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Köln bleibt AnlaufstelleSo hat sich die Zahl der geflüchteten Ukrainer entwickelt

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Der Kölner Gesundheits- und Sozialdezernent Harald Rau

  1. Seit rund drei Monaten suchen täglich mehr geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer in Köln Schutz.
  2. Schon mehr als 10.000 Geflüchtete halten sich in der Stadt auf. Sozialdezernent Harald Rau erklärt, wo und wie sie untergebracht sind.

KölnHerr Rau, arbeitet die Stadtverwaltung drei Monate nach Beginn des Krieges nun wieder im Normalzustand?

Nein. Es gibt weiterhin Ausnahmestrukturen, die inzwischen aber weiterentwickelt wurden. Die Prozesse, die schnell entstehen mussten, sind jetzt verfeinert worden.

Wie hat sich die Lage in den vergangenen Monaten entwickelt?

Zu Beginn des Krieges kamen an einzelnen Tagen rund 500 Geflüchtete pro Tag in Köln an, seit einigen Wochen sind es weniger als 100 pro Tag. Dieser Trend scheint stabil zu sein. Der Anteil derer, die bei uns eine Unterbringung suchen, steigt allerdings deutlich. Neben diesen Menschen, die sich bei uns gemeldet haben, gibt es auch zahlreiche Ukrainerinnen und Ukrainer, die ohne Umwege privat unterkommen – die erfassen wir teilweise überhaupt nicht, weil sie wissen, dass sie hier über drei Monate auch ohne Visum leben können.

Wie viele geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainer sind in Köln aktuell erfasst?

Aktuell sind bereits etwas mehr als 10.000 Personen durch unsere Abteilung für Asylbewerberleistungen mit entsprechenden Leistungen versorgt worden, das entspricht etwa 5800 Familien.

Die Zahl der leistungsberechtigten Menschen hat sich in Köln in den vergangenen Monaten verdreifacht, das war schon eine große Herausforderung. Hinzu kommen Anträge, die noch in Bearbeitung sind – von etwa 12.000 geflüchteten Menschen aus der Ukraine gehen wir aktuell in Köln aus. Hinzu kommen eben die nicht erfassten Geflüchteten, die sich gegebenenfalls aufgrund privater Unterstützung nicht schutz- und hilfesuchend an uns gewendet haben.

Zu Beginn war Köln eine von wenigen großen Anlaufstellen in Deutschland. Ist das weiterhin der Fall?

Wir haben weiterhin überproportional viel Zugang nach Köln, sowohl im Deutschland- als auch im NRW-Vergleich. Berlin ist die erste Anlaufstelle, von dort aus ist dann NRW das häufigste Ziel. Hier wiederum liegen wir rund 20 Prozent über der Aufnahmezahl, die uns im Verteilungsmechanismus zugeordnet ist. Aber wir nehmen im ersten Schritt alle auf, die Hilfe suchen. Wir wissen nicht konkret, was die Gründe dafür sind, dass Köln so beliebt ist. Sicher spielt die Verkehrsanbindung mit rein, aber Köln hat eben auch den Ruf, international offen zu sein. Außerdem gibt es hier auch eine relativ große ukrainische Community. Ein relevanter Faktor ist das Blau-Gelbe Kreuz, das sehr aktiv und bekannt ist.

Erfassen Sie, wie viele Geflüchtete die Stadt wieder verlassen?

Es ist so, dass wir häufig Mitteilungen darüber bekommen, dass Menschen die Stadt wieder verlassen – diese ziehen wir dann statistisch wieder ab und stellen unser Hilfen entsprechend ein.

Wie gehen Sie mit geflüchteten Menschen aus der Ukraine um, die keinen ukrainischen Pass haben?

Es gibt für uns Möglichkeiten, auch diese Menschen zu unterstützen. Generell ist die rechtliche Situation in Deutschland und der EU für Drittstaatler allerdings eine andere als für Ukrainerinnen und Ukrainer, damit müssen wir umgehen. Das Problem betrifft vor allem Studierende.

Rechtlich geht es um eine Bescheinigung, mit der sich Menschen ausweisen können, die Sie aber nicht allen aushändigen dürfen.

Richtig. Das ist durchaus ein Problem. Maximale Rechtssicherheit ist aus unserer Sicht wünschenswert, die gibt es aber nicht immer. Wir hätten gerne vonseiten der EU und des Bundesinnenministeriums mehr Klarheit. Die dahinterstehende politische Diskussion will ich gar nicht im Detail bewerten. Nur so viel: Aus unserer Erfahrung in Köln ist es nicht gut, ein Mehrklassen-System unter Geflüchteten zu installieren.

