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Nachruf auf Manfred WeberWer war der Mann mit der Kapitänsmütze am Kölner Rheinufer?

Lesezeit 6 Minuten
Manfred Weber im winzigen Kassenbüdchen am Rheinufer

Manfred Weber im winzigen Kassenbüdchen am Rheinufer

Generationen von Kölnern kannten den Mann mit der Kapitänsmütze, der Tickets für Ausflugsfahrten mit der „Willi Ostermann“ verkaufte.

Es gibt Menschen, die haben sich so ins Gedächtnis eingegraben, dass man schwören könnte, man habe sie vor kurzem noch gesehen. So ein Mensch war Manfred Weber – der Mann mit der Kapitänsmütze, der am Rheinufer an seinem winzigen Büdchen an der Hohenzollernbrücke Tickets für Rundfahrten mit der „Willi Ostermann“, das „Müllemer Böötche“, verkaufte. Seit 1969.

„Er hat gefühlt 24 Stunden im und am Kassenhäuschen verbracht“, erzählt Siegfried Barthel mit einem Lächeln. Barthel saß viele Jahre im Ticketstand der Köln-Tourist-Schiffe gleich nebenan. Und konnte sehen, was Manfred Weber so machte. Dessen Spezialität: Touristen – besonders ausländische – schon an der Ampel der Rheinuferstraße abfangen und lauthals auf sein Boot lotsen: „Come in, come with me.“ „Da konnten viele nicht Nein sagen. Vielleicht hat er sich das von den Werbern an den Landungsbrücken in Hamburg abgeschaut.“

Wir nannten seine Tickets immer Kirmes-Fahrscheine
Siegfried Barthel, Verkäufer im benachbarten Kassenhäuschen

Manfred Weber verkaufte Papiertickets, die er von Rollen zog. „Kirmes-Fahrscheine haben wir die immer genannt.“ Reservierungen hatte er in einem dicken Buch eingetragen. „Das geht schon irgendwie“, habe er bei Planungsschwierigkeiten gesagt. Die Konkurrenz war schon längst auf Computer umgestiegen.

Manfred Weber sitzt mit Kapitänsmütze in seinem zweieinhalb Quadratmeter großen Büdchen. Einfach Fliesen, ein orangefarbenen Vorhang und eine kleine Anrichte sind zu sehen.

Thilo Schmülgen fotografierte Manfred Weber 2010 für eine Fotoserie über Menschen, die ihren Arbeitsalltag auf kleinstem Raum verbringen.

Fotograf Thilo Schmülgen hat Manfred Weber 2010 für eine Serie über Menschen fotografiert, die ihre Arbeitstage in sehr kleinen Räumen verbringen. Manfred Weber sitzt auf dem Foto stolz mit seiner Kapitänsmütze und einem ganz vorsichtigen Lächeln in dem zweieinhalb Quadratmeter kleinen Verschlag. Einfache Fliesen, ein speckiger, orangefarbener Vorhang, ein Verkaufsfenster, eine vollgekramte Anrichte.

Rudolf Kissler, jahrzehntelang Matrose auf der „Willi Ostermann“, erzählt: „Er hatte auch einen Heizlüfter und eine kleine Kochplatte im Häuschen. Oft ist er aber auch aufs Schiff gekommen, hat sich dort etwas warm gemacht und ist auf die Toilette gegangen.“ Kissler kannte Weber nur mit seiner Mütze. „Eine neue gab es selten, und eine neue Jacke fiel auch auf.“ In der Erinnerung vieler Kölner ist Manfred Webers Bild wohl mit dem Werbe-Plakat verschmolzen, das an seinem Büdchen klebte: Es zeigte einen winkenden Kapitän in strahlend weißer Uniform.

Er hat sein Leben lang auf den Rhein geschaut
Rudolf Kissler, Matrose

Manfred Weber hatte nie eine weiße Uniform an. Und er hat auch nie selbst ein Schiff gesteuert. Denn er war kein Kapitän. Er hatte kein Patent, obwohl er aus einer Schifffahrtsfamilie stammt. Die Firma Weber-Schiff wurde 1877 gegründet, ihr gehörten später die „Müllemer Böötche“, die Karl Berbuer mit seinem Lied berühmt gemacht hat. 1965 kam die „Willi Ostermann“ zur Flotte hinzu, Mitte der 1980er Jahre übernahm Manfred Weber die Leitung der Firma von seinem Vater. Er hatte eine Ausbildung als Betriebskaufmann, kümmerte sich um das Finanzielle. „Er hat ein Leben lang auf den Rhein geschaut“, sagt Rudolf Kissler. „Das war sein A und O.“

Drei Boote mit drei Schiffsführern und drei Matrosen hatte Weber zuletzt unter sich. Ja, der Chef sei etwas knorrig gewesen, sagt Kissler. „Aber immer korrekt, er hat Tariflöhne gezahlt und das Geld kam immer pünktlich.“ Natürlich sei es ein bisschen ungewöhnlich gewesen, dass der Firmenchef Tickets verkauft. Und dann noch auf diese Weise. „Manche Touristen, die ihm sozusagen entkommen waren, waren sehr erstaunt, als wir ihnen erklärten, dass das der Inhaber der Firma ist“, sagt Siegfried Barthel.

