AboAbonnieren

„Frauen im Chor – das wäre gegen die Tradition“Wie ein Shanty-Chor nach Köln kam

Lesezeit 4 Minuten

Köln ist weit weg vom Meer – und doch hier gibt es einen Shanty-Chor. Wir erklären, wie es dazu kam.

Das Meer scheint in der Westendstraße in Vogelsang ganz nah zu sein.„Anker hoch und Tender weg, am Bug hängt schon der Schaum“, singen kräftige Männerstimmen. „Über uns der blaue Himmel, unter uns das weite Meer, kann es da noch Schön’res geben, fröhlich fahr’n wir kreuz und quer. Ahoi, Kameraden, ahoi, auf See sind wir zu Haus!“

Der 1. Kölner Shanty-Chor Köln, gegründet 1985, probt – die Männer tragen blaue schmucke Takelhemden mit weißer Kordel zu weißen Hosen. Doch wie kommt ein Shanty-Chor nach Köln-Vogelsang – so weit weg vom Meer? Hervorgegangen ist er aus der Marinekameradschaft Köln von 1891, also einer Vereinigung von Seeleuten. Doch im Chor von heute sind nur sehr wenige Männer tatsächlich zur See gefahren. „Ich bin in der Bundeswehrzeit bei der Marine gewesen“, sagt einer.

Jede Menge Seemannsgarn im Kölner Shanty-Chor

„Ich war bei der Handelsmarine“, ein anderer. „Ich war Matrose auf der ‚Alexander von Humboldt‘“ ein weiterer, stößt damit aber durchaus auf ungläubiges Staunen. „Ich war schon oft auf einem Kreuzfahrtschiff als Passagier“ – „Mein Schwiegervater war Kapitän zur See“ – „Meine Frau kommt aus Brunsbüttel“ sind weitere Wortmeldungen. „Wie, du singst für deine Frau?“ ist die Reaktion auf die letzte. Nordischer und kölscher Humor schienen sehr nah beieinander zu liegen. Chorsprecher Frank Krömer kommt immerhin aus Hamburg.

Drei Sänger in blauen Hemden mit weißer Kordel und weißen Hosen

Seemannsgarn spinnen gehört auch zur Probe, getragen werden blaue Takelhemden mit weißer Kordel.

Tja, sagt Chorleiter Reinhold Koytek – Köln liege zwar nicht am Meer, habe aber als Hansestadt große maritime Vergangenheit. Und dann der Rhein: „Ohne Fluss kein Meer.“ Mehrere Bundesmarineschiffe heißen „Köln“. Und der Chor hat eine Patenschaft für die „Gorch Fock I“. Shanty-Chöre hätten auch weit weg vom Meer ihre Berechtigung, regelmäßig nimmt der Chor an internationalen Treffen teil. Nur, als mal eine Gruppe aus der Schweiz dabei war, habe man sich doch ein bisschen gewundert.

Was schert den Seemann das Geld, wenn er doch hinunterfällt
Reinhold Koytek, Chorleiter

Doch was macht Shanty so faszinierend? Ursprünglich waren es Lieder, mit denen die Matrosen sich von der Schwerstarbeit auf den Schiffen ablenkten oder die Handgriffe koordiniert wurden. Und man konnte in den Gesängen herrlich Schimpftiraden auf den Kapitän oder den Schiffskoch rauslassen. Meistens gehe es aber um große Themen wie Abschied, Heimweh und Kameradschaft. Um fremde Länder, die immer fremd bleiben. Um die Liebste, die man zurücklassen muss. Und die tödlichen Gefahren, die die Seefahrt früher mit sich brachte. Der Chorleiter zitiert: „Was schert den Seemann das Geld, wenn er doch hinunterfällt.“ Hinunterfällt ganz oben aus der Takelage des Schiffes. Shantys hätten einen durchaus melancholischen Inhalt. Deshalb seien auch viele in Moll geschrieben.

Die Sänger sitzen bei der Probe im einem Lokal.

Probe in einem Lokal an der Westendstraße in Vogelsang

Aber ansonsten herrscht fröhliche Geselligkeit mit einer Zugabe von sehr viel Seemannsgarn. Die Mischung scheint heute wieder gefragt zu sein. Der Shanty-Chor bei der NDR-Sendung „Ina Müllers Nacht“ – er muss von draußen durch das Fenster singen, weil es sonst im Drehort, der Hamburger Seemannskneipe „Schellfischposten“, zu eng würde – ist Kult. Der riesige Erfolg des „Wellerman“-Walfangshantys von Nathan Evans 2020 und des Films „Fisherman’s Friends“ um einen Shanty-Chor von 2019 brachten noch einmal einen Aufmerksamkeitsschub.

Zulauf für den Chor brachte das allerdings nicht. Im Gegenteil: Es werden dringend neue Sänger gesucht. 35 Männer sind aktiv, doch der Altersdurchschnitt steigt. Erst vor ein paar Tagen wurde ein Sänger „auf die letzte Fahrt“ geschickt, wie man in Seemannskreisen sagt – er wurde beerdigt.

Frauen im Chor – das wäre gegen die Tradition
Reinhold Koytek, Chorleiter

Eine Aufnahmeprüfung gebe es nicht, sagt der Chorleiter. Das merke man dann schon, ob es passe. Ungeklärt ist noch die Frauenfrage. „Frauen im Chor – das wäre gegen die Tradition“, sagt Reinhold Koytek. Andere sehen das nicht so streng: „Ich pfeife auf die Tradition“, ruft einer. Immerhin stellt sich demnächst eine Akkordeonspielerin vor. Das ginge auf jeden Fall.

Das Emblem des Chors zeigt einen Anker mit einem Notenschlüssel.

Das Emblem des Chors

Christine Zuber ist Britin und mit einem der Sänger verheiratet. Sie darf nicht mitsingen, obwohl sie oft bei der Probe dabei ist. „Ich bin so eine Art Galionsfigur.“ Vor allem aber übersetzt sie bei den Auftritten des Chors auf Kreuzfahrtschiffen mit amerikanischen Touristen an Bord. „Die sind immer ganz begeistert, viele Amerikaner sind ja deutschstämmig.“ Der Chor hat zahlreiche Auftritte im Jahr, auf Festivals, in Seniorenheimen, bei Hafenfesten und demnächst auch wieder im Senftöpfchen. „Hauptsache nicht mehr in so engen Kneipen, das schaffe ich nicht mehr“, meint einer der Sänger.

Und dann weht wieder Seeluft in der Westendstraße: „Wenn der Seemann seinen Seesack schnürt und sein Gaumen wieder Seesalz spürt, dann fragt jeder, der im Hafen bleibt, was er in der Fremde treibt. Hebt das Glas, kippt es weg, sonst kriegt das Herz ein Leck. Hebt das Glas, kippt es aus, sonst treibt das große Heimweh uns nach Haus.“