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Wir bekommen das von vielen Ehrenamtlichen gespiegelt: Es ist ein Problem, dass Geflüchtete aus dem Irak oder aus Afghanistan nun einen anderen Rechtsstatus haben als Geflüchtete aus der Ukraine.

Für Ukrainerinnen und Ukrainer gibt es durch den bevorstehenden Wechsel der Zuständigkeit von Sozialamt zu Jobcenter bald neue Möglichkeiten. Was steckt dahinter?

Bessere Unterstützung für Geflüchtete. Wer in Deutschland arbeitslos wird und ohne eigenes Einkommen ist, hat Anspruch auf Leistungen des Jobcenters. Hier wird monatliches Geld ausgezahlt, auch Wohnung, Heizung und Krankenversicherung werden vollständig staatlich übernommen. Diese Leistungen stehen geflüchteten Ukrainerinnen und Ukrainer nun auch zu. Das bedeutet unter dem Strich: Für Alleinstehende sind das etwa 80 Euro mehr im Monat, für alle eine bessere Krankenversicherung, Angebote zur Vermittlung von Arbeit. Und auch, wer dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung steht, bekommt vollständige Gesundheits- und Pflegeleistungen.

Was ändert sich damit für die Stadt?

Für erwerbsfähige Geflüchtete ist dann nicht mehr das Sozialamt, sondern das Jobcenter zuständig, das wir als Stadt zur Hälfte tragen. Bei den Kosten wird sich der Bund nun mehr beteiligen, knapp die Hälfte der Unterbringungskosten bleibt jedoch bei uns als Kommune. Für nicht erwerbsfähige Menschen aus der Ukraine und für diejenigen, die bereits das Rentenalter erreicht haben, bleiben wir mit dem Sozialamt zuständig.

Im Juni erfolgt die Umstellung. Was muss sich bis dahin ändern?

Wir kämpfen im Hintergrund dafür, dass die Hürden für die Antragstellung nicht so hoch sind. Für diesen Fall arbeiten wir als Stadt an Lösungen. Im Jobcenter stehen im Juni 5000 Termine zur Verfügung, um die Grundsicherung zu beantragen. Damit ist ein Großteil der rund 5800 Familien, die aktuell von uns Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten, versorgt. Wir wollen aber, dass vorher – also Anfang Juni – niemand ohne Mittel dasteht. Daran arbeiten wir und das können wir gewährleisten.

Wie hat sich die Unterbringung der Geflüchteten zuletzt entwickelt?

In der Messe haben wir am Anfang des Krieges riesig geplant. Wir mussten davon ausgehen, dass jeden Tag weitere 500 Menschen zu uns kommen. Die Idee war: Bis andere Möglichkeiten da sind, leben die Geflüchteten in der Messe. Dann kamen deutlich weniger Menschen, gleichzeitig haben wir mehr Unterkünfte, zum Beispiel Hotels akquiriert – und wir mussten die Messe nicht als langfristige Unterkunft nutzen, sondern nur als kurze Zwischenstation. Unser Ziel ist, dass die Menschen dort so kurz wie möglich sind und dann unter besseren Bedingungen wirklich ankommen. Dass derzeit unter 100 Personen in den Messehallen schlafen, ist ein Erfolg. Etwa 3800 Personen leben in festen Unterkünften.

Sie klingen erleichtert.

Das bin ich aber nicht. Denn für uns ist es kein Glück, wenn möglichst wenige Menschen kommen. Es ist genau andersrum: Es ist ein Glück, wenn möglichst wenige Menschen im Krieg sind. Wir möchten helfen. Im Stadtrat herrscht fast ausnahmslos eine kollektive Bemühung um die bestmögliche Unterstützung, das beeindruckt mich. Auch die Ehrenamtlichen leisten einen enorm wichtigen Beitrag, den man nicht hoch genug schätzen kann. Dafür sind wir als Stadt den Ehrenamtlichen sehr dankbar. Es ist wichtig, sich eines immer wieder vor Augen zu führen: Diese Menschen aus der Ukraine kommen aus dem Krieg. Wenn mir jemand erzählt, dass gestern seine Frau erschossen wurde, dann verschieben sich alle Prioritäten. Ich will nicht nur Zahlen und Verwaltungsakte sehen, sondern immer zu allererst die Schicksale. Deswegen war ich auch dagegen, dass Medien direkt aus der Messe berichten: Wer aus dem Krieg kommt, sollte nicht beobachtet werden, sondern sollte erst mal ankommen dürfen. Die Verarbeitung der Erlebnisse beginnt ja erst.