Er erzählte auch manchmal Witze, bei denen selbst ich rot wurde
Siegfried Barthel, Kollege

Es habe vier, fünf Jahre gebraucht, sagt Barthel, bis er mit dem Nachbarn richtig warm wurde, obwohl man nur wenige Meter voneinander entfernt arbeitete. „Man hat sich mal mit Kleingeld-Rollen ausgeholfen oder er schickte Fahrgäste zu uns, wenn er voll war. Er erzählte auch manchmal Witze, bei denen selbst ich rot wurde“, sagt er und lacht.

Zu Webers Geburtstag hatte Barthels Chefin einmal Schogetten gekauft, fünf verschiedene Sorten, mit einer Schleife drumherum. „Schogetten mochte er so gerne, die waren ja auch praktisch, weil es einzelne Stücke sind.“ Die Chefin sagte zu Barthel: „Bring du das mal rüber, du kannst besser mit ihm.“ Weber habe sich „wie ein Schneekönig“ über das kleine Geschenk gefreut.

Wir haben ihn nie mit einer Partnerin oder einem Partner gesehen. Er war mit der Firma verheiratet
Frank Niesen, Großneffe

Nicht jeder meinte es gut mit Manfred Weber. Er transportierte die Bar-Einnahmen stets in einer Aktentasche – und war leichtes Opfer für Diebe, die ihn bequem von den Bänken am Rheinufer auskundschaften konnten. Mehrmals wurde er bestohlen. „Da wurde er noch ein bisschen grummeliger“, sagt Barthel. Und schaffte dann doch einen kleinen Tresor an.

„Wir haben uns natürlich gefragt, was er wohl in der Winterpause macht, wenn das Schiff nicht fährt“, sagt Rudolf Kissler. Während andere Bootsleute in den Urlaub fuhren, sei Weber alle zwei, drei Tage vorbeigekommen, um zu sehen, ob auch alles in Ordnung ist. Ansonsten blieb er wohl im Haus in Bayenthal, in dem er mit seiner Mutter lebte.

Die „Willi Ostermann“, das letzte Müllemer Böötchen, am Anleger, im Hintergrund das Messegelände

Die „Willi Ostermann“ ist das letzte Müllemer Böötchen

Der Kölner Rechtsanwalt Frank Niesen ist Neffe zweiten Grades von Manfred Weber und war als Kind oft zu Gast bei den Verwandten. „Manfred hatte eine sehr liebe Mutter. Die Tante war sehr offen, sehr herzlich. Eigentlich das Gegenteil von Manfred. Es war nun mal nicht sein Ding, Menschen anzusprechen. Erstaunlich, dass er das bei den Touristen geschafft hat.“ Als Kind sei er gerne zu Onkel Manfred an den Rhein gekommen und mit dem Bötchen gefahren. „Das war für uns Pänz schön – da gab es immer lecker Würstchen und Äppelschlot.“ Onkel Manfred sei ein Eigenbrötler gewesen. „Wir haben ihn nie mit einer Partnerin oder einem Partner gesehen. Er war mit der Firma verheiratet.“

Er wäre einsam gewesen, wenn er nicht an der Kasse gesessen hätte
Rudolf Kissler, Matrose

Mitte der 1990er Jahr starb Manfred Webers Mutter. War Manfred Weber einsam? „Er wäre einsam gewesen, wenn er nicht an der Kasse gesessen hätte“, sagt Rudolf Kissler. Vor einigen Jahren machten sich dann erste Anzeichen von Demenz bei Manfred Weber bemerkbar. Schließlich musste er sein Kassenhäuschen zurücklassen und zog in ein Altenheim in Zollstock. „Manchmal ist er mit seiner Betreuerin noch vorbeigekommen und hat die Abendfahrt mitgemacht. Mich hat er meistens erkannt“, so Kissler.

Doch mit dem Häuschen, in dem sein Leben einst spielte, konnte er nichts mehr anfangen. Er blieb ratlos davor stehen. Im November 2020 ist Manfred Weber im Alter von 71 Jahren gestorben. Er hinterließ kein Testament, sein Großneffe ist noch dabei, den Nachlass zu regeln. Die „Willi Ostermann“, das letzte verbliebene „Müllemer Böötche“, wurde teilweise von der Köln-Düsseldorfer (KD) übernommen und wird gerade innen vollständig saniert. Die beiden anderen Schiffe wurden 2019 nach Budapest verkauft. Das Ticketbüdchen von Manfred Weber ist längst abgerissen, an seiner Stelle steht nun ein viel größeres der KD.

Aber es kommen immer noch Leute vorbei, die fragen: „Wo ist denn der alte Herr mit der Kapitänsmütze?“