die Bevölkerung gegen die Reformen. Der Schah brachte alle seine Gegner gewaltsam zum Schweigen, folterte oder tötete sie. Freie Meinungsäußerung war nicht möglich. Auch in Deutschland wurde der Monarch heftig für seine Menschenrechtsverletzungen kritisiert. Im Iran nahm der Widerstand zu, bei einem Protest schossen Soldaten in die Menge und töteten hunderte Menschen. Mitte Januar 1979 musste der Schah das Land verlassen.
Der schiitische Geistliche Ajatollah Chomeini kam an die Macht. Auch er baute eine Diktatur auf, in der bis heute Frauenrechtlerinnen wie die Kölnerin Nahid Taghavi inhaftiert und Oppositionelle ebenfalls gefoltert und umgebracht werden – zuletzt der Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd, dessen Hinrichtung Behechti aufs Schärfste verurteilt. Sharmahd war vom iranischen Geheimdienst in Dubai entführt und im Iran inhaftiert worden. „Aufstand“, sagt Behechti, „ist Risiko.“
Ihr Blick schweift in den leicht verwilderten Garten ihres Hauses in Mülheim, als sie wieder an die Revolution in Teheran denkt. Sie erzählt, wie die Menschen damals im Iran nach Sonnenuntergang auf ihre Balkone gingen und „Tod dem Schah“ und „Gott ist groß“ riefen. „Ich habe oft mit Arbeitskolleginnen geredet und sie gefragt: ‚Habt ihr den Koran denn gelesen? Wisst ihr, welche Rolle der Frau darin zugedacht ist?‘“
Doch Behechtis Zweifel verfingen nicht bei ihren Kolleginnen. Die Proteste im Volk waren bereits im vollen Gange. In den Schulen Teherans gab es Veranstaltungen der Revolutionäre, Behechtis großer Sohn begann, sich für die Koranschule zu interessieren. „Die Jugend kriegst du leicht motiviert, und das hat nicht immer was mit Logik zu tun, sondern mit Gefühlen“, sagt Behechti. Ihrem Sohn versprachen die Eltern, dass er den Islam gerne kennenlernen könne – aber nicht von den Mullahs und „bitte im Vergleich mit anderen Religionen“.
„Ich wusste damals nur: Du musst raus“, erinnert sich Behechti an ihre Flucht aus dem Iran. Zurück in Köln fing sie an, für einen Reiseveranstalter zu arbeiten, später ging Behechti in die Entwicklungshilfe bei der Carl Duisberg Gesellschaft. Ihren Kinder fiel der Start in Deutschland schwer. Die Freunde waren im Iran geblieben und sie sprachen die Sprache nicht. „Aber sie haben es alle geschafft.“
Fragmente eines Lebens
Heute besuchen Behechti und ihr Mann regelmäßig das Sprachcafé des Runden Tisches Buchforst, wo sie mit Menschen aus Afghanistan, Syrien und anderen Ländern Deutsch üben. „Ich sage immer: Redet miteinander, auch wenn es nur mit Händen und Füßen ist, und dann versteht ihr euch.“
Über ihre Zeit im Iran hat Behechti ein Buch geschrieben, es heißt „Ins Ohr geflüstert. Fragmente eines Lebens“. Zum Schreiben geht die 82-Jährige oft in ihr „Denkzimmer“. Hierher zieht sie sich auch zum Lesen oder für „Gespräche mit besonderen Menschen“ zurück. „Aber mein eigentliches Büro ist das Eiscafé nebenan.“ Dort ist auch ihr Buch entstanden. „Meine Arme sind einfach zu kurz, um vom Café aus den Haushalt zu erledigen“, sagt Behechti und lacht. Zwischen „einem Latte Macciato oder zwei“ konnte die Kölnerin ihre Erinnerungen in Ruhe aufschreiben. Entstanden sind Geschichten und Gedichte – Fragmente aus einer erlebnisreichen Zeit. Zu erzählen hat Marianne Behechti aber noch viel mehr.